Ganz anders als der unvergessliche Disney-Klassiker
Von Jörg BrandesAls Felix Saltens Roman „Bambi. Eine Lebensgeschichte aus dem Walde“ im Jahr 1923 veröffentlicht wurde, konnte noch niemand ahnen, dass aus dem Stoff einmal ein Filmklassiker werden würde. Das 1942 erschienene Disney-Zeichentrick-Meisterwerk „Bambi“ hat schon unzählige Menschen tief gerührt. Und zwar längst nicht nur Kinder. Wenn die Mutter des titelgebenden Hirschkalbs stirbt, das in der Vorlage ein Rehkitz ist, bleibt kaum ein Auge trocken.
Bereits in den 1930er Jahren gab es Überlegungen, den Roman des österreichischen Autors als Realfilm ins Kino zu bringen. Doch mit den damaligen Mitteln erschien das Vorhaben als zu schwer umsetzbar. So entschied man sich letztlich für einen Zeichentrickfilm. Der Franzose Michel Fessler zeigt nun, dass sich Bambis Geschichte auch gut mit echten Tieren erzählen lässt. Dabei hat er nach eigenen Angaben in „Bambi - Eine Lebensgeschichte aus dem Wald“ nur ganz wenig digital getrickst. Das Ergebnis mit seinen vielen bezaubernden Waldimpressionen kann sich neben dem Disney-Klassiker durchaus sehen lassen. Ob es auch dasselbe Maß an Emotionen hervorrufen kann, ist trotzdem noch mal eine andere Frage.
Nach seiner Geburt erkundet das Hirschkalb Bambi seine Waldwelt mit neugierigen Kulleraugen, stets beschützt von seiner Mutter. Eine Krähe, ein Hase und ein Waschbär werden allmählich seine Freunde. Außerdem spielt Bambi gern mit seiner Artgenossin Faline. Als seine Mutter durch die Hand eines Jägers ums Leben kommt, muss sich das Junge erstmal weitgehend allein durchs Leben schlagen. Immerhin kann es dabei auf seine Freunde zählen – und auch der stattliche Herr Papa trägt bald das Seinige zu Bambis Erwachsenwerden bei…
Zuletzt ist Disney bekanntlich dazu übergegangen, eigene Zeichentrickklassiker wie in diesem Jahr etwa „Schneewittchen“ und „Lilo & Stitch“ als mehr oder weniger CGI-gestützte Realwerke neu zu verfilmen. Bei „Bambi - Eine Lebensgeschichte aus dem Wald“ hatte der Micky-Maus-Konzern seine Hände allerdings mal nicht im Spiel. Der Film ist nämlich eine französische Produktion. Gedreht wurde hauptsächlich im Animal Contact Park, einem extra für Dreharbeiten mit Wildtieren ausgelegten Naturareal in der Nähe von Orléans. Weil es dort keine natürlich vorkommenden Skunke gibt, wurde aus Disneys mit Bambi befreundetem Stinktier Blume etwa ein Waschbär.
Wegen der geschickten Kameraführung von Daniel Meyer erkunden wir die Waldumgebung mit Bambis Augen. In zauberhaften Naturaufnahmen lernen wir die verschiedensten Waldbewohner kennen – auch solche, die dem Hirschkalb gefährlich werden können, wie Kreuzottern, Adler und Wölfe. Wie bei anderen, ähnlich gelagerten Filmen erstaunt auch hier, wie aus vielen einzelnen Aufnahmen dank Tiertraining (hauptverantwortlich: Muriel Bec) und wohlüberlegter Schnittarbeit (Laurence Buchmann) eine einigermaßen stringente Story erwächst, die sich grob am Wechsel der Jahreszeiten orientiert. Nur bei der Bildkomposition wurde mitunter nachgeholfen.
Die Geschichte ist eine Allegorie aufs Erwachsenwerden, die auch für Kinder verständlich sein sollte. Als „Märchentante“ fungiert in der deutschen Version Senta Berger, die sich alle Mühe gibt, den passenden Ton zu treffen. Im Unterschied zum Disney-Film sprechen die Tiere nicht. Allenfalls werden ihnen von Senta Berger gelegentlich Worte in den Mund beziehungsweise in die Schnauze oder den Schnabel gelegt. Natürlich lässt sich darüber streiten, ob die vermenschlichende Erzählweise der Waldfauna gerade auch angesichts der realen Aufnahmen angemessen ist. Regisseur Michel Fessler hat sich ja schon als Co-Autor von „Die Reise der Pinguine“ (2005) in dieser Hinsicht nicht gerade als zimperlich erwiesen.
Andererseits will „Bambi“ keine reine Naturdoku sein, sondern mehr ein Film, der seine junge Zielgruppe durch das Ansprechen von Emotionen auch für den Wald- und Tierschutz sensibilisieren will. Das könnte durchaus gelingen. Der Protagonist ist als Jungtier hinreichend putzig, seine Sidekicks sind es auch. Wegen der größeren Palette an visuellen Darstellungsmöglichkeiten fällt der Niedlichkeitsfaktor in der Zeichentrickversion allerdings höher aus als in der Realversion. Doch auch die lädt zum verstärkten Mitfiebern ein. Vor allem nach dem „Mord“ an Bambis Mutter, der etwas kinderschonend im Off begangen wird. Nein, der Mensch schneidet in diesem Film auch sonst nicht gut ab.
Fazit: Der gelegentlich etwas übertrieben vermenschlichende Erzählton, der von säuselnder Hintergrundmusik oft noch verstärkt wird, dürfte nicht allen gefallen. Gleichwohl ist der Film mit seiner anschaulichen und einigermaßen lehrreichen Coming-of-Age-Geschichte eines Hirschkalbs empfehlenswert. Besonders für ein junges Publikum.