Ein Martial-Arts-Superstar unterm Talar
Von Lutz GranertDonnie Yen wirbelte schon in den 1990er Jahren durch zahlreiche moderne Martial-Arts-Klassiker des Hongkong-Kinos, darunter etwa „Once Upon A Time In China 2“ oder „Iron Monkey“, bevor er als gleichnamiger Wing-Chun-Lehrer in der „Ip Man“-Filmreihe auch immer mehr internationale Fans einsammelte. Einem großen weltweiten Publikum wurde er unterdessen durch zwei Hollywood-Blockbuster – in denen er jeweils blinde Martial-Arts-Meister verkörpert – zum Begriff: als Chirrut Îmwe in „Rogue One: A Star Wars Story“ und als Cain in „John Wick 4“ (der demnächst mit „John Wick: Cain“ auch noch sein eigenes Spin-off erhalten soll). Wo er mitspielt, da lässt er die Fäuste fliegen – und so ist es nicht verwunderlich, dass er mit dem ursprünglichen Fokus von „The Prosecutor“, der zunächst als eher konventionell erzähltes Gerichtsdrama geplant war, nicht wirklich etwas anfangen konnte.
Doch Produzent Raymond Wong ließ nicht locker und ein paar Monate hatte er den chinesischen Superstar tatsächlich als seinen Co-Produzenten, Regisseur und Hauptdarsteller mit an Bord – allerdings unter der Bedingung, die Ausrichtung des Films noch einmal ordentlich umzukrempeln. Gesagt, getan: Donnie Yen besetzte ein paar alte Hongkong-Action-Veteranen in Nebenrollen und tauschte einige verbal schlagfertige Dialogpassagen gegen Szenen mit waschechter Handkanten-Action aus. Das erklärt dann auch, warum der handwerklich solide inszenierte Thriller etwas unentschlossen zwischen behäbigem Courtroom-Drama und furios choreografiertem Martial-Arts-Streifen hin und her springt.
Der Polizist Fok Chi-ho (Donnie Yen) kann den Freispruch für den Kopf einer Gangsterbande vor Gericht nicht fassen. Also quittiert er den Polizeidienst, studiert Jura und bekommt sieben Jahre später als Staatsanwalt seinen ersten kniffligen Fall zugeteilt: Der junge Ma Ka Kit (Ho Yeung Fung) hat freimütig seine Adresse für die Lieferung eines Pakets angeboten, in dem sich Kokain befindet. Als er von der Polizei erwischt wird, rät ihm Pflichtverteidiger Au Pak Man (Julian Cheung) dazu, sich noch vor Beginn eines Gerichtsprozesses wegen Drogenschmuggels schuldig zu bekennen.
Fok Chi-ho lässt sich trotz Bedenken auf den Deal ein, auch wenn der ebenfalls angeklagte Drogenhändler Chan Kwok-wing (Ka-Hei Lam) dadurch einer Strafe entgeht. Doch schon bald entdeckt Fok Chi-ho, dass dieser Fall nur einer von vielen ist, bei denen die Drogenmafia den Justizapparat für seine Zwecke ausnutzt – und beschließt deshalb, auch abseits des Gerichtsaals gegen die Verbrecher vorzugehen…
Auf einem Empfang rühmen Justizbeamte bei teurem französischem Rotwein schnelle und ressourcenschonende (heißt: schludrige) Gerichtsverfahren. Und dass Recht und Gerechtigkeit zwei Paar Schuhe sind, macht auch Fok Chi-ho in mal spitzfindigen, mal moralinsauren Monologen (und untermalt von pathetischen Streichern) während des Verfahrens deutlich, was ihm zuverlässig den Unmut des verkrusteten Richters George Hui (Michael Hui) einbringt. Die Drehbuchautoren Pak Wai Lam und Edmond Wong, der bereits zur „Ip Man“-Reihe einige Skripts beisteuerte, werden nicht müde, sich reichlich plakativ an den Missständen im Hongkonger Rechtssystem abzuarbeiten.
Am besten gelingt das noch in den Szenen außerhalb des Gerichtssaals, wenn etwa dem prinzipientreuen Fok Chi-ho beim Besuch von Ma Ma Kits ärmlich hausendem Großvater deutlich wird, was eine lange Haftstrafe für ihn und seinen Schützling bedeutet. Der einstige Martial-Arts-Star Kong Lau (aus John Woos Frühwerk „Der letzte Kampf der Shaolin“ von 1979) teilt allerdings altersbedingt nur verbal mit Beschimpfungen und Wutausbrüchen ordentlich aus.
Auch wenn es am Set wegen Sprachbarrieren zwischen der Film-Crew und dem japanischen Stunt-Team um Takahito Ôuchi („Rurouni Kenshin“) nicht ganz rund lief, so nach Verzögerungen auch noch Nachdrehs angesetzt werden mussten, punkten die Handvoll größerer Actionszenen auch durch ihre Originalität. Bei einer reichlich bleihaltigen Razzia wechselt die Kamera wie bei einem Egoshooter in die First-Person-Perspektive für eine enorm unvermittelte Einsatzerfahrung. Eine Verfolgungsjagd in der Stadt wandelt sich schnell zur Straßenschlacht mit Motorrädern, in denen Hockeyschläger und ausgehöhlte Kokosnüsse als improvisierte Waffen herhalten müssen. Überzeugen diese Szenen bereits mit perfekt getimter Actionchoreografie, so werden sie vom spannenden Finale noch übertroffen.
Wie dem Titelhelden im Finale von „John Wick: Kapitel 4“ werden auch Fok Chi-ho und seinem Kronzeugen auf dem Weg zum Gericht ein ganzes Arsenal von Au Pak Mans Schergen auf den Hals gehetzt, was in einer brachialen Schlägerei in der U-Bahn gipfelt. Spätestens wenn er nach dem Ausschalten von einem Dutzend bösen Buben noch mit zwei zünftigen Sprüchen auf den Lippen gegen eine hünenhafte Kampfmaschine antritt, zeigt Donnie Yen, dass er mit großer Wendigkeit immer noch gut in Form ist. Und dass er dabei eine ungleich bessere Figur abgibt als unter einer lächerlichen Perücke im Gerichtssaal, in dem immerhin fast die Hälfte des Films spielt.
Fazit: Den Gerichtsszenen fehlt es spürbar an jener Dynamik, mit der die Handvoll handwerklich sauber inszenierter Martial-Arts-Szenen umso mehr mitreißen. „The Prosecutor“ ist ein Genre-Zwitter, bei dem ein auf Systemkritik bemühtes Gerichtsdrama sowie handfeste Hongkong-Action nicht immer ganz ausgewogen auf Justitias Waage nebeneinanderstehen.