Vor Dracula kommen jetzt erst mal die Dinos
Von Jochen WernerAlles beginnt im Wonderland Dino-Park im rumänischen Cluj. Während ein abgerissener, einsam vor sich hin schimpfender Mann mit einer großen Plastiktasche Pilze und Flaschen sammelt, röhren animatronische Saurierskulpturen vor sich hin, Bewegungsmeldern sei Dank. Ein greller, von durchaus dunkler Komik geprägter Kontrast ergibt sich hier, der nicht nur bezeichnend für die Bilder ist, nach denen Radu Jude in seinen Filmen immer wieder sucht, sondern auch für die postkommunistische rumänische Gesellschaft.
Streift man zum Beispiel einmal durch die Straßen der Hauptstadt Bukarest, wird man geradezu erschlagen von der Heterogenität des Stadtbildes. Reste der historischen Altstadt stehen neben den totalitären Prunkbauten des Diktators Nicolae Ceaușescu, und dazwischen werden nun wiederum seit gut drei Jahrzehnten die gläsern-stählernen Tempel des Kapitalismus geknallt. Spazieren gehen durch Widersprüche, ein schönes Bild eigentlich für das Kino des Radu Jude („Erwarte nicht zu viel vom Ende der Welt“).
Sein neuer Film führt uns allerdings nach Transsilvanien, in eine Region, die nicht weniger zerrissen ist. In „Kontinental ‘25“ spielen allerdings andere historische Spaltungen eine zentrale Rolle. So führt uns Radu Jude den Schauplatz Cluj in der ursprünglich ungarischen Region als von Nationalismus zerrissen vor Augen. Mit vulgärsten anti-ungarischen Schimpfworten wird die Gerichtsvollzieherin Orsolya (Eszter Tompa) immer wieder bedacht, und obgleich ihr Ehemann einmal anmerkt, sie hätten doch früher immer gemeinsam darüber lachen können, ist Orsolya das Lachen längst vergangen.
Einmal nur lässt sie sich hinreißen, in ähnlich rassistischem Gestus zurückzuschießen: Warum Rumänen nicht in „Star Wars“ mitspielen, fragt sie ihren ehemaligen Studenten Fred (Adonis Tanța) nach einem gemeinsamen Saufgelage und unmittelbar vor einem tristen, betrunkenen Fick in einem nächtlichen Park. „Weil sie noch nicht einmal in der Zukunft arbeiten wollen“, lautet die witzig gemeinte Antwort.
Bis zu diesem Punkt haben wir Orsolya allerdings schon eine ganze Zeit lang begleitet, auf einem Weg durch die Stadt und den Film, der in einer Tragödie seinen Ausgangspunkt hat. Denn der arbeitslose alte Mann, dem wir in den Anfangsminuten von „Kontinental ‘25“ begegnet sind, hat sich das Leben genommen, und Orsolya macht sich für seinen Tod verantwortlich. Mit einem Räumungsbefehl und einem Trupp vermummter Gendarmen stand sie vor der Tür seiner ärmlichen Unterkunft in einem Heizungskeller, um diese im Auftrag eines großen Immobilienkonzerns zu räumen.
Ein „Hotel Kontinental“ soll dort gebaut werden, und immerhin einen Monat Aufschub habe sie für den alten Ion (Gabriel Spahiu) erwirken können. Mehr sei nicht zu machen, und für das eigene gute Gewissen übernehme sie ja ohnehin keine Räumungen in den harten Wintermonaten. Da müsse man schließlich damit rechnen, dass die auf die Straße geworfenen Menschen erfrieren.
Das Verwickelt-Sein in solcherlei Widersprüchlichkeiten, das Sich-Arrangieren und Sich-Durchwinden in einem unmenschlichen System, die aufgestaute Wut und die kleinen Bosheiten des alltäglichen Fortexistierens, all das sind die Grundthemen in fast allen Filmen von Radu Jude: ein Filmemacher, den man nicht nur wegen seiner Auszeichnung mit dem Goldenen Bären (2021 für „Bad Luck Banging Or Loony Porn“) zu den Großen des rumänischen Gegenwartskinos zählen muss, auch wenn seine Filme zuallermeist sehr bewusst klein gehalten sind.
Nicht unbedingt in Bezug auf das Ausmaß der gesellschaftlichen Panoramen, die er in ihnen skizziert – die sind ganz im Gegenteil oft ausladend und nachgerade enzyklopädisch. Aber die Formen, in denen er inszeniert, sind oft sehr bewusst klein gehalten, die Filme für sich offen ins Unreine gefilmt. Hier stellenweise gar mit einem Autofokus der verwendeten Digitalkamera, die ein seltsames Zittern ins Bild bringt – das Zittern einer billigen Kameratechnologie, die sich automatisch immer wieder neu fokussiert, weil sie nicht weiß, was genau sie eigentlich gerade scharf stellen soll.
Man kennt dieses Zittern aus Amateurvideos in sozialen Netzwerken, die ohne Kunstanspruch einfach Momente in Schnappschüssen festhalten, und exakt diese fragile Ästhetik des Formlosen strebt Jude in „Kontinental ‘25“ an. Damit funktioniert dieser neue Film durchaus als ein Gegenentwurf zu früheren, ebenfalls schneidend sozialkritischen, aber formal durchaus spielerisch aufgefächerten Meisterwerken wie „Mir ist es egal, wenn wir als Barbaren in die Geschichte eingehen“.
Im Grunde ist „Kontinental ‘25“ ein Drifterfilm. Im Anschluss an den Tod des alten Mannes sagt Orsolya den Familienurlaub ab und bleibt allein in Cluj. Hier trifft sie ihre Mutter und eine Freundin, die für eine NGO arbeitet, sich aber trotzdem vor dem Obdachlosen ekelt, der in ihrer Garage lebt und vor das Tor kackt. Außerdem lässt sie sich schließlich auf einen Seitensprung mit dem viel jüngeren Fred ein. Fuck the pain away.
Viele dieser Szenen wirken improvisiert und bleiben so unfokussiert wie der automatische Zoom der Digitalkamera, mit der das alles eingefangen wird. Dass das alles genau so sein soll und es sich um eine bewusste Regieentscheidung Judes handelt, ist eigentlich offenkundig. Ein roher, ungeformter Film, rasch aus dem Ärmel geschüttelt und eher aus Wut denn aus (wenngleich zynischer) Spielfreude heraus gestaltet.
Diese Wut zumindest ist stets zu spüren, und sie ist es auch, die „Kontinental ‘25“ letztlich trägt – auch wenn man nicht umhinkommt festzustellen, dass es sich hier um nicht mehr als ein Nebenwerk handelt. Den großen, radikalen Rundumschlag hat sich Radu Jude vielleicht einfach für seinen bereits abgedrehten, heiß erwarteten KI-Vampirfilm „Dracula Park“ aufgespart.
Fazit: Formal und narrativ bewusst schlicht gehalten und oft improvisiert wirkend, kommt „Kontinental ‘25“ nie so recht über den Status eines Nebenwerks hinaus. Die Wut, mit der der große rumänische Regisseur Radu Jude es aus dem Ärmel filmt und uns vor die Füße wirft, ist trotzdem spürbar und beträchtlich, und sie allein ist es, die diesen Film dann doch noch halbwegs trägt.
Wir haben „Kontinental ‘25“ im Rahmen der Berlinale 2025 gesehen, wo er als Teil des offiziellen Wettbewerbs gezeigt wurde.