The History Of Sound
Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
3,5
gut
The History Of Sound

"Brokeback Mountain" mit Musiksammlern statt Cowboys

Von Michael Meyns

„Glücklichsein ist keine Geschichte, also gibt es über die ersten Wochen nichts zu erzählen“, sagt eine der Hauptfiguren in Oliver Hermanus' betont zartem, zurückgenommenem Drama „The History Of Sound“. Der Regisseur erzählt von einer schwulen Liebesgeschichte in den 1920er-Jahren und ihren noch Jahrzehnte nachwehenden Folgen – und hat dafür mit Paul Mescal („Gladiator 2“) und Josh O'Connor („Challengers“) zwei der talentiertesten, angesagtesten (und ja, auch heißesten) Darsteller ihrer Generation zusammengebracht.

Auf einer Reise durch den amerikanischen Nordosten lässt sich das Duo von einfachen Menschen in meist ländlichen Gegenden traditionelle Lieder vorsingen, die ansonsten wahrscheinlich für immer verloren gehen würden. Das ist ausgesprochen wortkarg, fast schon elegisch gefilmt – aber Hermanus weiß eben, dass er sich ganz auf die Aura seiner Stars verlassen kann: „The History Of Sound“ wirkt altmodisch, manchmal fast schon zu manieriert in seinen perfekten Bildern – und doch entfaltet er gerade in der zweiten Hälfte eine große emotionale Kraft.

Zwischen Lionel (Paul Mescal) und David (Josh O'Connor) ist es eine Liebe auf den ersten Song… Fair Winter LLC. All Rights Reserved.
Zwischen Lionel (Paul Mescal) und David (Josh O'Connor) ist es eine Liebe auf den ersten Song…

Lionel (Paul Mescal) wächst auf einer kleinen Farm in Kentucky auf. Seine Eltern sind einfache Farmer, mit denen Lionel abends traditionelle Lieder singt. Sein Talent zum Singen ist nicht zu überhören, und so erhält er ein Stipendium für eine Musikschule in New England. Dort hört er in einer Kneipe plötzlich einen Song aus seiner Heimatgegend – und so lernt er David (Josh O'Connor) kennen, der Komposition studiert. Es ist ein Begehren auf den ersten Blick, doch in Europa tobt noch immer der Erste Weltkrieg. Während Lionel wegen seiner schwachen Augen verschont bleibt, wird David zur Armee eingezogen.

Einige Jahre später, Lionel lebt inzwischen wieder auf der Farm seiner Eltern, erhält er von David einen Brief: Am 1. Januar 1920 solle er sich an einem bestimmten Bahnhof einfinden, um David bei einer musikalischen Expedition zu unterstützen. Im Nordosten der USA nimmt das Duo fortan traditionelle Lieder auf, ritzt so quasi die Erinnerung an vergangene Zeiten in den Wachs der Zylinder, die die Musik für die Nachwelt bewahren sollen. Doch auch diese gemeinsame Zeit geht irgendwann zu Ende, denn Glücklichsein ist keine Geschichte…

Tragik ohne jeden Anflug von Melodramatik

Eine Liebesgeschichte zwischen zwei Männern in Zeiten, in denen Homosexualität noch geächtet war, eine epische Erzählung von unterdrückten Emotionen, in denen keiner der Männer das auszuleben wagt, was er wirklich empfindet. Diese Konstellation erinnert unweigerlich an Ang Lees romantischen Klassiker „Brokeback Mountain“, in dem Heath Ledger und Jake Gyllenhaal als Cowboys ebenfalls nicht dauerhaft zueinanderfinden, sondern Frauen heiraten, Kinder zeugen und ihren Schmerz ganz nah an der Brust herumtragen. Ähnlich geht nun auch Ben Shattuck in seinem Skript zu „The History Of Sound“ vor, das wiederum auf seiner eigenen gleichnamigen Kurzgeschichte basiert. Was genau nach jenen kurzen Momenten des Glücks geschieht, soll hier natürlich nicht verraten werden, aber dass es tragisch endet, ist wohl klar.

