
Rock steht ihm gut, Jazz auch. Für David Chases Rockstar-Story „Not Fade Away“ (2012) lernte John Magaro Schlagzeug spielen (und spielt es heute noch in seiner Freizeit), mit Ido Fluks „Köln 75“ kommt nun ein neues Instrument hinzu. Magaro verkörpert die Jazzlegende Keith Jarrett. Am Film wollte Jarrett selbst nicht mitwirken. Stattdessen fokussiert sich Regisseur Ido Fluk auf die Konzertveranstalterin Vera Brandes (Mala Emde), die auf der Bühne der Kölner Oper statt eines Bösendorfer-Imperial-Flügels einen kaputten Stützflügel vorfand und mit allen Mitteln um die Durchführung des Konzertes kämpfte.
Ido Fluks Musikdrama „Köln 75“ feierte auf der 75. Berlinale seine Weltpremiere in der Sektion Special, wo John Magaro mit FILMSTARTS-Autorin Susanne Gietl über Keith Jarretts Manierismen, das Imposter-Syndrom und Klavierunterricht gesprochen hat.

FILMSTARTS: War Dir Keith Jarrett und sein Werk schon vor „Köln 75“ vertraut?
John Magaro: Ich kannte mich eher beim frühen Jazz aus: John Coltrane, Miles Davis, Thelonious Monk, Chet Baker, aber erst durch die Arbeit am Film habe ich die Musik von Keith Jarrett kennengelernt. Es war eine lehrreiche Erfahrung, mich mit seiner Musik zu beschäftigen und in den Kaninchenbau von Keith Jarrett einzutauchen. Wir sagen das auch im Film: Jazz ging in den 70ern in Amerika verloren, während er in Europa weiter florierte.
FILMSTARTS: Wie hast Du den Rhythmus für die Rolle des Keith Jarrett gefunden?
John Magaro: Keith war nicht bereit, mit uns auf diese Reise zu gehen, was völlig in Ordnung ist. Es wäre schön gewesen, wenn ich mehr Klarheit gehabt hätte und mit ihm hätte reden können, aber Keith Jarrett war unser kaputtes Klavier. Im Grunde lag der Fokus auf seinen Jahren bei Miles Davis bis zu diesem Köln-Moment: „Bitches Brew: Live“, „Black Beauty Live at Fillmore West“, alles, was zum Köln-Konzert führte, wie zum Beispiel das Konzert in Lausanne. Aber ich habe auch Keiths modernere Sachen wie die Standards gehört.
Außerdem habe ich ein paar Bücher über Keith Jarrett und über das Konzert gelesen, habe mir viele Videos und Interviews angeschaut und mit seinem Bruder gesprochen. Dann habe ich einfach all dieses Zeug genommen und heraus kam unsere Version von Keith, die immer eine Art mythologische Version von ihm sein sollte. Ich hatte nie die Absicht, Keiths exaktes Abbild zu sein, sondern ich wollte vielmehr meine Vorstellung von ihm verkörpern. Letztendlich ging es nur noch darum, mit dem Drehbuch zu arbeiten und sich davon leiten zu lassen.

FILMSTARTS: Für die Arbeit an Kelly Reichardts Drama „First Cow“ hast Du Dich durch Kochen eines Eintopfes in die Rolle eingefühlt. Welchen kreativen Zugang hattest Du dieses Mal?
John Magaro: Die Rolle war durch das Klavier für mich sehr greifbar. Das Klavier war, ähnlich wie der Eintopf bei „First Cow“, mein Zugang zu der Rolle. Als Kind habe ich mal Klavier gespielt, für die Rolle habe ich wieder Klavierunterricht bei Scott Gentile genommen, der in meiner Nachbarschaft in Brooklyn wohnt. Wir haben ein paar Monate damit verbracht, einige Stücke von Keiths zu lernen. Vor allem haben wir Keiths Art, zu spielen und seine Eigenheiten untersucht und in seine Einzelteile zerlegt. Warum er so gespielt hat, wie er spielte und dabei seinen Rücken so kaputtgemacht hat. Und dann haben wir unsere Version gefunden, wie wir all das in unserer eigenen Welt von Keith Jarrett darstellen können.
FILMSTARTS: Das „Köln Concert“ unterscheidet sich durch das kaputte Klavier von allen anderen Konzerten. Jarrett spielte auf einem alten Stützflügel, der nur für Proben gedacht war und nicht die gewünschte Resonanz hatte, tiefe Töne klangen zu leise und zu dumpf, die Pedale funktionierten nicht. Hat Keith Jarrett beim „Köln Concert“ - körperlich gesehen - anders gespielt?
John Magaro: Nicht während dieser Tour. Wir haben uns einige Videos angesehen. Von ’72 bis ’75, als er mit seinem Quartett gespielt hatte und davor mit Miles (Davis) und auf seiner Tour in Norwegen und Schweden im Jahr 1973 spielte er auf eine sehr ähnliche Art und Weise. Mit zunehmendem Alter scheint er seine dramatischen Manierismen etwas abgemildert zu haben - wenn er mehr klassische Stücke oder mehr Standards gespielt hatte und nicht mehr komplett improvisierte.

