WER SCHÖN SEIN WILL…
Emilie Blichfeldt hat Grimms „Aschenputtel“ in einer neuen Interpretation für die Leinwand realisiert. Es ist ihr erster Langfilm, für den sie zudem das Drehbuch selbst geschrieben hat. Einer weit verbreiteten Geschichte neue Anziehungskraft zu verleihen, ist durchaus eine Herausforderung.
Ich habe „The Ugly Stepsister” auf den Fantasy Filmfest Nights 2025 gesehen.
Viele Märchen sind abgrundtief erbarmungslos, alleine „Struwwelpeter“ (1844 von Heinrich Hoffmann) enthält in der Druckausgabe mehrere Erzählungen, in der die Zukunft der Welt, also unsere Kinder, in etwas unangenehmen Bildern nicht wirklich gut aussieht. Es werden . Gliedmaßen abgeschnitten, und Paulinchen muss brennen, bis nur noch ein Häufchen Asche bleibt. Der Autor war wohl kein Sadist, sondern eher in Sorge um die Kleinen, die Dummheiten machen oder von den Eltern nicht richtig beaufsichtigt werden.
In laufenden Bildern erscheinen selbst die gewalttätigsten Märchen überwiegend kindertauglich, denn am Ende wird alles gut. Außerdem soll das schon vormittags im TV laufen. Brennende Hexen sind irgendwie gerecht („Hänsel und Gretel“), man muss das ja nicht so explizit zeigen. Aber damit ist nun Schluss, denn Blichfeldt lässt ihre Protagonistin büßen, ohne die Kamera abzuwenden. Ganz im Gegenteil, sie geht in ihrem pompösen Kostümfilm ganz nah ran, lässt Blut und andere Materie aus einem geschundenen Körper heraustreten.
Coralie Fargeat musste für ihr Meisterwerk („The Substance“, 2024) erst eine abgedrehte Story um Klone in einer schrecklichen Abhängigkeit zwischen Alt und Jung erfinden, während Blichfeldt einfach das nimmt, was seit hunderten Jahren in den Bücherregalen liegt. Der Kern beider Inszenierungen ist gleich: der Wunsch nach Schönheit um jeden Preis.
Die norwegische Regisseurin sagt, sie habe viele Brutalitäten von „Aschenputtel“ weggelassen. Wer den Inhalt kennt, kann das bestätigen. Doch was sich im Kino abspielt, ist Body-Horror vom eklig Feinsten. Eindeutig im Fokus steht die titelgebende Elvira. Lea Myren spielt diese Figur extrem intensiv, denn sie muss schön genug für Prinz Julian (Isac Calmroth) werden. Niemand weiß, was Eure Hoheit bevorzugt, jedoch Aschenputtel Agnes (Thea Sofie Loch Næss) ist in der kleinen wirksamen Nebenrolle von Natur aus wunderhübsch, darum werden reichlich Maßnahmen ergriffen, um das Neidniveau zu senken: Schönheitsoperationen, seltsame Pillen, usw. Geld für die Beerdigung des Stiefvaters wird übrigens keines ausgegeben.
Blichfeldt möchte das drastische Spiel um die direkten Folgen, wofür sie weitere Teile der bekannten Geschichte unter den Teppich kehrt. Myren wächst nun über sich hinaus, denn was auf der Leinwand für Elvira von strahlender Freude in Leidensmimik umschlägt, ist beinahe unfassbar. Schwarzer Humor sorgt von Beginn an für weitere Unterhaltungswerte und erfreut im weiteren Verlauf der Vorstellung den gleichermaßen erschütterten Kinogast, bis der Prinz… Na, das kennen doch alle. Applaus im Münchner Kino.
Die von Emilie Blichfeldt herausragend grotesk geschaffene Variante eines deutschen Märchens ist ihr ganz eigenes Ding, ein echter Hingucker, quantitativ eher nicht für den richtigen Slasher-Fan, auch nicht für Kinder.