Haft Rooz
Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
4,0
stark
Haft Rooz

Familie oder Freiheitskampf – eine unmögliche Entscheidung

Von Lutz Granert

Wie gefährlich es sein kann, für Menschenrechte und Meinungsfreiheit einzutreten, zeigt die Biografie des iranischen Regisseurs und Künstlers Mohammad Rasoulof. Während seine regimekritischen Filme wie „Doch das Böse gibt es nicht“ (Goldener Bär bei der Berlinale) auf zahlreichen internationalen Festivals liefen und mit Filmpreisen überhäuft wurden, handelten die iranischen Behörden und Gerichte, wie autokratische Regimes nun mal vorgehen: Nach diversen Festnahmen, Inhaftierungen und Ausreiseverboten wurde Rasoulof im Mai 2024 zu acht Jahren Gefängnis und Peitschenhieben verurteilt. Der Strafe entkam er, wie man aus einem Instagram-Posting schlussfolgern kann, durch eine Flucht über die verschneiten Berge in Richtung Türkei (FILMSTARTS hat dazu im vergangenen Jahr auch ein großes Interview mit ihm geführt). Inzwischen lebt Rasoulof im Exil in Hamburg, wo er auch die Arbeit an seinem oscarnominierten Film „Die Saat des Heiligen Feigenbaums“ abschloss.

Es steckt also eine Menge persönlicher Erfahrungen mit dem Mullah-Regime in seinem Drehbuch zu „Sieben Tage“, das er im Juli 2023 den ebenfalls iranstämmigen und nach Deutschland ausgewanderten Mohammad Farokhmanesh (Produzent) und Ali Samadi Ahadi (Regisseur von „45 Minuten bis Ramallah“) anbot, die es dann auch tatsächlich innerhalb weniger Monate verfilmten. Das beklemmend-realistische Drama ist an das Leben und Wirken der iranischen Friedensnobelpreisträgerin Narges Mohammadi angelehnt, die auch in einer Texteinblendung am Ende zitiert wird. „Sieben Tage“ profitiert dabei von der intensiven Darbietung seiner Hauptdarstellerin Vishka Asayesh, zugleich gelingt es trotzdem nicht ganz, ihren Konflikt gänzlich nachvollziehbar nach außen zu tragen.

Endlich kann Maryam (Vishka Asayesh) ihre Kinder wieder in die Arme schließen. Aber ihr Hafturlaub endet in wenigen Tagen… Little Dream Pictures
Endlich kann Maryam (Vishka Asayesh) ihre Kinder wieder in die Arme schließen. Aber ihr Hafturlaub endet in wenigen Tagen…

Nach sechs Jahren im Gefängnis werden der international bekannten, nach einem Herzinfarkt gesundheitlich angeschlagenen Menschen- und Frauenrechtsaktivistin Maryam (Vishka Asayesh) vom iranischen Regime sieben Tage Hafturlaub für eine medizinische Behandlung gewährt. Endlich kann sie ihren Ehemann Behnam (Majid Bakhtiari), ihre Teenager-Tochter Dena (Tanaz Molaei) sowie ihren zehnjährigen Sohn Alborz (Sam Vafa) wieder in die Arme schließen. Für dieses lang herbeigesehnte Treffen muss sie allerdings erst einmal unentdeckt in einen türkischen Grenzort reisen. Denn: Maryams Bruder Nima (Sina Parvaneh) hat ohne ihr Wissen Schleuser engagiert, welche sie außer Landes bringen sollen. Aber die idealistische Maryam denkt gar nicht daran, vor dem iranischen Regime zu fliehen...

Der Film musste teilweise heimlich gedreht werden

Maryams Flucht führt sie zunächst im Kofferraum eines Autos hinaus aus Teheran. Später geht es in einem Bus und einem Jeep weiter aufs Land, von wo aus sie schließlich das schneereiche Grenzgebirge zur Türkei auf dem Rücken eines Pferdes überquert. Dabei baut der Film fast schon beiläufig eine enorme Spannung auf: Bei jeder Toiletten- oder Tee-Pause an unwirtlichen Transit-Orten ist die Angst spürbar, unter den (zu) langen Blicken grimmiger Bartträger erkannt zu werden. Diesem Risiko setzte sich übrigens auch das Filmteam von „Sieben Tage“ selbst aus:

Obwohl der Großteil der Aufnahmen in Georgien entstand, mussten einige Szenen heimlich vor Ort an Originalschauplätzen im Iran gedreht werden. Diese Produktionsbedingungen spiegelt sich zuweilen auch in den unruhigen, improvisierten Bildern einer Handkamera wider, welche die ohnehin beklemmende Atmosphäre noch unterstreichen. Immer nah dran an der Protagonistin leidet auch das Publikum stets mit der sehr präsenten Vishka Asayesh, die Maryam als ebenso starke wie unnachgiebige Kämpferin verkörpert. Mit eisernem Willen und gegen die Widerstände eines Schleusers zieht sie auch bei klirrender Kälte und einem erbarmungslosen Schneesturm unermüdlich weiter.

Fürs Publikum ist es teilweise ähnlich schwer zu verstehen wie für ihre Familie, dass Maryam freiwillig in den Iran und damit ins Gefängnis zurückkehren will. Little Dream Pictures
Fürs Publikum ist es teilweise ähnlich schwer zu verstehen wie für ihre Familie, dass Maryam freiwillig in den Iran und damit ins Gefängnis zurückkehren will.

Obwohl Rehisseur Ali Samadi Ahadi zuletzt mit dem Animations-Abenteuer „Peterchens Mondfahrt“ oder der Agenten-Klamotte „Die Mamba“ eher leichte Kost ablieferte, gelingt ihm in der zuweilen etwas fordernden zweiten Filmhälfte eine schmerzhaft-intensive Analyse eines fragilen Familiengefüges. Denn das droht trotz der brüchigen Wiederherstellung von so etwas wie Alltag mit gemeinsamem Frühstück, Herumtollen im Schnee sowie körperlicher Intimität endgültig zu zerbrechen.

Warum will Maryam trotz der bereits erfolgreich absolvierten Flucht wieder zurück? Warum will sie ein Leben mit ihrer Familie in der Diaspora opfern, um stattdessen einen entbehrungsreichen Freiheitskampf im Gefängnis zu führen – dazu noch unter einem Regime, das ihr sogar den Abschied von ihrem verstorbenen Vater verwehrte? Eine umfänglich überzeugende Antwort auf diese Frage findet sich in den mit phrasenhaften Kampfansagen versehenen Erklärungsversuchen nicht. Aber das ist auch schon der einzige kleine Makel in einem packenden Drama über eine allumfassende Repression, die auch ohne plakative Gefängnisszenen stets spürbar ist.

Fazit: In der ersten Hälfte ungemein spannend, dann eine quälend intensive Studie über den Zerfall einer Familie: „Sieben Tage“ ist ein beklemmend-intensives Drama über Repression und Idealismus.

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