FILMSTARTS: Warum war seine Spielweise so expressiv?
John Magaro: Wir haben herausgefunden, dass vieles davon wahrscheinlich – das ist alles hypothetisch – zum großen Teil daran gelegen hat, dass er sich in gewisser Weise von allem befreien wollte. Scott, der mit vielen großartigen Künstlern zusammengearbeitet hat, hat mir erzählt, dass viele dieser Virtuosen diese Ticks haben und darauf zurückgreifen, wenn sie spüren, dass sich eine gewisse Spannung bei ihnen einschleicht. Ich glaube, dass er jedes Mal, wenn er gespürt hatte, dass sich irgendeine Art von Starrheit einschleichen wollte, etwas getan hatte, um sich zu befreien, um seine Spontanität freizulegen, um die Musik zu fühlen und zum nächsten Beat zu kommen. Er vokalisierte sie sogar.
FILMSTARTS: Worauf hast Du beim Klavierspielen geachtet?
John Magaro: Ich bin in vielerlei Hinsicht einfach der Musik gefolgt. Wenn wir beim Dreh auf die technischen Sachen wie zum Beispiel den Fingersatz geachtet haben, habe ich mich darauf konzentriert und konnte weniger auf Keiths Manierismen achten. Ich habe nicht live gespielt. Es gibt eine Playback-Spur, die währenddessen abgespielt wird. Meistens bin ich am Klavier.
FILMSTARTS: Wie hat es sich für Dich angefühlt, Dein Film-Alter-Ego Keith Jarrett zu sehen?
John Magaro: Das ist total unnatürlich, was wir als Schauspieler machen, deshalb schaue ich mir normalerweise meine Arbeit nicht im Kino mit Publikum an. Dieses Mal kannte ich den fertigen Film noch nicht und habe ihn mir mit Publikum angeschaut. Da ich nicht im Zentrum des Films stehe, fiel es mir leichter, vieles einfach nur zu beobachten. Aber ein paar Mal bin ich erschaudert und wollte nicht hinsehen. In der Szene auf dem Flughafen, in der sich Watts und er unterhalten, zum Beispiel. Wenn er Klavier spielt, war es OK für mich.

FILMSTARTS: Es ist erstaunlich. Du hast in renommierten Produktionen wie Adam McKays Komödie „The Big Short“ (2015) über die globale Finanzkrise Anfang der 2000er, Kelly Reichardts „First Cow“ (2019) und Celine Songs Liebesdrama „Past Lives“ (2023) mitgewirkt, sowie dem packenden Historienthriller „September 5“ (2024). Obwohl Du beruflich so erfolgreich bist, hast Du schon öfter über das Imposter-Syndrom gesprochen [Anm. d. Red.: dabei handelt es sich um Menschen, die trotz ihres beruflichen Erfolgs nicht das Gefühl haben, diesen auch zu verdienen und sich eigentlich fehl am Platz fühlen]. Wie wird man es los?
John Magaro: Ich spüre es manchmal immer noch, aber es wird besser. Schließlich erklimme ich seit 20 Jahren diese Leiter. Ich glaube, wenn man in dieses Geschäft hineingeboren wurde, ist es ein bisschen einfacher, mit all dem umzugehen. Wenn ich zu schicken Veranstaltungen gehe und man dort die wirklichen großen Stars sieht, denke ich: Was zum Teufel mache ich hier? Ich fühle mich eher dem Indie-Film zugehörig, aber bei solchen Veranstaltungen bin ich dann wie ein Charakter in einem Film. Mein Lieblingsmoment ist einfach der, wenn die Kamera läuft und ich einfach abliefern kann. Das ist für mich als Schauspieler das höchste der Gefühle. Alles andere ist Teil des Jobs.
FILMSTARTS: Was wünschst Du Dir für die Zukunft?
John Magaro: Ich mache mir Sorgen um Amerika. Ich hoffe, dass dort bald mehr Klarheit einkehrt. Es ist eine chaotische Zeit, und das überträgt sich auch auf Europa – wie wir erst neulich bei unserem Vizepräsidenten gesehen haben. Ich will einfach weiterarbeiten und an guten Projekten arbeiten, die bei den Menschen Anklang finden und meiner Familie ein gutes Leben ermöglichen.
