In „The Grandmaster“ von Regisseur Wong Kar-Wai bekommen wir kein ausführliches Biopic über das Leben des großen Kampfkünstlers Yip Man, sondern eher einzelne Abschnitte davon, die sich mal mehr, mal weniger stimmig in die Geschichte einfügen. Diese beginnt im Jahr 1936 und endet 1953.
Auch in diesem Film darf man über die Subjektivität, Vielfalt und Schönheit des Erzählstils – mit weit aufgerissenen Augen – staunen. Wong Kar-Wai überzeugt mit akribischen Kamerafahrten über schneebedeckte Gärten, verregnete Straßen und ein Freudenhaus, das auf den Namen „Der Goldene Pavillon“ hört. Er spielt mit Licht und Schatten in seinen Aufnahmen, wie es einst die Brüder Lumière vor ihm taten. Mit seinen herausragenden Darstellern, die vollkommen mit ihren Figuren verschmelzen, gewinnen die Hauptdarsteller Tony Leung Chiu Wai und Zhang Ziyi in jedem Augenblick vor der Kamera an Haltung und Ausdruckskraft. Kung-Fu hat noch nie so atemberaubend auf der Leinwand ausgesehen.
Der Regisseur verzichtet auf überflüssige Dialoge und richtet seinen Fokus vollkommen auf die zwei Liebenden. Es kann passieren, dass diese Liebesgeschichte den einen oder anderen Zuschauer nicht erreicht, weil es an Worten, Zärtlichkeiten und unendlichem Verlangen fehlt. Es kann auch sein, dass alles einer viel zu subjektiven Färbung der Vorstellung des Regisseurs entspricht. Aber weder führt uns die Kamera hinters Licht, noch spielen uns die Darsteller etwas vor. Der erste und einzige Kampf zwischen Yip Man und Gong Er ähnelt einer Vorstellung in einem Theaterhaus, das in diesem Fall der Goldene Pavillon darstellt. Gäste reisen an, um den Kampf dieser beiden Künstler in einem Raum zwischen Lust, Begierde und Tradition zu sehen.
So geladen und stark die Präsenz der Protagonisten auch ist, ihr Kung-Fu ist um ein Vielfaches präziser. Der Schnitt sitzt ebenso wie jeder einzelne Faustschlag von Gong Er. Das Geräusch brechender Knochen, das Spritzen von Blut auf Boden und Wände, die angeschwollenen, vom Schweiß glänzenden Gesichter – all das findet eine Unterkunft, entweder in den toten Straßen der Stadt oder an einem friedvollen Gleis am Bahnhof. Bei Nacht und unter starkem Regen oder Schneefall tobt ein Kampf, der die harmonische Landschaft weder zerstören noch in irgendeiner Weise beschädigen kann. Mit Close-ups und Zeitlupeneffekten bekommen wir die Wucht eines jeden Schlags und Tritts zu spüren. Einrichtungen, Wände, Mauern zerbersten in tausend Teile und krachen auf den nackten Boden. Fest eingedrehte Schrauben in Sitzbänken lockern sich oder fallen gar aus ihrer Halterung, sobald Kampfkünste aufeinandertreffen.
All jene Einzelmomente und Sequenzen werden begleitet vom japanischen Filmkomponisten Shigeru Umebayashi. Sein Score, den er für diesen Film komponiert hat, ist einfühlsam, diskret und ab und an so kalt und melancholisch wie der Schnee selbst.
Nach einem solchen virtuosen Erlebnis würde man sich wünschen, es gäbe einen Director’s Cut von drei oder vier Stunden Lauflänge – um auch Schauplätze bei grellem Sonnenlicht und schwüler Hitze sehen zu können, um noch mehr Kampfstile anderer Meister bestaunen zu dürfen, um Yip Mans weisen Worten noch länger zu lauschen und ihn dabei zu beobachten, wie er seinen Schülern das Wing Chun lehrt.