Ausnahmeregisseur Billy Wilder schuf mit „Boulevard der Dämmerung“ einen ambitionierten Film mit immenser Sogwirkung und betörend-finsterem Stil, der sich über Genres mit dem Selbstbewusstsein sowie der Klasse einer famosen Diva hinwegsetzt: Es ist ein empathisches Drama über die Vergänglichkeit des Ruhms, ein schwermütig-strenger Film noir, der sich mit Gier, Gewissenlosigkeit und gegenseitiger Abhängigkeit auseinandersetzt, eine ironische Komödie über Hollywood-Eitelkeiten und eine schonungslose, pessimistische und tragische Showgeschäft-Satire.
Die Diskrepanz zwischen dem schillernden Schein der Traumfabrik und dem narzisstischen Sündenpfuhl, den Wilder skizziert, ist so gewaltig, dass dieses Meisterwerk vereinzelt als Horrorfilm bezeichnet wurde. Ohne, dass es sich den Horror-Normen anbiedern würde! Sehr bald ist der Film endlich in ihm gebührender Form erhältlich: Am 14. August 2025 erscheint „Boulevard der Dämmerung“ erstmals in 4K:
Die Veröffentlichung des Billy-Wilder-Geniestreichs basiert auf einer komplett neuen 4K-Restauration und erfolgt in Form eines limitierten Steelbooks. Der Edition liegt neben der 4K-Scheibe eine Blu-ray-Disc des oft zitierten, kultisch verehrten Kino-Meilensteins bei. Als Bonusmaterial sind ein Audiokommentar, zahlreiche Featurettes und Begleit-Kurzdokumentationen angekündigt, darüber hinaus gibt es mehrere haptische Dreingaben.
Stadt der Träume, "Boulevard der Dämmerung"
Der mittellose Drehbuchautor Joe Gillis (William Holden) steckt in einer Karriere-Sackgasse und ist kurz davor, in sein altes Leben als Provinzjournalist zurückzukehren. Doch dann überschlagen sich die Ereignisse: Seine Gläubiger erspähen ihn und nehmen die Verfolgung auf. Joes Flucht endet auf dem Anwesen der in Vergessenheit geratenen, einst strahlenden Stummfilmdiva Norma Desmond (Gloria Swanson) am Sunset Boulevard.
Aufgrund einer Verwechslung kommen der einstige Superstar, der sich mit seinem sonderbaren Butler Max (Erich von Stroheim) von der Außenwelt abgeschottet hat, und der unglückliche Schreiberling ins Gespräch. Somit fällt Joe ein neues Engagement in den Schoß: Norma beauftragt ihn, ein von ihr geschriebenes Skript zu überarbeiten. Zunächst ist Joe voll der Freude – doch dann muss er erkennen, in welch tödlichen Sumpf der Abhängigkeiten, des Ehrgeizes und des Wahns er sich begeben hat...
Eine sich androhende Filmkatastrophe wird zum glänzenden Kinojuwel
Die ersten Aufführungen von „Boulevard der Dämmerung“ bereiteten „Manche mögen's heiß“-Regisseur Wilder Kopfschmerzen: Der von ihm, Charles Brackett und D. M. Marshman Jr. verfasste Film begann ursprünglich mit einer Sequenz über sich unterhaltende Tote in einem Leichenschauhaus. Diese Eröffnungssequenz löste bei sogleich drei Testvorführungen schallendes Gelächter aus und führte dazu, dass das Publikum den restlichen Film nicht mehr ernst nahm.
Obwohl Wilder stolz auf diesen Filmeinstieg war, gab er sich geschlagen und drehte einen neuen Anfang. Für die „Boulevard der Dämmerung“ nunmehr in Gang setzenden, eindringlichen Bilder einer im Wasser treibenden Leiche musste sogar eine neue, komplexe Konstruktion entwickelt werden – Mühen, die sich bezahlt gemacht haben:
Der nach den misslungenen Testvorführungen gedrehte, seither verwendete Einstieg etabliert direkt zu Beginn einen dunkleren Tonfall und versetzt somit in die richtige Stimmung für ein cineastisches Schauerlied über die zerstörerische Tendenz des Menschen, sich selbst zu betrügen. Nach diesem Auftakt kann man kaum anders, als dieses in markanten, drastischen Schwarz-Weiß-Bildern erzählte Geflecht aus tragischer Charakterstudie, bitterer Abrechnung voller Klasse und nagendem Humor aufzusaugen.

Die zeitgenössischen Reaktionen innerhalb Hollywoods waren jedoch stürmisch. Studiobosse und Schauspielgrößen beschimpften Wilder erbarmungslos! Dennoch konnte die Branche die Qualität dieses Thrillerdramas nicht verleugnen: Insgesamt elf Oscar-Nominierungen wurden ausgesprochen, darunter in der Hauptkategorie, in der Sparte „Beste Regie“ und in jeder einzelnen Schauspielkategorie.
In drei Sparten wurde das hypnotisierend inszenierte, ebenso nuanciert wie intensiv gespielte Meisterwerk mit dem Academy Award ausgezeichnet: Neben dem Skript und dem prachtvoll-abgetackelten Szenenbild wurde Franz Waxmans abwechslungsreiche, durchdacht verwobene Filmmusik prämiert. In der Filmpresse wurde diese Oscar-Ausbeute zuweilen als Abstrafung gedeutet, weil Wilder Hollywoods Schattenseiten zu wahrhaftig auf Zelluloid bannte (und zu stark, um ihn völlig zu ignorieren).
Jeglicher Groll ist aber längst verfolgen: Filmbranche und Fachpresse bejubeln „Boulevard der Dämmerung“ innig und unisono. Er wurde von der Regiegewerkschaft zu einem der bestinszenierten Filme der Kinogeschichte gewählt, die Autor*innen-Gilde ernannte das Skript zu einem der zehn besten Drehbücher aller Zeiten und Kritikerlegende Richard Corliss feierte den Klassiker als durch und durch garstig sowie als „ultimativen Hollywood-Horrorfilm“.
David Lynch zählte ihn zu seinen fünf Lieblingsfilmen, und vielfach wurde Lynchs „Mulholland Drive“ als Hommage auf Wilders Klassiker interpretiert. Schauspieler und Regisseur Clint Eastwood feiert „Boulevard der Dämmerung“ wiederum klipp und klar als seinen Lieblingsfilm – vor allem, weil ihm Wilders Inszenierung imponiert, die sich stilistisch ebenso auf die Vergangenheit wie die damalige Hollywood-Gegenwart einlässt.
(Scherzhaft geäußerte) Vorschläge, ein Remake von „Boulevard der Dämmerung“ zu drehen, lehnte Eastwood indes ab. Falls ihr aber Lust habt, Eastwood vor und hinter der Kamera in Hochform zu erleben (und euch das Warten auf die 4K-Edition des Wilder-Klassikers verkürzen möchtet): Nutzt doch die Gelegenheit und schaut euch unseren folgenden Streaming-Tipp an!
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Dies ist eine aktualisierte Wiederveröffentlichung eines bereits auf FILMSTARTS erschienenen Artikels.