
Achtung: Es folgen natürlich SPOILER zur achten Episode der zweiten Staffel von „Andor“ – dem bislang dramatischen Höhepunkt der „Star Wars“-Serie!
Für mich ist die achte Episode der zweiten Staffel von „Andor“ ein absoluter Höhepunkt der gesamten „Star Wars“-Saga. Als großer Fan, der die Filme Dutzende Male gesehen, jede Serie hoch und runter geschaut und zahlreiche Romane und Comics verschlungen hat, war ich noch nie von einer Stunde so ergriffen und berührt. Ich musste mich nach dieser Folge erst einmal sammeln. So verlockend es war, die neunte Folge direkt zu schauen, weil ich wissen wollte, wie es weitergeht, konnte ich das nicht. Ich brauchte eine Pause, ich brauchte eine mehrstündige Phase der „Erholung“ von den schrecklichen Ereignissen.
Das Ghorman-Massaker gehört zu den bekanntesten Ereignissen im „Star Wars“-Kanon. Es hat durch Mon Mothmas (Genevieve O’Reilly) anschließende Reden die Rebellion zusammengebracht, dafür gesorgt, dass es endlich einen breiteren Widerstand gegen die Schreckensherrschaft des Imperiums gibt. Tony Gilroy und seinem Team ist es gelungen, diesen Moment herausragend zu erzählen. So ist nicht nur zu jeder Zeit nachvollziehbar, warum das Massaker so eine einschneidende Wirkung hat. Obwohl es nur um die Schicksale von fiktiven Menschen in einem Fantasie-Universum weit, weit entfernt geht, ging mir beim Anschauen das alles unglaublich nahe. Es war schlimm, das kalkulierte Vorgehen des Imperiums, welches ja über sieben Episoden vorbereitet wurde, nun in Ausführung zu sehen.
Wie hat Gilroy das erreicht? Dabei spielte die Auswahl des Regisseurs für diese Episode genauso eine Rolle wie die deutliche Verbeugung vor einem aufwühlenden Meisterwerk – und es ist nicht jenes, was ihr vielleicht vermutet.
Dieses Meisterwerk war die Vorlage für den "Andor"-Höhepunkt
Ich habe in den Diskussionen über die herausragende achte Episode mehrfach gehört, dass diese doch offensichtlich „Panzerkreuzer Potemkin“ zitiere. Sergej Eisensteins Klassiker ist natürlich der naheliegende Verweis, wenn es um ein Massaker an Zivilisten geht und sich dann noch Szenen auf einer Treppe abspielen. Ziemlich sicher haben die „Andor“-Verantwortlichen auch an diesen Film gedacht – doch die Parallelen zu einem anderen Meisterwerk sind viel deutlicher und wichtiger. Eine Vorlage für die achte Episode dürfte „Schlacht um Algier“ gewesen sein.
Gillo Pontecorvos Klassiker inspirierte Gilroy auch schon beim Finale auf Ferrix in der ersten Staffel, was damals umfangreich diskutiert wurde. Doch die Parallelen zum Ghorman-Massaker sind sogar noch viel deutlicher.

In dem Klassiker aus dem Jahr 1966 wird die wahre Geschichte vom Kampf der algerischen Bevölkerung um Unabhängigkeit von der französischen Kolonialmacht erzählt, die sie unterdrückte. Auf der einen Seite stehen die Rebellen der FLN, deren Aktionen über die Jahre immer drastischer werden. Das nutzt die französische Armee, um ihrerseits immer brutalere Gegenmaßnahmen zu verhängen.
Schon die inhaltlichen Parallelen zu „Andor“ sind überdeutlich. Die FLN sind die Rebellen von Ghorman, während die französische Armee das Imperium spiegelt. In „Schlacht um Algier“ übernimmt schließlich ein Hardliner namens Colonel Mathieu das Kommando über die Umsetzung der Unterdrückungsmaßnahmen. In „Andor“ wurde mit Captain Kaido (Jonjo O'Neill) eine Figur eingebaut, die offensichtlich vom Vorbild beeinflusst ist. Es lassen sich noch viele weitere inhaltliche Parallelen finden – von der mediengesteuerten Propaganda gegen die Rebellen bis hin zu den errichteten Checkpoints.
Sensationelle Inszenierung – auch dank eines Doku-Experten
Doch ich möchte mich auf die Inszenierung konzentrieren. „Schlacht um Algier“ wurde von Regisseur Pontecorvo so authentisch gefilmt, dass er teilweise das Label „Dokumentarfilm“ bekam und Vorführungen mit dem Hinweis versehen wurden, dass das nicht stimmt und keine echten Nachrichtenbilder genutzt wurden. Die achte Episode von „Andor“ folgt dieser Idee. Einige Kameraeinstellungen verweisen dabei sogar auf ähnliche Szenen in „Schlacht um Algier“.
Wichtig ist hier die Rolle von Janus Metz. Der dänische Regisseur der Episoden 7 bis 9 der zweiten „Andor“-Staffel kommt vom Dokumentarfilm. International bekannt wurde er mit dem Film „Camp Armadillo“, für den er Streitkräfte im Einsatz in Afghanistan begleitete. Sein dokumentarischer Stil bereicherte auch schon die Serie „ZeroZeroZero“, die laut Gilroy der Grund war, ihn zu verpflichten. „Das waren auch sehr harte Folgen, sehr ergreifend […] die hatten einen dokumentarischen Stil, den ich passend fand“, erklärte uns der „Andor“-Macher dazu im Interview.

Das Zusammenspiel von Metz‛ Inszenierung mit Inspirationen aus einem Film wie „Schlacht um Algier“ machen die „Andor“-Episode mit dem Titel „Wer bist du?“ erst so herausragend. Es ist schlimm, sie zu durchleiden, weil sie über weite Strecken so aufwühlend ist. Aber am Ende ist inspiriert von einem Kino-Meisterwerk ein Serien-Meisterwerk entstanden, das weh tut – und vielleicht die stärkste Stunde, die das „Star Wars“-Universum je hervorgebracht hat.
Zum Abschluss möchte ich euch eigentlich noch empfehlen, euch „Schlacht um Algier“ anzuschauen (ich habe es in Vorbereitung für diesen Artikel auch noch einmal getan und war erneut mitgerissen). Leider gibt es den Klassiker aktuell in Deutschland bei keinem Streaminganbieter und auch die DVD ist längst vergriffen und wird gebraucht für einen ziemlich hohen Preis gehandelt. Alternativen sind so vor allem Import-DVDs, die es etwas günstiger gibt (oder für Leute, die darauf Zugriff haben, der US-Streaminganbieter Criterion Channel). Für zumindest einen kleinen Eindruck haben wir hier den US-Trailer, der übrigens auch herausstellt, dass es keinen einzigen Frame Dokumentar- oder Nachrichtenfootage gibt.
