Mystery trifft Sci-Fi – aber auch so gut wie in "Dark"? Unsere Kritik zur neuen deutschen Netflix-Serie "Cassandra"
Markus Trutt
Markus Trutt
-Redakteur
Vom Spurenverwischen mit Dexter bis zu Weltraum-Abenteuern mit Picard. Markus hat ein Herz für Serien aller Art – und schüttet es gern in Artikeln aus.

„Cassandra“ tritt in die großen Genre-Fußstapfen des deutschen Netflix-Highlights „Dark“ – und ist doch ganz anders. Wir haben alle sechs Folgen der Retro-Science-Fiction-Miniserie vorab gesehen und verraten, ob sich das Streamen lohnt.

Dark“ hat 2017 echte Pionierarbeit geleistet. Nicht nur war der eigenwillige Mix aus Mystery-Krimi, Familien-Saga und Zeitreise-Sci-Fi damals die erste deutsche Netflix-Serie überhaupt, sondern tauchte auch derart selbstbewusst in Genre-Gefilde ab, wie man es in dieser Größenordnung aus Deutschland nur sehr selten kannte. Das ebnete zumindest im Streaming-Bereich endlich den Weg für einige spannende, wenn auch nicht immer erfolgreiche deutsche Genre-Experimente – vom dystopischen „Tribes Of Europa“ über Historien-Action à la „Barbaren“ bis hin zum Superhelden-Spektakel „Freaks - Du bist eine von uns“.

Der neueste Beitrag zu dieser zum Glück noch länger werdenden Reihe hört nun auf den Namen „Cassandra“ und vermengt in einer mit Sci-Fi-, Horror- und Thriller-Elementen angereicherten Erzählung auf zwei Zeitebenen Technik-Angst mit Familien-Drama. Wobei einer der beiden Handlungsstränge dem anderen klar überlegen ist...

Wenn das Smart Home zur Gefahr wird: Die Story von "Cassandra"

Nach einem schweren Schicksalsschlag wollen Bildhauerin Sam (Mina Tander) und ihr Schriftsteller-Mann David (Michael Klammer) mit den beiden gemeinsamen Kindern Fynn (Joshua Kantara) und Juno (Mary Amber Oseremen Tölle) einen Neuanfang wagen. Dazu ziehen sie in ein stattliches Haus am Rande einer verschlafenen Kleinstadt. Doch handelt es sich hier nicht um ein gewöhnliches Haus, sondern um das erste Smart Home Deutschlands, das bereits in den 1970er Jahren eingerichtet und mit einer Künstlichen Intelligenz ausgestattet wurde.

Cassandra
Cassandra
Starttermin 2025-02-06
Serie: Cassandra
Mit Lavinia Wilson, Mina Tander, Joshua Kantara
User-Wertung
3,4
Im Stream

Die erwacht kurz nach der Ankunft der Neulinge in Form der jeden Raum überwachenden Cassandra (Lavinia Wilson) und eines gleichnamigen Roboters unerwartet zum Leben. Was zunächst wie eine nützliche Haushaltshilfe anmutet, nimmt schon bald beunruhigende Züge an, als sich die merkwürdigen Geschehnisse häufen. Während Sam versucht herauszufinden, was eigentlich genau mit den Vorbesitzern ihres neuen Eigenheims geschehen ist, will Cassandra mehr und mehr ein vollwertiges Mitglied der Familie werden – koste es, was es wolle...

Erfrischende Prämisse, beeindruckender Roboter

Im Interview mit FILMSTARTS hat „Cassandra“-Autor und -Regisseur Benjamin Gutsche („Arthurs Gesetz“, „All You Need“) erklärt, dass er mit seinen Projekten stets etwas zeigen will, das es so vorher noch nicht zu sehen gab. Und tatsächlich kommt seine neue Miniserie nun mit einer recht erfrischenden Prämisse daher, die vor allem auch technisch beeindruckend umgesetzt wurde. So wurde der Cassandra-Roboter nicht nur wirklich gebaut, sondern gar schon am Set dank des Schauspiels von Lavinia Wilson („Schoßgebete“) mit Leben gefüllt, deren Darbietung von einem Motion-Capture- und Ton-Studio aus in verfremdet-animierter Form direkt live auf die Maschine übertragen wurde.

