Christliche Werte in der Postapokalypse
Von Lutz GranertEin Film über sexuellen Missbrauch an entführten Kindern passt so gar nicht zum Image des familienfreundlichen Mickey-Maus-Konzerns. Deshalb lag das bereits 2018 abgedrehte Drama „Sound Of Freedom“, für das 20th Century Fox noch vor der Übernahme durch Disney die Vertriebsrechte erworben hatte, erstmal im Giftschrank. Erst fünf Jahre später startete der mit Jim Caviezel sowie Oscar-Preisträgerin Mira Sorvino prominent besetzte Film dann endlich in den Kinos – und spielte allein in den USA unfassbare 184 Millionen Dollar ein.
Den unabhängigen Angel Studios, die sich die Rechte am Film mithilfe einer vor allem in christlichen Gemeinden beworbene Crowdfunding-Kampagne gesichert hatten, war damit ein echter Coup gelungen. Ohnehin setzt das US-Medienunternehmen aus dem Mormonen-Bundesstaat Utah mit Erfolg auf christliche Inhalte und eine zahlungskräftige gläubige Community: Satte elf Millionen Dollar wurden allein für die Produktion der ersten Staffel von „The Chosen“ über das Leben und Wirken von Jesus an Fan-Geldern eingesammelt. Die Serie umfasst inzwischen vier Staffeln und wurde weltweit mehr als 400 Millionen Mal gestreamt.
Mit „Homestead“ von Regisseur Ben Smallbone („Unbezahlbar“) ging im Dezember 2024 in den USA ein weiteres ambitioniertes Angel-Studios-Projekt an den Start, das zeigt, welche Rolle christliche Werte wie Nächstenliebe und Gemeinschaftsgefühl in den USA nach einer – vor allem von Teilen des Zielpublikums eh in naher Zukunft erwarteten – Apokalypse einnehmen könnten.
Parallel zum Kinostart des Films erschienen auch die ersten beiden Folgen einer gleichnamigen Spin-Off-Serie beim hauseigenen, weltweit verfügbaren Streamingdienst Angel Studios. Das Publikum erwartet dabei kein gewalttätiger Actionreißer, wie die irreführenden Plakate suggerieren, sondern durchaus realistisch anmutendes Endzeitdrama, das vor allem gegen Ende aber damit nervt, wie es die Zusehenden in Richtung Streaming-Abo zu stupsen versucht.
Zwei Terroristen zünden vor der Küste Kaliforniens eine Atombombe. In der Folge brechen die Infrastruktur und die Versorgung der Supermärkte in den kompletten USA zusammen. Der wohlhabende Ian Ross (Neal McDonough) hat für eine solche Katastrophe jedoch vorgesorgt: Sein riesiges Anwesen ist durch die Produktion von Solarenergie, einem Vorrat an Getreide, Gemüse-Gewächshäusern sowie sogar einem eigenen Weinberg weitgehend autark. Natürlich ist mit bettelnden Menschen aus den umliegenden Gemeinden zu rechnen – aber dafür ist ja der Ex-Militär Jeff Eriksson (Bailey Chase) als Sicherheitschef da.
Neben Jeffs Familie werden auch Ians Angehörige um seine Schwester Evie (Susan Misner) bereitwillig aufgenommen, während Ians alter Kumpel Rick (Jarret LeMaster) nebst hungernder Familie abgewiesen wird. Die angespannte Lage spitzt sich immer weiter zu, bis der Regierungsbeamte Blake Masterson (Currie Graham) mit einem S.W.A.T.-Team anrückt, um das Anwesen zu stürmen...
„Homestead“ basiert auf dem ersten Buch der Romanreihe „Black Autumn“ der Kriegsveteran Jeff Kirkham und Jason Ross, die in insgesamt zehn Bänden scheibchenweise immer mehr Hintergründe zu dem Atom-Anschlag enthüllen. So ist in den Büchern eine ungleich komplexere Erzählung möglich als nun in dem Pilotfilm, der sich im ersten Drittel erst einmal an der Einführung seiner zahlreichen Figuren abarbeitet, von denen die meisten trotzdem nur wenig Profil erhalten. So bleiben etwa Evie und ihre Familie austauschbar: Für sie und ihre Flucht im Tesla – für den sie unterwegs mangels Lademöglichkeit einen Verbrenner von einem Plünderer stehlen müssen – bleibt nur wenig Screentime. Eine Teenager-Romanze im Gewächshaus bleibt unterdessen in zaghaften und jugendfreien Andeutungen stecken – und spielt danach (zumindest im Film) keine Rolle mehr.
Neal McDonough („Tulsa King“) und Dawn Olivieri („Yellowstone“) als streitende Eheleute setzen dabei noch die meisten schauspielerischen Akzente: Zwischen der knallharten Kalkulation der zur Neige gehenden Lebensmittelvorräte sowie einer (moralischen) Pflicht zur Hilfe von Notleidenden prallen sie immer wieder aneinander. Tatsächlich erhält „Homestead“ gerade durch das Ausfechten dieses Konflikts trotz einiger spürbarer Längen einen wohltuend realistischen Anstrich. So erscheint es durchaus stimmig, dass auf ein (mögliches) und schon allzu oft perpetuiertes Effektbrimborium zu den Verheerungen der Explosion bewusst verzichtet wurde. Weniger glaubwürdig ist hingegen, dass im Gewächshaus ungenießbare Blumen angepflanzt werden und – garniert mit einigen hübschen Landschaftsaufnahmen – in etwas zu blitzblank geratenen Interieurs viel geredet und taktiert wird.
Um die Längen seines Films hat wohl auch Regisseur Ben Smallbone selbst gewusst, der die wenigen Actionszenen dann durchaus spannend inszeniert – etwa, wenn sich zwei Neulinge in der von Jeff militärisch trainierten Sicherheitstruppe im Fadenkreuz von Eindringlingen wiederfinden. Etwas ärgerlich sind wiederum das mit schwülstigen christlichen Bildern überladene Voice Over sowie die sich mit zunehmender Laufzeit immer weiteren auftürmenden Storyfäden, bei denen klar ist, dass sie vor allem als plumpe Teaser für die geplante Serie fungieren.
Dabei wurde über die zwei existierenden Folgen hinaus nämlich erst Mitte Mai 2025 die Produktion weiterer Episoden sowie einer zweiten Staffel beschlossen. Erst in denen wird dann (vermutlich) aufgelöst, was genau den Blackout verursacht und was es mit den geheimnisvollen Visionen einer der Figuren auf sich hat. In der jetzigen Form lässt einen ein Kinobesuch von „Homestead“ jedenfalls erst einmal frustriert zurück.
Fazit: Das christliche Endzeitdrama „Homestead“ geht durch einen erfrischend anderen, betont realistischen Weg (trotz gewisser Soap-Vibes bei dem gesprächigen Taktieren vor allzu hochglänzender Inneneinrichtung). Die Vielzahl der eingeführten Charaktere bleibt jedoch bislang profillos, was wohl vor allem damit zu tun hat, dass der Kinofilm nur den Auftakt für eine Streaming-Serie bilden soll.