Sketch
Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
4,0
stark
Sketch

Ein absoluter Geheimtipp für Fans von Tim Burton & Stephen King!

Von Jochen Werner

„Darker Colors“, dunklere Farben – so heißt der Kurzfilm, den Regisseur Seth Worley 2020 als eine Vorstudie für sein Kinodebüt inszenierte und in dem er das Konzept für „Sketch“ schon einmal ausprobierte. Eine Kinderbande beim Spiel im Wald sieht man dort – und ein magisches Gewässer, eine Quelle des Lebens, wenn man so will, die nicht nur Wunden heilt, sondern auch Unbelebtes zum Leben erweckt. Als ein Zeichenheft ins Wasser fällt, wird die Situation rasch unheimlich – denn das steckt voll von kindlich fantasievollen Monsterbildern…

Wie zahlreiche andere Kurzfilme von Worley – unter ihnen „Plot Device“, der als Werbefilm für eine Videobearbeitungssoftware in Auftrag gegeben wurde und bereits 2011 viral ging – kann man „Darker Colors“ auf dem YouTube-Channel der Firma Red Giant Software anschauen. Und wenn man das tut, kommt man eigentlich nicht umhin zu denken, dass dieser Microbudget-Filmemacher zu Höherem berufen ist. Ein wenig seltsam mutet es daher im Grunde an, dass es vom ersten kleinen Online-Hype bis zur Premiere von „Sketch“ beinahe anderthalb Jahrzehnte gedauert hat.

Dasselbe gilt für den Umstand, dass anscheinend keines der großen Filmstudios das Talent Worleys entdeckt hat. Stattdessen erscheint sein Debüt in den USA nun im Vertrieb von Angel, einem Medienkonzern, der vor allem die evangelikale Zielgruppe in den USA versorgt und der kürzlich mit „Sound Of Freedom“ und „Bonhoeffer“ zwei recht kontrovers diskutierte Filme auf dem Kerbholz hatte.

Nicht nur die Sets, der ganze Film fühlt sich an, als wäre eine Box mit farbenfroher Kreativität explodiert. Kinostar Filmverleih GmbH
Nicht nur die Sets, der ganze Film fühlt sich an, als wäre eine Box mit farbenfroher Kreativität explodiert.

Das sollte einen allerdings keineswegs davon abhalten, diesen zauberhaften, fantasievollen Film anzuschauen, zumal dieser mit religiösen Bekenntnissen überhaupt nichts am Hut hat. Eher denkt man an das Kinderhorrorkino der 80er-Jahre, an Klassiker wie Joe Dantes „Gremlins – Kleine Monster“, schrägere Videothekenkultfilme wie Fred Dekkers „Monster Busters“, oder insbesondere das morbide Alptraumszenario von Bernard Roses „Paperhouse“. Denn auch dort ging es bereits um Kindheitsfantasien, die per Zeichenstift entstehen und dann zu bedrohlichem Leben erwachen.

Nur dass es in „Sketch“ entschieden bunter und knalliger zugeht, denn den Monstren, die Amber (Bianca Belle) zunächst aus ihrem Kopf auf das Papier und dann aus dem Malbuch in die Welt entlässt, sieht man ihren Ursprung unverkennbar an: Knallige Buntstift-, Wachsmal- und Textmarkerfarben treffen auf das Gekritzel ungelenker Kinderhände, ergänzt werden die blutdürstigen Ungeheuer mit bezauberndem Eklektizismus durch Glitzer oder aufgeklebte Wackelaugen.

