Streaming-Tipp: Bei dieser Bestseller-Verfilmung bleibt kein Auge trocken – mit 4 Oscargewinnern & einnehmenden Naturbildern!
Björn Schneider
Björn Schneider
-Freier Autor
Seit Björn als Kind „Spiel mir das Lied vom Tod“ und „Hook“ gesehen hat, ist er vom Medium Film und seinen (audio-)visuellen Möglichkeiten fasziniert. Am liebsten schaut er Horror, Western, Mystery und Thriller. Musicals und romantische Komödien kosten ihn allerdings Überwindung.

„Schiffsmeldungen“ erzählt eine universelle Geschichte über familiäre Konflikte, verdrängte Gefühle und Identität. Ihr kennt den Film noch nicht? Dann wollen wir euch hier schildern, warum es sich lohnen könnte, ihn zu streamen:

Der schwedische, zweifach oscarnominierte Regisseur Lasse Hallström zählte um die Jahrtausendwende zu den gefragtesten Filmemacher*innen Hollywoods. Allen voran seine stimmungsvollen, von Wehmut ebenso wie von Lebensfreude durchzogenen Romanverfilmungen „Gottes Werk und Teufels Beitrag“ (1999) und „Chocolat“ (2000) verzückten die internationale Kritik.

Für seine erste Arbeit nach „Chocolat“ sollte es erneut eine Literaturverfilmung sein. Hallström stieß auf ein 1993 von der US-Schriftstellerin Annie Proulx veröffentlichtes Buch, das all das beinhaltet, was Hallström an Geschichten so schätzt: Tragikomik, eine poetische Note, Nostalgie, Schmerz und Liebe. Die Rede ist von Proulx‘ meisterhaftem Roman „Schiffsmeldungen“*, für den die Autorin die renommiertesten Auszeichnungen erhielt (Pulitzer-Preis, National Book Award u.a.).

Die Erwartungshaltung an Hallströms Adaption von „Schiffsmeldungen“ war entsprechend hoch. Galt es doch, eine entschleunigt erzählte Literaturvorlage, voller Poesie und metaphorischer Anspielungen, auf die Leinwand zu übertragen. Doch Hallström hielt dem Druck stand: Er nahm einige (entscheidende) Änderungen vor, verdichtete die Story und nutzte die betörende Schönheit des Originalschauplatzes, Neufundland, an dem der Film im Frühjahr und Sommer 2001 zu weiten Teilen entstand.

Aktuell gibt es „Schiffsmeldungen“ für ein paar wenige Euro als Video-on-Demand bei Anbietern wie Amazon Prime Video, MagentaTV oder Microsoft zum Streamen:

Darum geht’s in "Schiffsmeldungen"

Quoyle (Kevin Spacey) steht plötzlich vor den Trümmern seines Lebens. Seine Eltern sind vor kurzem verstorben – ein unerwarteter Schock. Wesentlich schwerer wiegt allerdings noch der Tod seiner Frau Petal (Cate Blanchett). Sie behandelte den sanftmütigen Quoyle immer schlecht, betrog ihn und nutzte ihn aus. Doch für Quoyle war Petal die große Liebe. Nur seine Tochter Bunny (Alyssa Gainer) ist ihm noch geblieben.

Unerwartete Hoffnung auf eine bessere Zukunft weckt Quoyles Tante Agnis (Judi Dench), die eines Tages unangemeldet vor seiner Tür steht. Sie ist auf dem Weg nach Neufundland – dort hat die Familie ihre Wurzeln. Quoyle und Bunny überlegen nicht lange und begleiten Agnis auf die selbst im Mai noch schneebedeckte, abgeschiedene Insel. Dort findet der Einzelgänger in der selbstbewussten Kindergärtnerin Wavey eine neue Liebe – doch genügt das, um auch zu sich selbst zu finden?

Schiffsmeldungen
Schiffsmeldungen
Starttermin 28. März 2002 | 1 Std. 52 Min.
Von Lasse Hallström
Mit Kevin Spacey, Julianne Moore, Judi Dench
User-Wertung
3,7
Filmstarts
3,5

Zum Gelingen des Films trug nicht zuletzt der exquisite Cast bei. Dieser setzte sich aus profilierten Charakterdarsteller*innen zusammen. Darunter die vier Oscarstars Julianne Moore („Boogie Nights“), Cate Blanchett, Judi Dench und natürlich Kevin Spacey in der Hauptrolle als einsamer „Taugenichts“, der einen Neuanfang wagt und mit der Vergangenheit abschließt.

Einige Jahre zuvor brillierte Spacey als psychopathischer Killer („Sieben“) und resoluter Polizist („Verhandlungssache"). Schwer durchschaubare, in ihrer Entschieden- und Selbstsicherheit beängstigende Charaktere, die sich gänzlich von dem unterschieden, was er als Quoyle in „Schiffsmeldungen“ zeigte.

