Netflix‘ "Barbie"-Moment
Von Björn BecherWeder „Superman“ noch „The Fantastic Four: First Steps“ und auch nicht „Jurassic World: Die Wiedergeburt“ ist der größte Film des Kinosommers 2025. Diese Ehre gebührt mit „KPop Demon Hunters“ – erstmals! – einem Streamingtitel! Und das nicht nur, weil es das animierte Action-Musical zum meistgeschauten Netflix-Titel überhaupt gebracht hat, sondern weil es über Wochen hinweg in der Popkultur-Diskussion geblieben ist. Netflix hat schließlich schon viele Streaming-Publikumsrenner produziert, aber im Gegensatz zu Serien wie „Wednesday“ oder „Stranger Things“ haben die Filme bislang selten bleibenden Eindruck hinterlassen. „Red Notice“, „The Adam Project“ und „The Gray Man“ wurden zwar viel angeschaut, aber anschließend auch sofort wieder vergessen.
Mit „KPop Demon Hunters“ hat Netflix jetzt bewiesen, dass es im Gegensatz zum Vorwurf vieler Kritiker*innen auch Filme liefern (oder in diesem Fall vom Studio Sony einkaufen) kann, die sich auf eine Weise ins popkulturelle Gedächtnis brennen, wie es bislang nur Kinofilme wie zuletzt etwa „Barbie“ gelang. Um auch die letzten Zweifel zu beseitigen, hat man „KPop Demon Hunters“ am sechsten (!) Wochenende nach Netflix-Start für zwei Tage in die US-Kinos gebracht – und die Säle waren bei der Mitsing-Version voll mit kostümierten und ausgesprochen textsicheren Fans. Aber warum ist ausgerechnet „Kpop Demon Hunters“ so ein Erfolg geworden?
Einen großen Anteil daran hat sicher, dass „Kung Fu Panda 3“-Storykünstlerin Maggie Kang in ihrem Regie-Debüt gemeinsam mit Co-Regisseur Chris Appelhans („Der Wunschdrache“) ihre zwar altbekannte, aber wichtige Botschaft über Selbstakzeptanz mit unglaublich viel Herz, stark choreografierter Animations-Action und vor allem eingängigen Pop-Songs präsentiert. Und auch wenn „KPop Demon Hunters“ sich in erster Linie an Kids und Teenager*innen richtet, kann man auch im erwachsenen Alter verdammt viel Spaß damit haben, eine Menge entdecken und so auch viel lernen.
Seit Generationen ist es die Aufgabe wechselnder Frauen-Trios, die Welt und die Seelen aller Menschen vor den gefährlichen Dämonen des Unterweltgottes Gwi-Ma (Lee Byung-hun) zu beschützen. Weil nur bezaubernder Gesang eine die Oberwelt abriegelnde magische Barriere (das Honmoon) stabilisieren kann, sind die Jägerinnen zugleich ein Musik-Trio – immer passend zum aktuell angesagten Stil ihrer Zeit.
In der Gegenwart sind es Rumi (Stimme: Arden Cho / Gesang: Ejae), Mira (May Hong / Audrey Nuna) und Zoey (Ji-young Yoo / Rei Ami), die als Kpop-Trio Huntr/x eine einmalige Chance bekommen: Sollte ihre neue Single der erhoffte globale Superhit werden, können sie sogar das Goldene Honmoon erschaffen – ein Siegel, welches Gwi-Ma und seinen dunklen Minions für immer den Zutritt zur Erde verwehren würde.
Weil Gwi-Mas verzweifelte Versuche, das Jägerinnen-Trio vorher auszuschalten, alle scheitern, schlägt ihm der Dämon Jinu (Ahn Hyo-seop / Andrew Choi) eine neue Strategie vor: Die von ihm angeführte Boyband Saja Boys soll die Huntr/x an Popularität überflügeln und so das Golden Honmoon verhindern.
Der Plan führt schnell zu ersten Erfolgen – auch weil Rumi plötzlich nicht mehr sie selbst ist und ihre Stimme brüchig wird. Das ist weniger dadurch begründet, dass sie sich von Konkurrent Jinu angezogen fühlt, sondern liegt vor allem an einem Geheimnis, welches sie vor aller Weilt und sogar ihren beiden Kolleginnen verbirgt. Sie ist selbst eine Halb-Dämonin und hofft, mit dem Goldenen Honmoon diese Seite von sich „heilen“ zu können…
Mit einem Budget von 100 Millionen Dollar wurde „KPop Demon Hunters“ vom Hollywood-Studio Sony erst fürs Kino entwickelt, dann aber bereits in einem frühen Produktionsstadium aufgrund dringend benötigter Einnahmen während der Corona-Pandemie an Netflix abgetreten. Der Streamingdienst übernahm nicht nur die Kosten, sondern zahlte Sony zusätzliche 20 Millionen Dollar – am Ende eines der für Netflix wohl profitabelsten Geschäfte der Filmgeschichte. Denn jetzt hat man einen Instant-Kult-Hit, der weit über die eigene Plattform hinaus erfolgreich ist. So stellte auch der Soundtrack einen Rekord auf: Vier Songs aus dem Film standen gleichzeitig in den Top-10 der US-Singlecharts – das gelang zuvor noch nie einer Filmmusik.
