Hut ab! Mit "Zero Day" hat sich Netflix an einen äußerst komplexen Thriller gewagt, welcher die heutige an simples Knall-Bumm-Haudrauf gewöhnte Generation sicherlich überfordert hat. Und weil das wohl schon vor Drehbeginn an klar war, muss man Netflix umso mehr für den Mut und die Entscheidung danken, die Serie trotzdem realisiert zu haben!
Die Handlung beginnt damit, dass ein ultrahochentwickelter massiver Cyberangriff die gesamte technische Infrastruktur der USA für exakt 60 Sekunden lahmlegt. 3402 Menschen sterben. Es gibt kein Bekennerschreiben, keine Forderungen, keine Spuren. Nur die Drohung, dass "es wieder passieren wird".
Der ehemalige Präsident George Mullen (von Robert de Niro bravourös gespielt) wird von der amtierenden US-Präsidentin aus dem Ruhestand geholt, um als Leiter einer eigens eingerichteten und mit unerhörten Machtbefugnissen ausgestatteten Ermittlungskommission die Schuldigen in einem Rennen gegen die Zeit zu finden.
Mullen kämpft dazu in einem Strudel an Intrigen gegen sichtbare wie auch unsichtbare Gegner, gerät zwischen die politischen Fronten, wird mehr als einmal mit den Dämonen seiner eigenen Vergangenheit konfrontiert und muss sich fürchterlichen Entscheidungen stellen, welchen persönlichen Preis er bereit ist, für die Wahrheit zu zahlen.
Es ist unmöglich, den cleveren Plot mit all seinen unzähligen Kniffen, Wendungen und Verflechtungen hier zu erzählen. Und das ist auch gut so, denn das gerade macht auch den Charme dieser sechsteiligen Miniserie aus: Dem alten Fuchs Mullen auf seiner Jagd durch das Dickicht all dieser Verstrickungen zu folgen und ihm zuzusehen, wie er zunehmend Spielball im Haifischbecken des Politbetriebs und Social-Media-Hexenkessel wird und sich doch immer wieder behauptet und freischwimmt.
Und ja, auch damit werden wir als Zuschauer konfrontiert: Wie weit würden wir denn an Mullens Stelle gehen? Würden wir Verdächtige foltern, wenn es um das Leben von Millionen von Menschen ginge? Würden wir die Wahrheit verschweigen, wenn wir wüssten, dass die Öffentlichkeit sie wohl nicht verkraften kann? Zero Day bietet einen beunruhigenden Einblick in die Welt der Geheimdienste, politischer Intrigen und dem psychologischen Druck, den Menschen erfahren, wenn sie mit den absehbaren Konsequenzen ihrer Handlungen konfrontiert werden. Es geht um das Streben nach Wahrheit, die Verantwortung von Macht und die dunklen Seiten der Regierungsführung.
Einen Stern Abzug gibt es dafür, dass die Geschichte denn doch ein wenig zu weit hergeholt ist und auch dafür, dass ein paar lose Enden bleiben (Stichworte: "Anna Sindler", "Proteus"). Aber das alles tut dem Vergnügen kaum Abbruch: "Zero Day" ist eine der intelligentesten Netflix-Serien seit langem. Wer nach anspruchsvoller spannender Unterhaltung mit geistigem Knabberkern sucht, wird hier jedenfalls fündig.