Spannendes Subjekt, lahmer Film
Von Michael Meyns80 Jahre liegt das Ende des Zweiten Weltkriegs inzwischen zurück, nur noch wenige Zeitzeug*innen sind am Leben. Zum Glück dürfte aber praktisch jeder Aspekt des Dritten Reichs untersucht, in Büchern verarbeitet und in Filmen thematisiert worden sein. Der italienische Regisseur Silvio Soldini, in Deutschland vor allem bekannt durch seinen Komödien-Erfolg „Brot und Tulpen“ mit Bruno Ganz, hat nun dennoch ein bislang noch unbeackertes Thema gefunden – wenngleich auch ein stark spekulatives:
In „Die Vorkosterinnen“ geht es um eine Gruppe junger Frauen, die 1943 und 1944 unweit von Adolf Hitlers Unterschlupf in Ostpreußen das Essen des Diktators verkosten mussten, um so mögliche Giftanschläge zu verhindern. Was sich auf den ersten Blick wie ein ebenso seltsamer wie potenziell spannender Blick in die dem Untergang geweihte Nazi-Führungsetage anhört, erweist sich alsbald jedoch als mehr als träge Geschichte, die doch nur allzu bekannte Klischees und Stereotype des Zweiter-Weltkrieg-Genres variiert.
November 1943. Die Schlacht von Stalingrad ist verloren, der Zweite Weltkrieg geht unweigerlich dem Ende entgegen, aber noch tobt der Krieg. Die junge Rose (Elisa Schlott) flieht vor den Luftangriffen der Alliierten aus ihrer Berliner Heimat nach Ostpreußen, wo ihre Schwiegereltern im kleinen Dorf Groß-Partsch leben. Roses Mann wird unterdessen irgendwo in Russland vermisst, die Hoffnung auf ein Wiedersehen ist gering, die Not dafür groß, das Essen knapp.
Da wirkt es fast wie ein Wink des Schicksals, dass Rose von der SS zu einem besonderen Dienst rekrutiert wird: Zusammen mit anderen jungen Frauen aus dem Dorf soll sie das Essen von Adolf Hitler verkosten. Der hat sich in der Nähe von Groß-Partsch in der legendären Wolfsschanze eingebunkert, wo wenige Monate später das Attentat vom 20. Juli stattfinden wird. Doch Hitler bleibt unnahbar, wohingegen Rose schon bald mit dem strammen SS-Offizier Albert Ziegler (Max Riemelt) anbändelt…
Offiziell basiert „Die Vorkosterinnen“ auf einem 2018 veröffentlichten Roman von Rosella Postorino, der bislang zwar noch nicht auf Deutsch, dafür aber gleich unter zwei Titeln, „The Women At Hitler´s Table“* und „At The Wolf’s Table“*, auf Englisch erschienen ist. In dem Buch verarbeitet die Autorin die Erlebnisse von Margot Woelk, einer 2014 im sagenhaften Alter von 96 Jahren verstorbenen Frau, die erst kurz vor ihrem Tod mit ihrer spektakulären Lebensgeschichte an die Öffentlichkeit ging. Geradezu haarsträubend mutete ihre Geschichte an, die allerdings von unabhängigen Historiker*innen stark angezweifelt wird. Vorkoster habe es in der Wolfsschanze nie gegeben, Berichte über junge Frauen, die das Essen des Führers verkostet haben, sind nicht überliefert. Die Wogen des Krieges haben alle Spuren, so es sie denn überhaupt gab, vernichtet.
Dass gerade die deutschen Medien auf die Geschichte Woelks ansprangen und ausführlich berichteten, überrascht nicht. Zu morbide hört es sich schließlich an, dass Adolf Hitler so wie mittelalterliche Könige oder moderne Autokraten aus Angst vor Anschlägen so paranoid wurde, dass für ihn irgendwann selbst die banale Suppe eine tödliche Bedrohung darstellte. Wenn dann im Film die jungen Frauen zusammen mit Hitlers Koch am Tisch sitzen und schmackhafte Gerichte verkosten, wirkt es je nach Sichtweise banalisierend oder komisch, wenn über Hitlers Hang zum vegetarischen diskutiert wird oder man sich freut, dass der Führer die letzten Tage wieder gut schlafen konnte.
Natürlich wagt es Soldini nicht, die Absurdität der Situation zu betonen, auch wenn der Stoff – ob wahr oder nicht – viel Potenzial für eine Farce gehabt hätte. Stattdessen bleibt es ernst, sehr ernst: Die farbentsättigten Bilder bleiben ebenso düster wie die Stimmung der Frauen. Schließlich schreiben sie die SS-Männer in typischer Kino-SS-Manier zusammen, während die Geigen auf der Tonspur jaulen und das nahende Unheil andeuten. Spannung soll nicht aus der Frage entstehen, ob Hitler wirklich vergiftet wird, bekanntermaßen fand der Diktator ja erst im April 1945 in Berlin sein Ende, sondern aus dem Schicksal der jungen Frauen, besonders Rosa.
Doch die bleibt ebenso blass wie die anderen, die schematisch zwischen dezidierten Nazi-Fanatikerinnen, die bis zuletzt an den Endsieg glauben, und solchen, die sich schon vor den Russen fürchten, aufgeteilt werden. Auch eine versteckte Jüdin gibt es, natürlich möchte man sagen. Man kennt dies und so ziemlich alles andere aus den allzu vielen ähnlichen Filmen, die in den letzten Jahrzehnten entstanden sind. So ist „Die Vorkosterinnen“ am Ende nicht mehr als ein weiterer Film über das Dritte Reich und den Zweiten Weltkrieg, der zwar einen scheinbar neuen Ansatz wählt, aber dennoch nichts Neues oder gar Originelles zu sagen hat.
Fazit: Mit seinem angestrengten Drama „Die Vorkosterinnen“ gelingt es Silvio Soldini nicht, dem Thema Zweiter Weltkrieg/ Nationalsozialismus im Kino noch einmal neue Aspekte abzugewinnen. Seine (möglicherweise) auf wahren Begebenheiten beruhende Geschichte um eine junge Frau, die als Vorkosterin Hitlers Essen testet, bleibt sowohl inhaltlich als auch stilistisch dünn und variiert so schließlich doch nur altbekannte Klischees und Stereotypen.
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