
17 Kinder, die eines Nachts plötzlich unerklärlich von zu Hause weglaufen, stehen am Anfang von Zach Creggers „Weapons“, der daraufhin viele unvorhersehbare und wahnwitzige Wendungen bis zu einem wahrhaft Gore-lastigen Finale nimmt. Seit seinem alleinigen Regiedebüt „Barbarian“ gilt Cregger unter Genrefans als neuer Shootingstar und Hoffnungsträger. Mit seinem neuen Film gelingt ihm nun ein deutlich epischerer und aufwendiger Meisterstreich – der wohl gerade am meisten erwartete Horrorfilm des Sommers!
FILMSTARTS-Autor Kamil Moll hatte die Gelegenheit, mit Zach Cregger darüber zu sprechen, wie sich Horror und Humor vertragen, wie er mit höherem Erwartungsdruck umgeht und ob er eine Horrorversion von „Magnolia“ drehen wollte.

FILMSTARTS: Bei Interviews zu deinem ersten Film „Barbarian“ hast du gesagt, dass du das Drehbuch geschrieben hast, ohne zu wissen, wo die Geschichte letztlich hinführen wird. Wie war es jetzt bei „Weapons“? Hast du mit einer klaren Storyline begonnen?
Zach Cregger: Das war wieder derselbe Prozess, bei dem ich mich einfach hinsetzte und anfing zu schreiben. Das Erste, was ich schrieb, war: „Das ist eine wahre Geschichte“. Eine Lehrerin kommt in die Schule und in ihrer Klasse sind keine Kinder. Warum? Weil sie letzte Nacht alle weggelaufen sind. Das war schon mal ein guter Anfang, bei dem ich mich dann fragte, wo sie eigentlich hingegangen sein könnten. Und so hatte ich sofort Figuren, mit denen ich spielen konnte: eine Lehrerin, die beschuldigt wird, und wütende Eltern. Im Weiteren bin ich einfach meiner Intuition gefolgt, so wie das auch bei „Barbarian“ gewesen ist. Ich wusste wirklich nie, wohin die Geschichte führen würde.
FILMSTARTS: Als der Wettstreit zwischen mehreren Hollywood-Produktionsfirmen um die Rechte an „Weapons“ begann: Hattest du den Eindruck, dass nun auch ein größerer Druck auf dem Film und dir als Regisseur lastet? Hat dir das die Arbeit erschwert?
Zach Cregger: Ja, der Druck war groß. Aber das war er auch bei „Barbarian“, weil es mein erster Film war. Ich wusste, wenn „Barbarian“ nicht funktionieren würde, würde ich nie wieder einen Film drehen können. Bei „Weapons“ stand viel mehr Geld auf dem Spiel, aber dadurch war es nicht unbedingt schlimmer. Mir hat das Drehbuch sehr gut gefallen, also wusste ich: Wenn ich den Film drehen kann, den ich geschrieben habe, dann würde auch etwas entstehen, wohinter ich stehen kann. Deswegen hatte ich das Gefühl, dass ich alles habe, was ich brauche, um gute Arbeit zu leisten. Es gar zwar Druck, aber ich war zuversichtlich.

