
Von 1946 bis 1949 entstanden in den deutschen Kriegsruinen sogenannte Trümmerfilme. Die unvergesslichsten unter ihnen kritisierten mit erstaunlicher Direktheit die jüngere deutsche Vergangenheit und warfen schmerzliche Fragen über Schuld und Sühne auf.
Themen, die inmitten realer, zerstörter Schauplätze eine besonders harsche, nachhallende Wirkung entfalten. Diese Woche ist mit „Die Mörder sind unter uns“ einer der berühmtesten, wichtigsten und erschütterndsten Trümmerfilme neu auf Blu-ray erschienen.
Seine hiesige Blu-ray-Premiere feierte das aufwühlende Drama bereits 2012 in einer Auflage ohne Extras, die längst nur noch auf dem Gebrauchtmarkt zu finden ist. Die nun erfolgte Neuauflage aus dem Hause Filmjuwelen lockt hingegen mit Bonusmaterial: Es gibt ein 30-seitiges, digitales Booklet von Filmhistoriker Dr. Rolf Giesen, einen Audiokommentar sowie eine Kurz-Dokumentation über das DEFA-Kino.
Darum geht es in "Die Mörder sind unter uns"
Berlin 1945: Die Stadt liegt in Trümmern. Die junge Fotografin, Illustratorin und KZ-Überlebende Susanne Wallner (Hildegard Knef) kehrt einsam in ihre alte Heimat zurück. Im lädierten Mehrparteienhaus, in dem sich ihre alte Wohnung befindet, lebt nun auch der traumatisierte, dem Alkohol verfallene Militärchirurg Hans Mertens (E.W. Borchert).
Er reagiert bloß noch mit Sarkasmus und Verachtung auf seine Mitmenschen. Lediglich zu Susanne entwickelt er sanftere Gefühle. Doch als Hans den Ex-Hauptmann Ferdinand Brückner (Arno Paulsen) ausmacht und erkennen muss, dass dieser Mann, der im Krieg noch Massenerschießungen hilfloser Menschen anordnete, nun ein glückliches Leben als erfolgreicher Geschäftsmann führt, verhärtet er erneut. Der Chirurg sinnt nach Vergeltung...
Von "Im Westen nichts Neues" geprägt
„Die Mörder sind unter uns“ ist essentieller Bestandteil der deutschen Filmgeschichte: Das unter Besatzung gedrehte Drama ist der erste deutsche Nachkriegs-Spielfilm! Obwohl der von Regisseur und Drehbuchautor Wolfgang Staudte gesetzte, kritische Tonfall nach Gründung der Bundesrepublik vorübergehend vom vergangenheitsverdrängenden Heimatfilm übertönt werden sollte, gelang es ihm immerhin, den Trümmerfilm-Stil mit Nachdruck zu prägen.
Zurückführen lässt sich das auf einflussreiches Vorkriegskino. Staudte war 1930 an der Synchronisation der ersten Verfilmung von „Im Westen nichts Neues“ beteiligt – ein Auftrag, der ihn enorm bewegte, wie er später erläutern sollte: Er verinnerlichte die Botschaft des Antikriegsfilms und fiel nach der NS-Machtergreifung dem Regime wiederholt durch „progressive Betätigungen“ auf. 1944 drehte er die Satire „Der Mann, dem man den Namen stahl“, die noch vor ihrer Premiere verboten wurde – laut Tagesspiegel wäre Staudte zur Vergeltung beinahe direkt an die Front abkommandiert worden.
Schon zuvor fürchtete der Filmemacher, dass ihn das Regime zur Strafe für seine Haltung direkt in eine Schusslinie versetzt. So wurde er für eine Rolle im antisemitischen Propagandafilm „Jud Süß“ ausgewählt. Laut Berliner Zeitung habe Staudte tagelang mit sich gerungen, weil er den Part nicht annehmen wollte, aber die Konsequenzen einer Absage fürchtete. Dafür, nicht stärker Widerstand geleistet zu haben, schämte er sich – und Staudtes Zorn auf sich selbst führte dazu, dass er bereits vor Kriegsende damit begann, das Drehbuch für „Die Mörder sind unter uns“ zu verfassen.
Gewissenlose Kriegsprofiteure und klagende Ruinen
Nach dem Krieg bot Staudte das Projekt zunächst den Westalliierten an, die jedoch ablehnten. Einzig ein Kulturoffizier der Sowjetunion erkannte das Potential des Stoffs, der daraufhin zum überwältigenden Großteil mitten im zerstörten Berlin gedreht wurde. Nur in wenigen Passagen griff Staudte auf die Option zurück, im Studio zu drehen, denn es war ihm wichtig, authentisch-erdrückende Bilder der in den Himmel ragenden Ruinen und somit der Kriegskonsequenzen einzufangen.
Motive, die durch die Handlung an Tragik und Ärgernis gewinnen. Denn während die Hauptfiguren ein ärmliches Leben in den Trümmern führen, bereichert sich ein Kriegstreiber an der zerstörerischen Vergangenheit: Brückner nimmt Stahlhelme, lässt sie zu Kochtöpfen formen und finanziert sich damit ein sorgloses Leben mit Finanzpolster.
Erst Leid verursachen, dann Geld damit machen, Menschen aus diesem Elend herauszuhelfen: Staudtes Film lenkt den Blick nicht bloß auf die Schuld der damals unmittelbaren Vergangenheit, sondern zeigt zudem schonungslos auf, dass dem deutschen Neuanfang bereits weitere Schuld innewohnte. Denn es wurde zugelassen, dass Kriegsverbrecher ertragreich Kriegsgeschundene zur Kasse beten.
Rückblickend wird wohlgemerkt deutlich, dass „Die Mörder sind unter uns“ nicht frei von Makeln ist: Dass die KZ-Überlebende Susanne kaum traumatisiert skizziert wird, ist keine geglückte erzählerische Entscheidung. Ebenso ist Staudtes Entschluss, zur Versinnbildlichung der Millionen von ausgelöschten Leben, die Hans Mertens betrauert, die Kamera über ein Meer an aufgestellten Kreuzen schwenken zu lassen, bedauerlich kurz gedacht. Schließlich werden somit die jüdischen Opfer des NS-Regimes höchstens mitgedacht, nicht aber visuell repräsentiert.
Solchen Aspekten ungeachtet: „Die Mörder sind unter uns“ bleibt ein aufwühlendes Stück Filmgeschichte, das man angesichts seiner um Menschlichkeit ringenden Besetzung und seiner unter die Haut gehenden, klagend-wahrhaftigen Bilder nicht mehr vergisst. Und wenn ihr nach diesem ausdrucksstark inszenierten, mahnenden Trümmerfilm mehr von Wolfgang Staudte sehen möchtet: Auch unser folgender Heimkino-Tipp stammt von ihm!
Dieser erschütternde Klassiker war jahrelang verboten und wurde massiv gekürzt – jetzt feiert er uncut Blu-ray-Premiere*Bei den Links zum Angebot von Amazon handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diese Links oder beim Abschluss eines Abos erhalten wir eine Provision. Auf den Preis hat das keinerlei Auswirkung.