Wie gut ist der – mit Abstand – teuerste Netflix-Film aller Zeiten?
Von Markus TruttDas Schaffen von Joe Russo und Anthony Russo findet spätestens seit ihrem fulminanten (ersten) „Avengers“-Doppel fast nur noch in Superlativen statt. Mit „Avengers: Endgame“ haben sie für den zwischenzeitlich erfolgreichsten und aktuell noch immer zweiterfolgreichsten Film aller Zeiten gesorgt. Ihr Amazon-Mammutprojekt „Citadel“ gilt als eine der teuersten Serien überhaupt und ihr 200 Millionen Dollar schwerer „The Gray Man“ führte seit 2022 die Liste der teuersten Filme der Netflix-Geschichte an – bis jetzt!
Denn nun haben es die Regie-Brüder, die als nächstes mit „Avengers: Doomsday“ das schlingernde MCU zurück in die Spur bringen sollen, schon wieder getan – und sich damit prompt noch einmal selbst in den Schatten gestellt: Ihr zunächst für eine Kinoauswertung vorgesehener, nun aber direkt bei Netflix erscheinender Sci-Fi-Blockbuster „The Electric State“ soll sage und schreibe 320 Millionen Dollar verschlungen haben (und damit gar nicht so viel weniger als der besagte „Endgame“)! Natürlich garantiert so ein stattliches Budget aber noch keinen guten Film. Und das wird in dem zumindest in Sachen Effekte über jeden Zweifel erhabenen „The Electric State“ noch deutlicher als vor drei Jahren beim mittelprächtigen „The Gray Man“.
In einer alternativen Welt haben sich einst von Walt Disney (!!!) erschaffene Roboter zu unverzichtbaren Alltagsgehilfen entwickelt, die den Menschen die unterschiedlichsten unliebsamen Aufgaben abnehmen. Doch damit wollen sich die ständig weiter optimierten Maschinen irgendwann nicht mehr abfinden. In den 1990er Jahren kommt es deshalb zum Roboter-Aufstand, den die Menschen schließlich mithilfe fortschrittlicher Drohnen doch noch zerschlagen können.
Die verbliebenen Bots werden in die sogenannte Exklusionszone gesperrt. Genau dorthin macht sich eines Tages auch die junge Michelle (Millie Bobby Brown) auf den Weg, als sie erfährt, dass sich ihr totgeglaubter kleiner Bruder Chris (Woody Norman) dort aufhalten soll. Aber auf eigene Faust wäre der Trip in das streng abgeriegelte Gebiet ein Selbstmordkommando. Also tut sie sich wider Willen mit dem windigen Schmuggler Keats (Chris Pratt) zusammen…
„The Electric State“ basiert auf dem gleichnamigen illustrierten Roman des schwedischen Künstlers Simon Stålenhag, der auch schon die lose Vorlage für die Amazon-Sci-Fi-Serie „Tales From The Loop“ lieferte. Mit düster-morbiden und absolut atemberaubenden Bildern entwirft Stålenhag in seinem Buch eine triste Postapokalypse, deren tiefe Melancholie weit über den Seitenrand hinausragt. Die Russos gehen bei ihrer Adaption allerdings einen etwas anderen Weg: Zwar behalten sie einige Grundpfeiler von Stålenhags Welt bei, aber ihre Version der Geschichte kommt trotz des endzeitlichen Settings eher als beschwingtes Familien-Abenteuer daher.
Schließlich ist es den Russos ein erklärtes Anliegen, ihre Botschaft zum Umgang mit Technologie auch einem jüngeren Publikum näherzubringen. Das Problem dabei: Wirklich was Neues haben sie zum Thema eigentlich gar nicht zu sagen. Die am Ende noch hastig angeklatschte Plattitüde, dass die echte Welt fernab jeglicher Technik und Virtual-Reality-Spielereien doch eigentlich auch ganz dufte sei, wirkt nach der zweistündigen Zelebrierung des modernen CGI-Kinos eher wie eine obligatorische Pflichtübung als ein organisch aus dem Film gewachsener Appell.