FILMSTARTS: Der offensichtlichste Unterschied zu „Barbarian“ besteht darin, dass „Weapons“ einen viel größeren Umfang hat und aus einer Vielzahl unterschiedlicher Perspektiven erzählt wird. Nachdem du einen eher konzentrierten Film in einem kleineren Format gedreht hast, hast du dich diesmal bewusst für etwas eher Episches entschieden?
Zach Cregger: Ja, ich wusste, dass ich mehr Geld für den Film zur Verfügung haben würde. So konnte ich etwas größer denken. Es war aufregend, meiner Fantasie keine Grenzen setzen zu müssen. So konnte ich große Actionsequenzen, viele Charaktere und viele Drehorte einbauen und einfach loslegen.
FILMSTARTS: Du hast neulich erzählt, dass „Magnolia“ von Paul Thomas Anderson ein großer Einfluss für den Film war. Was hat dich an dem Film gereizt, was du nun für einen Genrefilm verwendet hast?
Zach Cregger: „Magnolia“ ist ein Film, der ohne Reue episch ist. Ein chaotischer, wunderbarer Film mit einem Wunder in der Mitte. Er hat all diese verschiedenen Charaktere, die sich gegenseitig beeinflussen. Und diesen wirklich erstaunlichen, einzigartigen Ton: traurig und lustig und lächerlich. All diese verschiedenen Elemente fügen sich in „Magnolia“ so gut zusammen. Das gab mir selbst die Erlaubnis zu sagen: Ich werde einfach ein großes Epos machen. Ich habe noch nie so etwas in Horrorform gesehen.
FILMSTARTS: Welche Filme haben dich noch beeinflusst bei „Weapons“? Hast du in Bezug auf Horror Vorbilder für den Ton und das Aussehen des Films?
Zach Cregger: „Prisoners“ von Denis Villeneuve und „Picknick am Valentinstag“ von Peter Weir sind die größten Einflüsse. „Hereditary“ und „The Shining“ sind offensichtlich auch drin.
FILMSTARTS: Wenn man den Trailer das erste Mal sieht, denkt man, man wisse, in welche Richtung sich der Film entwickeln könnte: ein Horrorfilm über die traumatischen Folgen verschwundener Kinder. Aber den Tonfall wechselt der Film dann mindestens so oft wie die Erzählperspektiven. Wie ist es dir gelungen, das alles zusammenzuhalten?
Zach Cregger: Ich habe nicht das Gefühl, dass sich der Ton so radikal ändert. Nicht wie bei „Barbarian“. Bei „Weapons“ erzähle ich, obwohl ich die Perspektiven wechsle, immer noch dieselbe Geschichte. Der Ton bleibt relativ konsistent. Jedes Kapitel bewegt sich auf denselben Schluss zu. Sie erzählen alle dieselbe Geschichte. Auch wenn verschiedene Charaktere unterschiedliche Empfindlichkeiten haben mögen, funktioniert das dennoch nach demselben Prinzip.

FILMSTARTS: Was die Schauspieler betrifft: Josh Brolin spielt seine Rolle zunächst recht düster und ernsthaft, während Julia Garners Figur von Anfang an bizarre Sachen passieren. Wussten alle von vornherein, in welche Richtungen sich der Film entwickeln wird oder war es auch wichtig, dass bestimmte Schauspieler auch erst mal einen ganz bestimmten Ton treffen?
Zach Cregger: Alle kannten das Gesamtbild. Sie bekamen alle das Drehbuch. Es war wichtig, dass jeder versteht, wie er in das Gesamtbild passt. Jeder ist wie eine andere Farbe auf der Palette. Und man will niemanden casten, der sich für den Star des Films hält, denn jeder ist ein bisschen der Star des Films. Es war wirklich spannend, Leute zusammenzubringen, die einfach nur begeistert waren, ihre Rolle zu spielen.
FILMSTARTS: Du warst jahrelang Mitglied der Comedytruppe „The Whitest Kids U Know“. Ist diese Art von Sketch-basierter Comedy auch etwas, was bis heute den Humor deiner Filme prägt?
Zach Cregger: Wenn ich ein Drehbuch schreibe, gibt es natürlich Momente, in denen sich aus der Situation heraus einfach etwas Lustiges ergibt. Dann lasse ich es auch zu, jedenfalls wenn es glaubwürdig zur Figur passt. Wenn ich versuche, absichtlich einen Witz zu schreiben, wird er nie besonders gut. Das ist also sozusagen meine Regel: Mach es nicht absichtlich. Lass es aus der Situation heraus entstehen.
FILMSTARTS: Mir ist im Abspann aufgefallen, dass eine von mir sehr geschätzte Musikerin, die Harfenspielerin Mary Lattimore am Soundtrack beteiligt war. Du hast ja auch den Score gemacht. Könntest du etwas darüber erzählen, was für eine Art von Stimmung und Akzentuierung du musikalisch erzeugen wolltest?
Zach Cregger: Ryan und Hays Holladay sind zwei meiner besten Freunde aus Kindertagen, wir waren bereits zusammen in einer Band. Deshalb wusste ich, dass ich den Soundtrack für den Film mit ihnen machen wollte. Und tatsächlich haben wir den gesamten Soundtrack auch schon fertiggestellt, bevor ich den Film überhaupt gedreht habe. Wir haben uns zusammengesetzt, das Drehbuch durchgelesen und Musik für jede Szene geschrieben. Dabei haben wir uns ganz natürlich immer mehr der Harfe zugewandt. Mary Lattimore ist meine Lieblingsharfenistin, abgesehen von Alice Coltrane. Ich konnte so mit jemandem zusammenarbeiten, den ich verehre, und ihr Musik vorlegen, die wir selbst geschrieben hatten.