Spuren von Tim Burton und Stephen King

Es sind gleichzeitig bezaubernd und bedrohlich erscheinende Kreaturen, die den magischen Wassern entsteigen – die gruseligsten Wesen der Welt, durch den Filter einer naiven Kinderfantasie, die sich ein Ventil für Trauer und Wut sucht. Denn Amber und ihr älterer Bruder Jack (Kue Lawrence) haben kürzlich ihre Mutter verloren – und Vater Taylor (Tony Hale) ist zwar ungemein liebevoll, ringt aber selbst mit der eigenen Sprachlosigkeit im Angesicht dieses ungeheuren Verlusts. Man denkt vielleicht an die lustvolle Morbidität einiger kindlicher und jugendlicher Protagonist*innen in den frühen Filmen eines Tim Burton – an Winona Ryders Gothic-Teenagerin in „Beetlejuice“ oder den todessüchtigen, von Edgar Allan Poe besessenen Jungen „Vincent“ im gleichnamigen Kurzfilm. Damit läge man wohl gar nicht so weit daneben …

… ein Stück weit in Stephen-King-Territorium wagt sich „Sketch“ allerdings auch vor: Spätestens, wenn Jack die Urne mit der Asche seiner verstorbenen Mutter zum magischen See trägt, liegt schließlich ein Hauch von „Friedhof der Kuscheltiere“ in der Luft. So weit wie Kings abgründig-erwachsene Horrorstudie über Tod, Verlust und Trauer treibt es Worley allerdings nicht. Statt den Horror der Kindheit zum blutigen Exzess zuzuspitzen, belässt er ihn eher unter der Oberfläche. Als Möglichkeitsraum, als Vorahnung und Bewusstsein, dass alles, wirklich alles Dunkle im Menschen und in der Welt jederzeit zum Ausbruch kommen kann und niemand sicher ist.

Dank des magischen Sees erwachen die kindlichen Monsterzeichnungen zum Leben! Kinostar Filmverleih GmbH
Dank des magischen Sees erwachen die kindlichen Monsterzeichnungen zum Leben!

So ungefähr geht auch Worley mit diesem bloß angedeuteten Plottwist mit der toten Mutter um – eine Wendung, die gar nicht erst auserzählt werden muss, um in uns das Bewusstsein entstehen zu lassen, dass es auch noch viel schlimmer kommen könnte, dass der Horror real ist, auch wenn seine Manifestationen betont und freudvoll irreal daherkommen. „Sketch“ funktioniert aber gerade deswegen so hervorragend, weil beide Aspekte – der Horror und der Spaß – stets in einem Verhältnis zueinander verbleiben. An der Oberfläche ist Seth Worleys Regiedebüt eine fantasievolle, bunte Horrorkomödie, erzählt durch Kinderaugen, in der es mehr zum Lachen als zum wirklich nachhaltigen Gruseln gibt.

Aber die Ängste wie die Abgründe seiner kindlichen Helden nimmt Worley ernst genug, dass das Szenario jederzeit auch in echten Horror kippen könnte. Somit entsteht niemals der Eindruck so vieler mittelmäßiger Horrorkomödien, dass in ihnen im Grunde nichts wirklich auf dem Spiel steht, und hier und da blitzt gar eine Ahnung auf, dass die Ängste der Kindheit im Grunde die reineren, ungezähmteren sind. Also jene, denen wir auch als Erwachsene nicht so ganz entkommen.

Fazit: Das Kinodebüt des Kurzfilmregisseurs Seth Worley ist ein durch und durch bezaubernder, fantasievoller Kinderhorrorfilm in der Tradition Achtzigerjahre, der sich aber nie in profaner Retro-Nostalgie erschöpft. Zwischen Stephen King und Tim Burton lässt Worley mit geringsten Mitteln komplett überzeugend inszenierte Kindheitsmonsterträume zum Leben erwecken – und legt einen kleinen Low-Budget-Film vor, der besser und hochwertiger aussieht als so manch ein sehr viel teurerer Blockbuster. Dass er mangels einer aufwendigen Werbekampagne ein Geheimtipp bleiben wird, steht zu befürchten, umso nachdrücklicher sei er hiermit empfohlen – denn hier kann man noch eine wirkliche Entdeckung machen!

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