Deren dadurch ermöglichte direkte Interaktion mit dem restlichen Cast sorgt somit für eine ganz eigene unmittelbare Greifbarkeit der sich mehr und mehr herauskristallisierenden Bedrohung. Die ist jedoch zu Beginn der Serie am effektivsten, wenn die Gefahr noch im Hintergrund schwelt und die heimlichen perfiden Spielchen von Cassandra für eine schaurig-unbehagliche Stimmung sorgen, die als Suspense-Teppich unter allen Geschehnissen liegt. In Verbindung mit wohlgewählten Cliffhangern wird man so spielend von einer Folge zur nächsten getragen – vorausgesetzt, es gelingt einem erst einmal das doch recht märchenhafte Grundgerüst der Handlung zu schlucken.

Wackelige Gegenwart vs. spannende Vergangenheit

Mit zunehmender Offenlegung von Cassandras Machenschaften bröckelt die Erzählung in der Gegenwart jedoch mehr und mehr. Wenn die einzelnen Familienmitglieder auch nach der x-ten Intrige von Cassandra lieber einem creepy Roboter als der eigenen Frau/Mutter vertrauen, kratzt das nicht nur an der Glaubwürdigkeit, sondern erschwert zudem ungemein, den eher blass bleibenden Figuren überhaupt die Daumen zu drücken. Zumal die Situationen, die die Abwärtsspirale für die Familie weiter drehen, bisweilen arg herbeikonstruiert, vereinzelt gar unfreiwillig komisch wirken, um die Geschichte überhaupt am Laufen zu halten. Hier stößt das Serienformat in Verbindung mit der ausgebreiteten Geschichte an seine Grenzen.

Cassandra (Lavinia Wilson) beobachtet alles, was in ihrem Haus vor sich geht. Netflix
Cassandra (Lavinia Wilson) beobachtet alles, was in ihrem Haus vor sich geht.

Wesentlich besser funktioniert das Ganze da in der sich parallel zur Jetztzeit-Story entfaltenden Vergangenheitshandlung. Wenn wir sehen, wie in den 60er und 70er Jahren die Grundlagen für das gelegt werden, was 50 Jahre später die Familie von Sam in Atem hält, bekommen wir nach und nach spannende und wichtige Puzzlestücke geliefert, die letztlich ziemlich rund ineinander greifen.

In atmosphärischen Bildern wird hier in die menschlichen Abgründe einer Familie geblickt, die auf den Fotos, die Sam Jahrzehnte später findet, so heil und glücklich wirkt, wobei geschickt und durchaus erschütternd die verschiedenen Familien- und Erziehungsbilder unterschiedlicher Epochen gegenübergestellt werden. Hier macht Lavinia Wilson ihre Cassandra durch ihre vielschichtige Performance – gerade im Zusammenspiel mit dem nicht minder stark aufspielenden Franz Hartwig („Charité“) als ihr beängstigend-herrischer Serien-Ehemann – endgültig zu einer einnehmend-ambivalenten Figur.

Fazit: Kein zweites "Dark"

Während der Handlung in der Gegenwart nach hinten die Luft ausgeht, punktet „Cassandra“ vor allem mit der mit jeder Menge Retro-Sci-Fi-Charme versehenen Erzählung in der Vergangenheit. Womöglich hätte das Ganze als zweistündiger Film ein stimmigeres Gesamtbild ergeben als nun im knapp fünfstündigen Seriengewand. Dennoch ist „Cassandra“ ein streckenweise spannender Binge-Snack für zwischendurch, wenn auch bei Weitem kein zweites „Dark“.

Was euch nach „Cassandra“ im Februar noch alles bei Netflix erwartet, erfahrt ihr in unserer großen Monatsübersicht:

Neu auf Netflix im Februar 2025: Die erste Serien-Hauptrolle einer Schauspiel-Legende & ein Kino-Hit, der gerade für einen Skandal sorgt

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