
Regiemeister Douglas Sirk blickte im Laufe seiner Karriere wiederholt auf die Verlogenheit der Gesellschaft: Doppelmoral, Missgunst und soziale Hürden, die nach Geborgenheit suchenden Menschen in den Weg gestellt werden, behandelte er stets in eindringlichen Bildern – erst in markantem Schwarz-Weiß, später in betörend-dramatischen Farben.
Filmschaffende wie Pedro Almodóvar, Wong Kar-wai, Rainer Werner Fassbinder und Lars von Trier bezeichneten sich schon als Sirk-Begeisterte. Außerdem war David Lynch großer Fan, was sich in Filmen über die Dualität der USA wie „Blue Velvet“ äußerte, und Quentin Tarantino schwärmt in hohen Tönen von ihm.
Dennoch wird Sirks Schaffen in der deutschen Streaming-Landschaft und auf dem hiesigen Heimkinomarkt vernachlässigt. Doch jetzt tat sich was: Zwei Douglas-Sirk-Filme, die es derzeit weder als VOD noch im Streaming-Abo gibt, sind diese Woche im Heimkino erschienen. So feierte „All meine Sehnsucht“ endlich seine Blu-ray-Premiere!
In „All meine Sehnsucht“ geht es um die Schauspielerin Naomi Murdoch (Barbara Stanwyck), die vor zehn Jahren nach einem Skandal abrupt ihren Mann und die gemeinsamen Kinder verlassen hat. Als sie in ihren beschaulichen Heimatort in Wisconsin zurückkehrt, um vergangene Fehler wieder gutzumachen, sorgt dies für Aufsehen. Schon bald kursieren neue, schmerzliche Gerüchte, die Naomis gute Absichten torpedieren...
Parallel dazu feierte ein anderer Douglas-Sirk-Film, der lange Zeit im Handel vergriffen war, sein Heimkino-Comeback: Diese Woche hat das Kriegsdrama „Zeit zu leben und Zeit zu sterben“ eine Blu-ray-Neuauflage erhalten:
Der Film spielt 1944 und dreht sich um den Landser Ernst Graeber (John Gavin), der unerwartet Urlaub von der Ostfront erhält und in seine Heimat zurückkehrt. Die erkennt er aber kaum wieder, da sie durch Bombenangriffe verwüstet wurde. Von seiner Familie findet er nicht einmal eine Spur. Dann begegnet ihm Elizabeth Kruse (Liselotte Pulver), die Tochter seines Arztes. Ernsts Hoffnung, wenigstens etwas Normalität in der Heimat vorzufinden, nimmt rasch ein Ende. Denn Elizabeth berichtet, dass ihr Vater in ein Konzentrationslager gesteckt wurde...
Eine deutliche Antikriegs-Botschaft, als Schmachtromanze verpackt
„Zeit zu leben und Zeit zu sterben“ ist ein außergewöhnlicher Film in Sirks Hollywood-Schaffen. Und das nicht zuletzt aufgrund des Schauplatzwechsels weg von den USA, die zwar in längst nicht all seinen Filmen, wohl aber in seinen berühmtesten Werken im Fokus stehen: Sirk wurde 1897 in Hamburg unter dem Namen Hans Detlef Sierck geboren und floh 1937 mit seiner Frau Hilde Jary vor den Nazis, da sie jüdischen Glaubens war.
In „Zeit zu leben und Zeit zu sterben“ nutzt Sirk die melodramatische Romantik versprechende Oberfläche seiner Filme, um stattdessen die selbstverschuldete Zerstörung Deutschlands zu thematisieren. Als Vorlage diente ihm der gleichnamige Roman* des renommierten pazifistischen Schriftstellers Erich Maria Remarque, der auch die Vorlage zu „Im Westen nichts Neues“ geschrieben hat.
Remarque absolviert sogar einen Gastauftritt und hat sich im Laufe der Produktion mit Sirk angefreundet. Der Film stellte sich jedoch als Sirks vorletzte abendfüllende Regiearbeit heraus, da er sich nur ein Jahr später in den Ruhestand begab und bald darauf in die Schweiz zog, wo er zeitweise sogar Remarques Nachbar war.
Der französische Meisterregisseur Jean-Luc Godard liebte „Zeit zu leben und Zeit zu sterben“ und lobte neben Pulvers Schauspiel insbesondere Sirks Blick auf das kriegerische Deutschland: „Ich fand Deutschland im Krieg nie so überzeugend wie in diesem in Friedenszeiten gedrehten amerikanischen Film.“
Trotz der unterschiedlichen Themen und Settings eint „Zeit zu leben und Zeit zu sterben“ und „All meine Sehnsucht“ eine denkwürdige Kameraführung. Nicht umsonst lobte Tarantino einst im Talkformat „Under The Influence“ (via YouTube) die „flüssigen Kamerabewegungen und kinetischen Sequenzen“ Sirks, deren Stilistik unter anderem Scorsese nachahmen sollte.
Und wenn euch nach diesen schweren Stoffen der Sinn nach altem Hollywood-Spaß steht, den Quentin Tarantino empfiehlt, ist der folgende Heimkino-Tipp wie für euch gemacht:
Quentin Tarantino feiert ihn: Provokanter Klassiker erscheint endlich zum ersten Mal auf Blu-ray*Bei den Links zum Angebot von Amazon handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diese Links oder beim Abschluss eines Abos erhalten wir eine Provision. Auf den Preis hat das keinerlei Auswirkung.