Bildgewitter im Kopf eines Mode-Stars
Von Janick NoltingSofia Coppola beginnt mit der Reizüberflutung. „Gehe zu Marc Jacobs“, wird noch schnell in die Kamera gesprochen. Der Star lädt gerade zur großen Show, während schnell geschnittene Skizzen, Aufnahmen von Modenschauen, Filmszenen und allerlei Zeitkolorit aus den Bildarchiven der vergangenen Jahrzehnte vorbeiziehen. Nach ihrem Drama „Priscilla“ über die unglücklich verheiratete Ehefrau von Elvis Presley kehrt Coppola mit einer neuen A24-Produktion zurück, die sich in die Modewelt Amerikas wagt. Dabei hat die erste dokumentarische Arbeit der „Lost In Translation“-Regisseurin einen ganz persönlichen Bezugspunkt.
In „Marc By Sofia“ porträtiert Coppola ihren langjährigen Freund, den berühmten Modedesigner Marc Jacobs, der in den 1980er-Jahren seinen Durchbruch erlebte. Coppola begleitet ihn bei den Vorbereitungen für eine neue Modenschau und Kollektion. Sie zeigt ihn beim Planen, beim Auswählen von Stoffen oder dem perfekten Fingernagel-Look. Und immer wieder spricht sie mit Jacobs über dessen Leben, Arbeit und Inspirationsquellen.
Die Mode trifft hier auf die Filmgeschichte. Denn natürlich befruchten und vernetzen sich beide Welten miteinander. Wenn Marc Jacobs über seine Einflüsse und prägenden kulturellen Erfahrungen spricht, kommt er beispielsweise auf „Hello, Dolly!“, „Cabaret“ und „Sweet Charity“ zu sprechen. Es geht um seine Bewunderung für Barbra Streisand und Liza Minnelli. Woher die Faszination homosexueller Männer für diese Frauen rühre, fragt die Regisseurin. Und Jacobs kann es sich mit deren Theatralität, mit deren „camp of womanhood“ erklären.
Mit filmischen Inspirationen ist es aber nicht getan. Da werden zahlreiche weitere Verbindungen zu anderen Künstler*innen und Prominenten eröffnet, auch innerhalb der Fashion-Blase. „Marc By Sofia“ entwickelt daraus ein kurzweiliges, mitreißendes Montagekino, das immer wieder mit der Überwältigung und Rasanz seiner Eindrücke arbeitet. Aber der Film bleibt an der Oberfläche, kann sich gerade noch auf ein flüchtiges Staunen über diese funkelnde, ikonische Welt einigen, weiß aber abseits einiger fragmentarischer, bisweilen auch etwas trivial anmutender Selbstbespiegelungen wenig Aufregendes über die Modebranche zu erzählen.
Stattdessen zeigt der Film Gemeinplätze, naheliegende Aufnahmen, die nur noch Ästhetiken und Inszenierungen reproduzieren, statt ihnen eine andere Betrachtungsweise abzuringen. Wenn man vorher nicht damit vertraut war, was Jacobs Stil auszeichnet und abhebt, ist man nach dem Film nur mäßig schlauer.
Man kann Coppola durchaus positiv anrechnen, dass sie dabei nicht den bequemsten Weg gegangen ist. „Marc By Sofia“ besitzt Wagemut in seinem Konzept, das so stark auf das Assoziative und Verschlungene setzt. Andere Filmschaffende hätten eine solche biografische Dokumentation wahrscheinlich mühsam in eine Ordnung und klare Zeitlinie gepresst. Sie wären Stück für Stück den Werdegang ihrer Stars durchgegangen und dann womöglich irgendwann in der Gegenwart angelangt. Bei Coppola ist das viel wilder durcheinandergewürfelt und es ist nicht an einer solchen geordneten Zeitstrahl-Logik interessiert. Kurzum: „Marc By Sofia“ ist zum Glück kein Wikipedia-Kino geworden!
Stattdessen formen Coppolas Regie und der Schnitt von Chad Sipkin recht treffend die zerfaserte Logik und Dynamik derartiger Künstlergespräche ein, wie sie mit Jacobs vor der Kamera geführt werden. Da gibt es kurze Aufhänger, Fragen, Brocken, die hingeworfen werden. Und dann kommt man ins Sprechen und ins laute Nachdenken. Natürlich wird da gedanklich aus der Hüfte geschossen. Man schweift ab. Man kommt vom Hundertsten zum Tausendsten, springt hin und her. Coppolas Film versucht, mit diesen Sprüngen Schritt zu halten und mit Bildern auf das Gesagte zu reagieren. Bisweilen glaubt man wirklich, in den Kopf des Künstlers zu schauen, wo sich Gedanken, Ideen und Erinnerungen in einem kunterbunten Kaleidoskop tummeln und überlagern, das andauernd neu durchgeschüttelt wird.
Das fängt die schillernden Spektakel und Fassaden dieser Modewelt energiegeladen ein. Aber es bleibt in letzter Konsequenz leer, leblos. „Marc By Sofia“ wird mit jeder Minute stärker zu einem reinen Glotzen, das nicht aushalten kann, einfach mal dem Protagonisten beim Sprechen länger zuzuhören, Momenten und Facetten Raum zur Entfaltung zu geben. Stattdessen soll hier alles permanent möglichst schnell vorpreschen und mit Archivbildern visualisiert werden, obwohl bei dem Material oft kaum ersichtlich ist, woher dieses stammt, was dort zu sehen ist und wie es mit den Gesprächen zusammenhängt. Es reicht allein der grobe Wiedererkennungswert. Hauptsache, es hat im entferntesten Sinne etwas mit dem Gesagten zu tun.
