In der Schule kommt auch heute niemand an ihm vorbei, weltweit zählt er zu den bedeutendsten Dichtern und Denkern des 20 Jahrhunderts: Bertolt Brecht. Mit seinem „epischen Theater” setzte er Verfremdungseffekte ein, die das Publikum aus der stumpfen und passiven Rolle herausholen, es wachrütteln und zur Auseinandersetzung mit dem Stück bewegen sollten. Erreicht wurde dies mittels Bühnenbild, Toneffekten und dem Durchbrechen der sogenannten vierten Wand – indem die Schauspieler*innen das Publikum direkt ansprachen.
Stücke wurden in die historische Vergangenheit gelegt, jedoch stets mit aktuellem Kontext aufgeladen. So auch die „Dreigroschenoper”, welche 1928 uraufgeführt und zum Kassenschlager avancierte. Musical traf hier auf Kritik an der Weimarer Republik und am Kapitalismus: Gemeinsam mit dem Komponist Kurt Weill brachte Brecht Bettler, Prostituierte, Räuber, die Abtrünnigen der Gesellschaft auf die Bühne. Und ließ sie singen.
Bis heute sind Lieder wie „Die Moritat von Mackie Messer” oder das Lied der Seeräuber-Jenny weltweit bekannt. Die „Dreigroschenoper” wurde mehrfach verfilmt, u.a. 1931 von Georg W. Pabst, Brecht selbst wurde im Verlauf des Drehs davon ausgeschlossen.
Dennoch könnt ihr heute Brechts Dreigroschenfilm - einen Werk, das es nie gab - wie auch den gesamten Prozess der Nicht-Verfilmung heute, am 5. April um 20.15 Uhr auf 3sat sehen. Joachim A. Langs „Mackie Messer - Brechts Dreigroschenfilm” erzählt von Brechts Visionen, von dem, was hätte sein können und von dem, was tatsächlich war. Wer es heute Abend nicht schafft, kann den Film aktuell auf Amazon Prime Video leihen bzw. kaufen:
Erst kommt das Fressen, dann die Moral
Es ist 1928, die Dreigroschenoper feiert ihre Premiere am Theater am Schiffbauerdamm Berlin und wird zum vollen Erfolg. Schon bald wollen sich Bertolt Brecht (Lars Eidinger) und Kurt Weill (Robert Stadtlober) an die Verfilmung des Stückes machen.
Groß soll er werden, eine ganz neue Art von Film, der die im London des 19. Jahrhunderts angesiedelte Geschichte um den Ganoven Macheath (Tobias Moretti) und seine Polly (Hannah Herzsprung), der Tochter des Bettlerkönigs Peachum (Joachim Król), zeigen soll. Doch schnell wird klar, dass die Visionen des Künstlers und die Vorstellungen der Produktionsfirma auseinandergehen. Es folgt ein Streit um die Rechte, bis hin zum Gericht…
Und der Haifisch, der hat Zähne
Der als Dreigroschenprozess in die Geschichte eingegangene Rechtsstreit endete in einem Vergleich - der Film durfte von Pabst fertiggestellt werden, jedoch war nicht mehr viel von Brechts Ideen übrig. Diese hat nun Joachim A. Lang anhand von Aufzeichnungen auferstehen lassen. Lang, der auch zu Brecht promovierte und für die Doku „Brecht – die Kunst zu Leben” verantwortlich zeichnete, verwendete für seinen Dreigroschenfilm ausschließlich Zitate aus Brechts Leben und Werk - und das Ergebnis ist ebenso wahnsinnig wie komplex.
Die Dreigroschenoper bezeichnete Brecht seinerzeit als ein „Versuch, der völligen Verblödung der Oper entgegenzuwirken“. Ähnlich herausfordernd kann auch die filmische Umsetzung werden: Das Berlin der 20er- und 30er-Jahre trifft auf ein Bühnen-London des 19. Jahrhunderts, (erzählter) Film im Film trifft auf Theater, und alles trifft auf brandaktuelle Kapitalismus- und Gesellschaftskritik mit voller Wucht ins Jetzt.
Da wird der Film selbst zum Kritiker seiner Entstehungsbedingungen – ist eine „Ware in einer aus Waren bestehenden Welt.” Fragen um geistiges Eigentum, um den Wert von Kunst, auch Fragen von Massentauglichkeit, Verwertbarkeit - sind natürlich alle nicht in den 30er-Jahren geblieben. Auch heute heißt es immer noch Blockbuster gegen Arthouse, Kunst gegen Kommerz und ganz aktuell auch K.I. gegen Künstler*innen.
Ungeachtet seines vielschichtigen Inhalts ist Langs Dreigroschenfilm furios inszeniert und lässt sich optisch am ehesten irgendwo zwischen „Moulin Rouge” und „Babylon Berlin” verorten. Und auch sonst hält „Mackie Messer - Brechts Dreigroschenfilm” die ein oder andere Überraschung bereit. Doch seht selbst - oder, mit Brechts Worten: „Der Geschmack des Pudding erweist sich beim Essen.”
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