Vom Wetterfrosch zur Kängurumama
Von Jörg BrandesKängurus sind nicht vom Aussterben bedroht. Von daher sind verwaiste Jungtiere in Australien auch nicht besonders geschützt. Wer also einen der auch „Joeys“ genannten mutterlosen Nachwuchshüpfer findet und nicht will, dass dessen Fleisch womöglich auf irgendeinem Teller landet, muss sich irgendwie selbst um die Unterbringung kümmern.
Eine mögliche Anlaufstation wäre in diesem Fall etwa das Kangaroo Sanctuary Alice Springs, das von Chris „Brolga“ Barns und seiner Frau Tahnee geführt wird. In dem Auffangzentrum wurden bereits mehr als 1.000 Joeys durchgebracht und anschließend ausgewildert. Brolga und Tahnee waren mit ihrer Station auch schon Gegenstand einer BBC-Dokumentarserie unter dem Titel „Kangaroo Dundee“ – eine Anlehnung an den australischen Kinohit „Crocodile Dundee“ von 1986. „Lilly und die Kängurus“ spinnt nun eine fiktive warmherzige Geschichte um die Gründung des Sanctuary – mit sympathischen Charakteren und etlichen knuffigen Jungtieren.
Wettermoderator Chris Masterman (Ryan Corr) hat Angst um seinen Job in Sydney. Auch seine Ex-Geliebte, die Fühstücksfernsehproduzentin Liz (Brooke Satchwell), kann ihn nicht beruhigen. Als Chris während einer Live-Sendung einen mutmaßlich verirrten Delfin entdeckt, steigt er zwecks Image-Boost ins Wasser und scheucht das Tier entgegen dem Rat eines Experten Richtung offenes Meer. Doch die vermeintliche Rettungsaktion geht nach hinten los. Kurz darauf wird der Delfin tot aufgefunden. Er war krank und wollte sich in Ufernähe nur ausruhen. Statt vieler Likes erntet Chris einen veritablen Shitstorm.
Dennoch wird ihm eine neue TV-Show in Aussicht gestellt. Allerdings nicht in Sydney, sondern in Broome. Die Finanzierung stehe zwar noch nicht, aber er möge sich doch schon mal dorthin begeben. Auf dem Weg überfährt er im australischen Outback mit seinem schicken Chevrolet Corvette ein Känguru. Das hat ihm gerade noch gefehlt: erst Delfinmörder, nun auch noch Kängurukiller! Als er das tödlich verletzte Tier näher betrachtet, bemerkt er, dass es ein Junges im Beutel hat. Und das Auto ist auch noch kaputt. Was tun? Das elfjährige indigene Mädchen Lilly (Lily Whiteley), das den Vorfall zufällig beobachtet hat, bietet ihm Hilfe an, wenn er sich um das „Joey“ kümmert. Nun denn: Chris muss ja eh in Silver Gum ausharren, bis sein Wagen repariert ist. Und das kann dauern...
Chris Masterman mag selbstzentriert sein und hauptsächlich an seine Karriere denken. Aber er ist kein zynischer Misanthrop wie der Wetteransager Phil Connors in „Und täglich grüßt das Murmeltier“ (1993). Doch auch er muss wie sein von Bill Murray gespielter Kollege einen vom Drehbuch vorbestimmten Wandlungsprozess durchlaufen. In seinem Fall heißt das, nicht nur an sich, sondern auch an andere zu denken und Verantwortung zu übernehmen. Chris avanciert also im Rahmen einer herzerfrischenden „Fish out of Water“-Komödie vom Wetterfrosch zur „Kängurumutter“. Der von Ryan Corr so sympathisch wie überzeugend verkörperte Großstädter Chris wirkt dabei im weitab vom Schuss gelegenen Silver Gum oft selbst wie ein Hinterwäldler.
An der Seite des australischen Publikumslieblings glänzt Lily Whiteley mit reichlich natürlicher Ausstrahlung. Im Umgang mit Chris hat es ihre känguruliebende Lilly faustdick hinter den Ohren, obwohl sie sich in Silver Gum fast genauso fremd fühlt wie er. Schließlich ist sie mit ihrer Mutter nach dem Tod ihres Vaters erst vor kurzem dorthin gezogen. Aber sie ist eine starke Persönlichkeit und wird ihren Platz in der Gemeinschaft des kleinen Ortes schon finden. Auch die Nebenrollen sind gut besetzt. Etwa von Deborah Mailman als Lillys gutherzige Künstlerin-Mutter, die den Tod ihres Mannes bislang ebenso wenig verarbeitet hat wie ihre Tochter. Oder von Rachel House als bärbeißige Chefin des örtlichen Restaurant-Hotels, die mit Chris, dessen zweifelhafter Ruf als „Delfinkiller“ ihn bis nach Silver Gum verfolgt, zunächst auf Kriegsfuß steht.
Und dann sind da noch die vielen Joeys. Dem Charme der knuddeligen Nachwuchshüpfer, die in Beutel eingekuschelt in Körbchen großgezogen werden, kann man sich unmöglich entziehen. Von einem anderen Kaliber ist indes der verletzte Kängurumann Roger, dessen sich Chris annimmt. Den hat es tatsächlich gegeben: Das 2018 im Kangaroo Sanctuary verstorbene Tier war dank seines Bodybuilder-Körperbaus ein veritabler Internet-Star. Im Film erlebt der imposante Muskelprotz seine CGI-Wiederauferstehung.
Eindrucksvoll sind auch die Bilder vom australischen Outback bei Alice Springs, die die erfahrene Serienregisseurin Kate Woods (u. a. „Dr. House“, „Bones: Die Knochenjägerin“) immer wieder einfließen lässt. Ihr Blick auf die Gemeinschaft des (fiktiven) Örtchens Silver Gum und deren Zusammenhalt mag vielleicht etwas idealisierend sein, passt aber gut zur optimistischen Grundhaltung ihres Films. Dabei werden wir etwa Zeugen eines Bootsrennens auf dem Trockenen. Was etwas abstrus erscheint, ist keineswegs ein Hirngespinst des Drehbuchautors. Ein solches Rennen findet jedes Jahr in Alice Springs statt.
Fazit: Ein klassisch schöner Familienfilm mit exotischem Flair und einer jungen Titelheldin, mit der man sich leicht identifizieren kann.