Das Konkrete, Individuelle soll dadurch immer mit dem kollektiven Bildfundus der Geschichte kommunizieren. Aber wenn man ehrlich ist, folgt ein Großteil des Films dem Prinzip einer wüst geschnittenen, leicht konsumierbaren Videomontage, der einfach keine Verdichtung gelingen will. Und so wirft der Film einen prominenten Namen, eine Marke und Anekdote nach der anderen in den Ring. Hier ein Kleid für Paris Hilton, dort ein Gerichts-Outfit für Winona Ryder. Dann spricht man kurz über die Eltern, den früh verstorbenen Vater von Jacobs. Dann gibt es die ein oder andere Erzählung aus der Studienzeit. Dann geht es wieder an die Arbeit in der Gegenwart.
„Marc By Sofia“ ist ein Imagefilm für Jacobs, der eine enttäuschende Betriebsblindheit an den Tag legt. Vielleicht liegt es an der Vertrautheit zwischen Coppola und ihrem Protagonisten. Vielleicht fehlt tatsächlich ein wenig die Distanz, um sich tiefere Gedanken zu machen, was an der ganzen Welt eigentlich so interessant ist, was sie heute überhaupt bedeutet. Coppola taucht mit der Faszination eines unbedarften Fans in die Welt der Haute Couture ein. Aber ist das nicht etwas zu naiv geraten?
Es geht nicht darum, dass die Regisseurin nach Leichen im Keller graben oder zwingend eine Kritik oder dergleichen üben muss. Aber Coppola hat gerade für die eigentlichen Arbeitsprozesse rund um die Modenschau, die den ganzen Film nun einmal rahmen soll, keinen sonderlich fokussierten Blick. Sie schafft es weder, die ökonomische Realität und den medialen Zirkus noch die Abläufe der künstlerischen Arbeit adäquat abzubilden. Vom konkreten Handwerk, das sich an die bloße Idee anschließt, ganz zu schweigen. Auch da bleiben immer nur kurze Ausschnitte. Hier wird mal eine Schulterpartie abgesteckt. Dort muss noch fix ein Kleid am Rücken mit Sicherheitsnadeln zusammengehalten werden, aber das war es auch schon.
Es ist nicht so, als würde man Jacobs nicht gern zusehen und zuhören. Der Designer ist sympathisch und interessant genug, um einen solchen Film zu tragen. Aber Coppolas Regiearbeit findet eigentlich erst im letzten Akt eine markante, eigensinnig filmische Perspektive. Dann etwa, wenn Models für den großen Auftritt geschminkt werden. Die Kamera geht mitunter so nah an sie heran, dass die Körper zur befremdlichen Landschaft werden. Der Mensch wird dem Alltagsblick entrückt. Spannend ist außerdem, dass sich ausgerechnet bei der Modenschau kein Eindruck der Ganzheit, keine ästhetische Vollendung einstellen will. Stattdessen verkehrt Coppola diesen Eindruck formal in das genaue Gegenteil.
Das Performen auf dem Laufsteg wird zwar in Zeitlupe verlangsamt, aber Coppola gönnt dem Publikum wenig Zeit, die Kostüme und Kleider zu bewundern. Vielmehr werden Körperteile und Outfits in unzählige Close-ups zerlegt. Plötzlich sieht man nur noch ein Stück Stoff aus der Nähe oder die Haut der Hals- und Schulterpartie. Das Gesamtbild aber bleibt der Kamera verwehrt. Die künstlerische Arbeit ist vollendet. Sie wird öffentlich vorgeführt, zerfällt aber bereits wieder in alle Einzelteile, um den nächsten kreativen Prozess anzustoßen.
Coppola spricht mit Marc Jacobs über das „post-art-done“-Gefühl, angelehnt an „postpartum“ beziehungsweise „postpartal“. Die Leere und Erschöpfung also nach einer fertigen künstlerischen Arbeit. Die Zeit, in der sich Kreative neu sortieren und sammeln müssen, um in einen neuen Lebensabschnitt zu starten. Und eine ähnliche Leere empfindet man am Ende dieses Films, der Kunst und Künstler nur als Durcheinander an Referenzen und kleinen persönlichen Splittern einzufangen weiß. Das ist ein Kennenlernen auf Augenhöhe, das dennoch selten über den Smalltalk hinauskommt.
Fazit: Sofia Coppola hat dem befreundeten Designer Marc Jacobs ein wohlwollendes, kurzweiliges, aber viel zu konfuses und oberflächliches Doku-Porträt gewidmet. „Marc By Sofia“ versucht, eine entsprechende Form für die einzelnen Interviews zu finden, verliert sich dabei aber in Namen, Bildfetzen und Unmengen an Archivmaterial, das viel illustrieren will, aber wenig zeigt.
Wir haben „Marc By Sofia“ beim Venedig Filmfestival 2025 gesehen, wo er außer Konkurrenz seine Weltpremiere gefeiert hat.