Im April 2020 feierte „Shiva Baby“ Weltpremiere im Rahmen des (pandemiebedingt rein digitalen) Festivals South by Southwest. Von da an mauserte sich die Komödie dank eines herausragenden Presse-Echos zum Top-Geheimtipp der Festivalsaison. 2021 folgte im englischsprachigen Raum dank regulärer Kinoauswertungen und energischer Mundpropaganda eine zweite Welle der Euphorie für Emma Seligmans Langfilmdebüt.
Derweil fristet der amüsante Blick auf Bisexualität, das Lebensgefühl der „Zillennials“ sowie auf die Spannung zwischen jüdischer Tradition und Gegenwart hierzulande eher ein Nischendasein. Vielleicht befinden wir uns nun aber am Beginn einer neuen Welle der Aufmerksamkeit für den Film? Denn heute, am 24. Juli 2025, feiert „Shiva Baby“ ab 23.15 Uhr im BR seine deutsche Fernsehpremiere – als Teil der Programmreihe BR Queer! Und im Anschluss an ihre TV-Ausstrahlung kommt die Komödie für 30 Tage in die ARD-Mediathek.
Darum geht es in "Shiva Baby"
Die Gender-Studentin Danielle (Rachel Sennott) hat mit ihrem „Sugar Daddy“ Max (Danny Deferrari) noch schnell Sex, bevor sie zu einer Schiv’a, eilt – einer jüdischen Trauerfeier. Dort fühlt sie sich nicht bloß aufgrund des Anlasses unwohl, sondern auch aufgrund ihrer nörgelnden Eltern Joel und Debbie (Fred Melamed & Polly Draper). Der ständige Druck, mit entfernten Verwandten zwanglosen Smalltalk im exakt richtigen Tonfall führen zu müssen, zehrt ebenfalls an ihren Nerven.
Ganz vom Eiertanz zu schweigen, dass sich Danielles Verwandtschaft aufgeschlossen gibt, andererseits allerlei an ihrer Identität auszusetzen hat. Und auf ein Wiedersehen mit ihrer ebenfalls anwesenden Ex Maya (Molly Gordon) hat sie auch nicht gerade Lust. Doch im Vergleich dazu, dass Max mitsamt seiner Frau Kim (Dianna Agron) und einem 18 Monate alten, gemeinsamen Kind aufkreuzt, ist Mollys Präsenz eine wahre Wohltat...
Spezielle Zwist-Themen, allgemeingültig-frustrierende Lage
Verwandte, die genüsslich an Danielles Hüftspeck oder ihren Wangen herum tatschen, und ihr dann besorgt raten, mehr zu essen. Eltern, die sich in Danielles Beisein nicht entscheiden können, ob sie lieber prahlen sollten, wie toll ihre Tochter ist, oder ob es besser wäre, um Mitleid zu buhlen, weil sie ja in dieser und jener Hinsicht schwierig sei. Und dauernd die Anforderung, keine Fluppe zu ziehen, gefolgt von strengen Blicken, sobald Danielle flapsiger agiert:
Nahezu in Echtzeit fängt Seligman wundervoll bissig ein, weshalb Familienfeiern im Allgemeinen und Trauerfeiern im Speziellen für junge Erwachsene oftmals eine Tortur darstellen: Wer zu alt ist, um Welpenschutz zu genießen, und zu jung für bedingungsloses Mitleid ist, gibt für die versammelte Sippschaft ein gefundenes Fressen ab. Es wird getatscht, gekrittelt, projiziert ohne Unterlass. Es ist eine universelle, zeitlose Beobachtung, die Seligman mit konkreten Ärgernissen ihrer Generation bestückt: Den „Irgendwas mit Gender“-Zillennials, die auf die „Irgendwas mit Medien“-Millennials folgten (und sich dieselben Beschwerden über karge Berufsaussichten anhören müssen).
Noch spezifischer greift Seligman auf ihre Erfahrungswelt als queere Jüdin zurück, und lässt somit auf ihre Protagonistin Forderungen, sich treu zu bleiben, einprasseln – ebenso wie den Wunsch, bloß keine „komischen“ Dinge mit ihrer Ex zu treiben. Und so sehr die Erwartung im Raum steht, gefälligst religiöse Traditionen zu befolgen, so rasch werden sie von Danielles Sippe gebrochen, wenn es ihr gerade in den Kram passt.
Meckernde Trauergemeinde trifft makelbehaftete Heldin
Seligman macht es sich in diesem Quasi-Kammerspiel jedoch nicht so leicht, die ihr in einigen Zügen nachempfundene Protagonistin als unschuldige Kugel im Familientreffen-Flipperautomaten darzustellen: Zwar beruht viel Komik in „Shiva Baby“ darauf, dass wir Ärgernisse, die uns in großer Runde angetan wurden, in Danielles Tortur wiedererkennen und mit einem „Jaja, die lieben Verwandten“-Keuchen kathartisch weglachen.
Doch ebenso macht Seligman ihre Hauptfigur zur Zielscheibe des „Das hast du dir eingebrockt!“-Spotts: Mehrmals baut sich Danielle mit Egozentrik und Sprunghaftigkeit ihren eigenen Fettnäpfchen-Parcours, etwa in Form eines Oben-ohne-Badezimmer-Selfies während der Trauerfeier oder widersprüchlicher Schnellfeuerlügen. Seligmans narrativ spürbare Empathie für das Fehlerbehaftete und Rachel Sennotts eindrucksvolles Talent, gleichzeitig nassforsch-narzisstisch und beschützenswert-überfordert dreinzublicken, bewahren Danielle und alle, die sich mit ihr identifizieren, jedoch davor, harsch verurteilt zu werden.
Das liegt auch an der im Rückblick amüsant übertreibenden Inszenierung: Kameraperson Maria Rusche erzeugt mit engen Bildausschnitten Beklemmung, Komponistin Ariel Marx lässt Streichinstrumente dissonant quälen, als wäre dies ein Horrorfilm. All das, weil Danielle beispielsweise Verwandten aus dem Weg geht, die ihr eh bloß erneut raten werden, mehr zu essen. Im Moment leiden wir mit der gestressten, genervten Danielle – doch ist alles vorbei, wird klar, welche Kluft zwischen Problem und Bild-Klang-Ästhetik klaffte.
„Shiva Baby“ ist unterm Strich eine Galgenhumor-Komödie, die sich mit der Szene zusammenfassen lässt, in der Kaffee über Danielles weißes Oberteil verschüttet wird. Ja, das sieht peinlich aus, aber zum Glück hat den Kaffee eine Person gebrüht, die nicht weiß, dass das Bohnengebräu heiß sein sollte. So frustrierend der Patzer sein mag – es könnte schlimmer sein, und irgendwann ist die Schiv’a ja vorbei und Danielle kann sich umziehen. Viele situative Alltagsqualen sind, erst einmal mit Abstand betrachtet, nichts anderes: Lauwarmer Kaffee auf einem Oberteil, an dem wir eh nicht hängen.
Richtig stressig geht es derweil in unserem folgenden Streaming-Tipp zu:
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