Große Schauspielkunst der Charaktermimen

Schon in den ersten Minuten des Films wird den Zusehenden klar, was aus Quoyle einen so verängstigten, unsicheren Mann hat werden lassen. Sein strenger Vater hat ihn immer entmutigt und als Loser angesehen. Jemand, der in seinem Leben nichts erreichen wird. Um dem Sohn dessen ganzes minderwertiges, nichtsnutziges Wesen – gewissermaßen – zu „beweisen“, wirft der Vater Quolye, der nicht schwimmen kann, wieder und wieder ins Wasser. Dort windet er sich, strampelt und zappelt, versucht an die Oberfläche zu gelangen. Das Kindheitstrauma des Sohnes. Die Angst vor Wasser wird ihn ein Leben lang begleiten.

Denn diesen Missbrauch schleppt der erwachsene Quoyle als emotionalen Ballast wie einen schweren Rucksack mit sich herum. Man merkt es an seiner leicht gebückten Körperhaltung und an seiner gehemmten Art im Umgang mit anderen Menschen. Wir sehen in „Schiffsmeldungen“ einen Kevin Spacey, der wahrscheinlich nur in „American Beauty“ (hier spielte er einen ähnlich angelegten Charakter: Einen mit sich und der Welt hadernden Versager in der Midlife-Crisis) besser war.

Wie er als Quoyle allmählich zu sich findet und zu mehr innerer Stärke gelangt ist ein beschwerlicher Prozess und harter Kampf. Und große Schauspielkunst, die beim Zuschauer Emotionen weckt.

Gleichauf mit Spacey agiert Judy Dench als etwas schmallippige, schnoddrige Tante, eine Ur-Neufundländerin. Etwas später im Film erfahren wir, dass die queere Agnis auch deshalb Männern gegenüber so reserviert ist, da ihr als Mädchen Dramatisches widerfuhr. Dench spielt diese spannende Figur in einer faszinierenden, feinfühligen Darstellung. Das Wesen von Agnis passt wunderbar zu den schroff-rustikal auftretenden Neufundländern im Ort, von denen wir einige näher kennenlernen und die für den – grimmigen – Humor im Film zuständig sind.

Darunter der mürrische, miesepetrige örtliche Zeitungsredakteur (wunderbar: Pete Postlethwaite) und der Zeitungschef (Scott Glenn), der jedoch lieber angelt als Artikel über die neuesten Autounfälle auf der Insel zu schreiben. Das überlässt er schließlich Quoyle, der sich als rasender Inselreporter nach einer kurzen Einarbeitungszeit erstaunlich gut schlägt.

Insel-Metaphorik: Naturidyll als Spiegelbild der Seele

Hallström macht Neufundland zum heimlichen Star seines Films. Die Natur der Insel, die vor der Nordküste Nordamerikas im Atlantik liegt, ist geprägt von kargen Felsen, nebelverhangenen Bergformationen und weiten, unberührten Landschaften. Zugleich rau und wild, aber auch wunderschön.

Die Landschaftsaufnahmen sind begeisternd und elektrisierend, doch dienen sie Hallström nicht nur als Mittel zum Zweck. Denn von der Natur und der Insel selbst gehen wegen der heftigen Unwetter und starken Stürme gleichsam große Gefahren aus. Und schließlich spiegelt sich in der Natur die Unsicherheit und Verlorenheit der nach Halt und Sinn suchenden Menschen wider.

Hallströms wunderbares Gespür für intelligente Mehrdeutigkeit und den Einsatz von symbolhafter Entsprechung zeigt sich noch an anderer Stelle ausdrücklich: Am in die Jahre gekommenen alten Haus der Familie, in dem Quoyle, Agnis und Bunny unterkommen. Mehr Bruchbude als echte und vor allem standfeste (sie ist mit Seilen am Erdboden fixiert) Unterkunft, manifestieren sich in dem baufälligen Haus die Ängste, Traumata und verdrängten Emotionen der drei Bewohner.

Wenn, vor allem des nachts, geisterhafte Wesen und uneindeutige Schatten oder Geräusche am oder im Haus zum Vorschein kommen, verschränkt Hallström auf gekonnte Weise und mit einer unbehaglich-surrealen Note das Früher (vergangene Traumata) mit dem Jetzt (die neuen Bewohner der Gegenwart).

Eine Literaturverfilmung planen übrigens auch die Macher des gefeierten Sport-Dramas „The Iron Claw“. Wer die kreativen Köpfe dahinter sind und welcher Roman als Vorlage dienen soll, lest ihr hier:

Von den Machern eines der besten Filme 2023 kommt jetzt eine Literaturverfilmung – und zwei Superstars sind an Bord

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Dies ist eine aktualisierte Wiederveröffentlichung eines bereits auf FILMSTARTS erschienenen Artikels.

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