In den USA, in Rom und dem englischen Lake District wurde gedreht. Das Ergebnis sind exquisite Bilder, geprägt von Brauntönen, fast frei von Farben, unterlegt mit ganz wenig klassischer Filmmusik. Stattdessen sind vor allem die Lieder – meist traditionelle Balladen – zu hören, die Lionel und Daniel sammeln und gleich selber singen. Besonders Paul Mescal kann hier eine Seite seines Talentes zeigen, die bislang noch nicht bekannt war, die er demnächst aber auch sehr gut wird gebrauchen können, schließlich wird er in Sam Mendes' geplanten vier (!) Beatles-Biopics die Rolle von Paul McCartney übernehmen.

Eine Sache ist nach „The History Of Sound“ jedenfalls sicher: Paul Mescal kann, als ob er nicht ohnehin talentiert genug wäre, auch noch ganz himmlisch singen. Fair Winter LLC. All Rights Reserved.
Eine Sache ist nach „The History Of Sound“ jedenfalls sicher: Paul Mescal kann, als ob er nicht ohnehin talentiert genug wäre, auch noch ganz himmlisch singen.

In „The History Of Sounds" sind die Lieder mehr als nur hübsche, melancholische Untermalung, sie deuten vielmehr all das an, was in dem wortkargen Film nicht gesagt wird oder nicht gesagt werden kann. Das gilt nicht nur für die unerfüllte Liebesgeschichte zwischen Lionel und David, sondern neben den gesanglichen Erinnerungen der irischen Einwanderer, deren Lieder das Duo vornehmlich aufnimmt, besonders auch für die Songs der Nachkommen Schwarzer Sklaven, die nun schon wieder aus ihrem Zuhause vertrieben werden sollen. Emotionen als Song nennt das Lionel einmal, Lieder als Erinnerungsträger, die anders als schriftliche Aufzeichnungen viel direkter ins Herz zielen. Dass das Oliver Hermanus nicht so mitreißend gelingt wie Ang Lee, mag an dem extrem bedächtigen, fast schon unterkühlten Stil liegen, der keinerlei emotionale Regung durch filmische Mittel erzwingen will.

Stattdessen sollen die Blicke speziell von Mescal und O'Connor andeuten, was ihre Figuren fühlen, wie sie leiden und ihre Liebe an den Konventionen der Gesellschaft scheitert. Allerdings hat man es hier mit zwei Schauspielern zu tun, die nicht unbedingt emotionale Vulkane sind. Als Prinz Charles in „The Crown“ war Josh O'Connor quasi durch seine Rolle zu größter Zurückhaltung gezwungen, und auch Paul Mescal hat seit seinem Durchbruch in „Aftersun“ immer wieder eher passive Figuren gespielt (so etwa in dem grandiosen schwulen Geister-Liebesdrama „All Of Us Strangers“). Auch in „The History Of Sound“ agieren beide Schauspieler betont dezent, versuchen mit ganz zurückgenommenen minischen Mitteln anzudeuten, was in ihren Figuren brennt. Nicht immer gelingt das, phasenweise wirkt Oliver Hermanus Film allzu gewollt, allzu ausgestellt gemächlich. Aber wenn es funktioniert, gelingt dem Südafrikaner ein bewegendes Porträt einer unerfüllten Liebe und den Emotionen, die ein einziger Song auslösen und über Jahrzehnte hinweg bewahren kann.

Fazit: In seinem ambitionierten Liebesfilm beschwört Oliver Hermanus große Emotionen mit melancholischen Folk-Balladen heraus. Ein Drama von exquisiter, aber auch ein wenig manierierter Schönheit. Phasenweise wirkt das zu unterkühlt und zurückhaltend, immer wieder entstehen aber auch große Momente, die kraftvoll von einer unmöglichen Liebe erzählen.

Wir haben „The History Of Sound“ beim Cannes Filmfestival 2025 gesehen, wo er als Teil des offiziellen Wettbewerbs seine Weltpremiere gefeiert hat.

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