Trotzdem ist die abgewandelte tonale Ausrichtung vor dem Hintergrund dieser Intention legitim, zumal Joe und Anthony Russo aus dem 320-Millionen-Budget einen durchaus spannenden postapokalyptischen Spielplatz erschaffen. Dessen Einführung ist angesichts der vielen, meist über Fernsehbeiträge vermittelten Expositionsbrocken zwar etwas ungelenk, doch ist die Welt erst einmal etabliert, wird sie auch mit ordentlich Leben gefüllt. Das ist vor allem den kreativ designten und großartig animierten Robotern zu verdanken. Besonders stark kommt das zum Tragen, als Michelle und Keats auf die kleine Robo-Zivilisation stoßen, die sich die Maschinen in der Exklusionszone aufgebaut haben und bei der es an wirklich jeder Ecke etwas zu entdecken gibt.
Wenn uns hier allerlei ausgediente Friseur-, Haushalts- und Werberoboter auf Sinnsuche vorgestellt werden oder wir wenig später im angrenzenden Ödland zudem noch Bekanntschaft mit bedrohlichen Zombie-Robotern machen, sprudelt „The Electric State“ nur so vor originellen und verrückten Ideen. Leider lässt sich dergleichen nicht für die Handlung sagen, die trotz der Einbettung in das ungewöhnliche Szenario sehr ausgetretenen Story-Pfaden folgt und die stets vorhersehbaren Wendungen trotzdem einigermaßen verzweifelt als Twists zu verkaufen versucht.
Das alles mündet in einen Showdown, in dem es zwar ordentlich kracht, dessen Wirkung aber nahezu verpufft. Das liegt daran, dass die Russos hier nicht nur mit einer austauschbaren Gegnerschar aufwarten, sondern abseits der makellosen Effekte und der gekonnt vermittelten Größe ihrer Set-Pieces auch sonst keine inszenatorischen Akzente setzen können, die länger im Gedächtnis bleiben. Ähnliches lässt sich auch von den Figuren sagen, denen man folglich nur bedingt die Daumen drückt. Chris Pratt spult einmal mehr eine Variante seiner beliebten Star-Lord-Persona ab, diesmal nur mit schlechtsitzender 90s-Perücke. „Stranger Things“-Star Millie Bobby Brown funktioniert hingegen zumindest streckenweise noch als emotionaler Anker, vor allem dank ihrer glaubhaften Darstellung der innigen Geschwisterbeziehung.
Wirkliche Buddy-Chemie zwischen den beiden mag aber nicht aufkommen – und das, obwohl Joe und Anthony Russos Stamm-Autoren Christopher Markus und Stephen McFeely bei den gigantischen Ensembles der „Avengers“-Filme noch meisterhaft verstanden haben, aus den teilweise so unterschiedlichen Charakteren sowohl mitreißende Einzelmomente herauszukitzeln als auch starke Gruppendynamiken zu formen. Besser klappt das dann schon mit ihren jeweiligen Robo-Sidekicks. Vor allem der im Original vom neuen Captain America Anthony Mackie herrlich abgebrüht vertonte und in unterschiedlichen Größen-Ausführungen daherkommende Herman ist mit seiner keck-trockenen, aber doch stets herzensguten Art ein echtes Highlight. Stanley Tucci („Die Tribute von Panem“) bleibt als schurkischer Tech-Mogul irgendwo zwischen Elon Musk und Steve Jobs derweil völlig blass.
Fazit: Fantastische Animationen und eine lebendige Robo-Welt können in „The Electric State“ leider nicht über die uninspirierte Story und die an Höhepunkten arme Inszenierung hinwegtäuschen. Gerade angesichts des Rekord-Budgets hätte hier wirklich mehr drin sein müssen.