Die Lieder sind aber auch ein absolutes Prunkstück von „KPop Demon Hunters“. Ob „How It's Done“, mit dem das Trio eingeführt wird, die zentrale Mega-Ballade „Golden“ oder der gleich in zwei Versionen verfügbare Diss-Track „Takedown“ - jedes Lied von Huntr/X hat eine gelungene Kombination aus mitreißenden Beats und eingängigen Texten, bei denen man selbst als Nicht-Kpop-Fan leicht zum Mitsummen gebracht wird. Zugleich gelingt es Singer-Songwriterin Ejae, die nicht nur als Rumi performt, sondern in erster Linie für die Entwicklung der Lieder verantwortlich war, mit den Songs konsequent die Handlung voranzutreiben, den Figuren einen emotionalen Unterbau zu verleihen und dem Publikum, eine Menge über wichtige Themen wie sogar psychische Gesundheit zu erzählen.
Selbst die beiden Saja-Boys-Songs „Soda Pop“ und „Your Idol“ sind mehr als die seichten Nummern, als welche sie ganz bewusst im Kontrast zu den tiefgründigeren Titeln der Heldinnen präsentiert werden. Auch sie erfüllen ihre Funktion innerhalb des Films perfekt. Dass der eigentlich völlig nichtssagende „Soda Pop“ direkt als Ohrwurm auch bei uns hängen bleibt, verleiht dem Umstand, dass er im Film wie ein Virus die gesamte Bevölkerung befällt (also nicht nur Teenager, sondern auch Büroangestellte im fortgeschritteneren Alter zu kreischenden Fans macht), erst die nötige Glaubwürdigkeit.
Das von Rumi und Jinu gemeinsam vorgetragene „Free“ unterstreicht zusammen mit „Golden“ die Botschaft des Films. Es geht darum, sich selbst zu akzeptieren, die eigene Identität zu feiern und vermeintliche Schwächen vielleicht auch als Stärken zu verstehen. Es ist sicher keine neue Aussage, doch sie wird hier nicht nur mit viel Herz und Schwung erzählt, sondern nachvollziehbar vermittelt. Es ist zudem ein cleverer Schachzug, die Vielfältigkeit dieses Appells zu unterstreichen: So muss nicht nur Rumi erkennen, dass sie die Dämonenmale auf ihrer Haut nicht länger verbergen muss, auch Mira und Zoey verstehen, dass bestimmte Charakterzüge, mit denen sie ihr Leben lang gehadert haben, etwas sind, auf das sie eigentlich stolz sein können.
Es wird jetzt im Nachhinein viel darüber gelästert, dass sich Sony mit der Abgabe des Projekts an Netflix womöglich einen riesigen Kino-Zahltag durch die Lappen gehen ließ. Ob „KPop Demon Hunters“ auch auf der großen Leinwand zu einem vergleichbaren Mega-Hit geworden wäre, bleibt aber pure Spekulation. Mit Gewissheit lässt sich sagen, dass Sony sich damit einmal mehr an der Spitze innovativer Animationskunst in Hollywood hält. Wie schon in „Spider-Man: A New Universe“ und dem Nachfolger „Spider-Man: Across The Spider-Verse“ geht man voll ins Risiko, wenn vertraute Muster und Stile aufgebrochen und neu zusammensetzt werden.
So gibt es moderne 3D-Modelle und fotorealistische Passagen, die aber im nächsten Moment durch Cartoon- und Anime-Einflüsse gebrochen werden. Da springt der völlig geflashten Zoey beim Anblick eines entblößten Sixpacks vor Begeisterung Popcorn aus den Augen, was die ebenfalls sehr angetane Mira mit einem Zwinkern gen Publikum verspeist. Techniken, die eigentlich aus dem klassischen 2D-Zeichentrickkino bekannt sind, werden hier im computeranimierten 3D-Film eingesetzt. Dazu zählen zum Beispiel sogenannte Schmierbilder, bei denen schnelle Bewegungen bewusst mit einer Unschärfe versehen sind. Dann wirkt es plötzlich so, als habe Mira mehrere Arme, wenn sie einen Dämon verprügelt.
Bei all dem findet auch keine typische Hollywoodisierung der asiatischen Kultur statt – ganz im Gegenteil: Die koreanischen Wurzeln des Stoffes werden in allen Bildern durch Kostüme, die Ausstattung wie auch die Gestaltung der Figuren betont, ohne dass man dabei in Klischees verfällt. Die herausragende Inszenierung profitiert zudem davon, dass Action und Tanz ja klassischerweise sehr eng beieinander liegen. Als Chad Stahelski für den vierten Teil seiner gefeierten Action-Reihe „John Wick“ die Sängerin Rina Sawayama an Bord holte, hatte er keinerlei Bedenken, dass sie trotz fehlender Erfahrung die anspruchsvollen Kampfszenen beherrschen würde. Er hatte sie nämlich vorher tanzen sehen.
In „KPop Demon Hunters“ sind konsequenterweise Tanz-Bewegung und Prügel-Action oft ein und dasselbe. Da verkloppen die Jägerinnen auch mal während eines Live-Konzerts eine Horde Dämonen – und ihre nichtsahnenden Fans glauben, einem spektakulären Auftritt mit verdammt guten Spezialeffekten und erstklassigem Dämonen-Make-Up beizuwohnen. Bühnenshow und Weltenrettung verschmelzen hier zu einem visuell spektakulären Erlebnis.
Fazit: Netflix hat seinen „Barbie“-Moment, denn das Animations-Action-Musical ist so viel mehr als einfach nur ein Streaming-Hit. Der Liebeserklärung an die Macht der Musik, an Selbstakzeptanz und an kreative Animation gelingt mit einprägsamen Songs, cleverer Symbolik und visuellem Einfallsreichtum der Spagat zwischen Teenie-Drama, Fantasy-Action und Musical-Fest – und damit der Sprung zu einem festen Platz im popkulturellen Gedächtnis. Von „KPop Demon Hunters“ werden wir noch viel hören und sehen – und das sicherlich längst nicht nur in Form des bereits bestätigten zweiten Teils.