Das It-Paar schlechthin
Von Michael MeynsWas wurde ihr nicht alles vorgeworfen: Sie habe die Beatles zerstört, John Lennon verhext, sei eine Schamanin oder noch schlimmeres. Anfang der 1970er sah sich Yoko Ono kaum verhohlenem Sexismus ausgesetzt, als Asiatin zusätzlich noch ebenso offenem Rassismus. Inzwischen hat sich der Blick auf die Künstlerin geändert, die auch mit über 90 Jahren noch aktiv ist und gerade zum Beispiel eine große Retrospektive ihrer Arbeit in Berlin eröffnet hat. Auch der Regisseur Kevin Macdonald („Der Mauretanier“) wirft in seinem Dokumentarfilm „One To One: John & Yoko“ einen differenzierten Blick auf ein Paar, das oft bewusst das Licht der Öffentlichkeit suchte, das extrovertiert und oft irritierend agierte, das aneckte und die Menschen bewegte. Mehr noch als das Porträt eines Power-Couples ist der collagenartige Film aber ein Bild der hochpolitischen frühen Siebzigerjahre.
August 1971, die Trennung der Beatles liegt ein Jahr zurück, aber die Wunden sind noch tief. Das Interesse der Öffentlichkeit ist weiter enorm, erst recht in New York, wo John Lennon seit kurzem mit seiner zweiten Frau, der japanischen Künstlerin Yoko Ono, ein eher bescheidenes Apartment bewohnt. Vorher hatten die beiden auf dem Land gelebt, doch dort war es dem aktivistisch umtriebigen Paar zu ruhig. In New York scheinen sie nun kaum jemals allein zu sein, Kameras und Tonbandgeräte zeichnen fast jede Bewegung, jede Bemerkung auf. Und das womöglich berühmteste Paar seiner Zeit nutzt die Aufmerksamkeit, um sich zu politischen und gesellschaftlichen Missständen zu äußern: dem Vietnamkrieg, der Bürgerrechtsbewegung, aber auch den katastrophalen Bedingungen in einem Heim für Menschen mit Einschränkungen – „School For Retarded Children“, wie es in der damaligen Sprache unverblümt hieß. Um Geld zu sammeln, spielte Lennon am 30. August 1972 ein Benefizkonzert…
Wer sich mit den Beatles auskennt, weiß natürlich, dass ebendieses Konzert das letzte im Leben von John Lennon sein sollte. In „One To One“ bildet es das dramaturgische Rückgrat für einen Dokumentarfilm, der in Form einer Collage ein Porträt von John Lennon und Yoko Ono zu Beginn ihrer Zeit in New York anfertigt, zugleich aber auch das Bild einer ganzen Ära entwirft. Richard Nixon war amerikanischer Präsident, der Vietnamkrieg tobte, der Kalte Krieg schwelte. Die Angst vor kommunistischen oder sozialistischen Sympathisant*innen war groß – und so geriet auch der ausgewiesene Friedensaktivist John Lennon schnell ins Visier der Geheimdienste. Dass Lennon in Talkshows oder im Radio oder eigentlich immer, wenn man ihm ein Mikrofon vors Gesicht hielt, gerne unverblümt redete und die Mächtigen kritisierte, machte ihn erst recht zum Ziel der konservativen Klasse. Zumal mit Yoko One eine Japanerin an seiner Seite stand, die als Kind die amerikanischen Luftangriffe auf Tokio überlebt hatte.
Angesichts des politischen Aktivismus des Paares könnte fast in Vergessenheit geraten, dass sie damals längst eine etablierte Künstlerin und er einer der berühmtesten Musiker aller Zeiten war. Kevin Macdonald gelingt es nun, alle Facetten des Paares anzudeuten. Schon in Dokumentarfilmen über Bob Marley („Marley“) oder Whitney Houston („Whitney“) hatte er fast ausschließlich mithilfe von Archivmaterial differenzierte Porträts zweier Ikonen gedreht – einen Ansatz, den er nun weiterführt. Ungefähr 18 Monate im Leben von Lennon und Ono beschreibt „One To One“ – von Mitte 1971, als das Paar nach New York zog, bis Ende 1972, als sie in das berühmte Dakota Building umzogen, vor dem Lennon 1980 ermordet werden sollte.
Dazwischen lag Lennons berühmt-berüchtigtes Lost Weekend, englischer Slang für ein durchgesoffenes Wochenende, an das man keinerlei Erinnerungen mehr hat. In Lennons Fall dauerte das Wochenende allerdings nicht nur zwei, drei Tage, sondern war ein gut anderthalb Jahre andauernder Drogen- und Alkoholexzess, während dessen er zudem eine Affäre hatte, ausgerechnet mit einer Assistentin von Yoko Ono. Das „One To One“ vorher abbricht, mag auch der Tatsache geschuldet sein, dass Macdonald seinen unbegrenzten Zugang zu Bild- und Tonaufnahmen damit bezahlte, dass sein Film eine Art autorisiertes Bild des Paares ist: Sean Ono Lennon, der 1975 geborene Sohn des Paares, fungierte als ausführender Produzent und Musikkoordinator. Er ermöglichte also einerseits den Zugang zu den faszinierenden Konzertaufnahmen, bei denen Lennon unter anderem Klassiker wie Imagine spielt. Zugleich dürfte er aber auch zumindest ein wachsames Auge darauf gehabt haben, wie seine Eltern im Film dargestellt werden.
Insofern macht die Entscheidung von Macdonald, keinen klassischen Porträtfilm zu drehen, von dem man erwarten würde, dass er zumindest ambivalent, wenn nicht sogar kritisch mit seinen Subjekten umgeht, zusätzlich Sinn. Stattdessen funktioniert „One To One: John & Yoko“ als Film über eine Ära, über eine Phase der amerikanischen Geschichte, die voller Konflikte zwischen der konservativen älteren und der liberalen jüngeren Generation war. Eine Ära, in der demonstriert und protestiert wurde wie selten vorher und nachher – und in gewisser Weise schrieb John Lennon den Soundtrack dazu.
Fazit: Seinen praktisch unbegrenzten Zugang zu Bild- und Tonmaterial über John Lennon und Yoko Ono nutzt Kevin Macdonald für eine mitreißende Collage, die weniger klassischer Porträtfilm sein will, sondern das Paar ganz im Kontext einer historischen Ära zeigt, die von besonders einschneidenden gesellschaftlichen Konflikten geprägt war.