Die Fortsetzung zur Kult-Komödie – und es hat gerade mal 19 Jahre gedauert!
Von Lars-Christian DanielsFast zwanzig Jahre hat die herrlich anarchische Berlin-Komödie „Schwarze Schafe“ von Oliver Rihs („Bis wir tot sind oder frei“) inzwischen auf dem Buckel – und avancierte trotz (oder gerade wegen) ihres sympathischen Trashfaktors, der schrill-überzeichneten Figuren sowie des hohen Unterhaltungswerts über die Zeit bei vielen Fans zum Kult. Aus heutiger Sicht ist nicht zuletzt die Besetzung der polarisierenden Low-Budget-Produktion, die 2006 die Festivalwelt eroberte, bemerkenswert: Schließlich zählten mit Tom Schilling („Werk ohne Autor“), Robert Stadlober („Führer und Verführer“), Milan Peschel („Halt auf freier Strecke“) oder Marc Hosemann („Die Discounter“) eine ganze Reihe an Schauspielern zum Cast, die zwar schon damals keine ganz Unbekannten mehr waren, den Zenit ihrer Karriere aber noch vor sich hatten.
In diesem Punkt unterscheidet sich die inhaltlich fast komplett für sich allein stehende Fortsetzung „#SchwarzeSchafe“ klar von ihrem Vorgänger – schließlich sind mit Stars wie Jella Haase („Chantal im Märchenland“) oder Frederick Lau („One For The Road“) gleich mehrere Schauspielende dabei, die längst feste Größen im deutschen (Mainstream-)Kino sind. Aber auch sonst fühlt sich der erneut in lose miteinander verknüpften Episoden arrangierte Film, für den etwa Milan Peschel, Jule Böwe, Robert Löhr und Marc Hosemann vor die Kamera zurückkehren, etwas anders an: Während Rihs in „Schwarze Schafe“ das Kunststück fertigbrachte, den Berliner Zeitgeist zu treffen und gleichzeitig zeitlos witzig über inzestuösen Satanismus, schwanzgesteuerte Halbstarke oder arrogante Münchner Touristen zu erzählen, setzt Rihs diesmal voll auf die großen Debatten unserer Zeit. Die Rechnung geht trotzdem auf – und wie!
Die Hauptstadt schwitzt: In Berlin herrschen Rekordtemperaturen. Seit Wochen hat es nicht mehr geregnet. Nur eines von mehreren Symptomen, das den Neuköllner Clanchef Omar (Yasin El Harrouk) von heute auf morgen dazu veranlasst, seine lukrativen Aktivitäten im Drogenhandel zu überdenken: Sehr zur Freude seiner aufgeweckten Tochter Dalia (Norah Estelle Martha Malachowski) will Omar schleunigst die Größe seines CO2-Fußabdrucks reduzieren und ist darüber hinaus fest entschlossen, seine Jungs zum ersten klimaneutralen Clan der Welt zu formen. Dass der abgehalfterte Dealer Kafka (Marc Hosemann) gerade nicht an Omars Kokain kommt, weil er den Stoff auf dem Balkon des chaotischen Hobby-Imkers Fritz (Frederick Lau) zwischengelagert und der den Tierchen versehentlich Speed verabreicht hat, genießt schon bald keine Priorität mehr.
Der momentan als Sumpfkrabbenfischer tätige Peter (Milan Peschel) hat andere Sorgen: Der klamme Lebenskünstler will seine invasiven Krabben aus regionalem Fang auf der GreenHub-Messe des in Berlin weilenden Münchner Schnösels Stefan (Robert Lohr) als Delikatesse anbieten und verspricht ihm einen „gastronomischen Orgasmus“. Doch er scheitert mit seinem Anliegen, weil sein nebenbei als Callboy tätiger Partner Francesco (Alexander Schubert) ihn hängen lässt. Seine genervte Frau Charlotte (Jule Böwe) muss derweil ohne Bargeld ein teures Geburtstagsgeschenk für ihren anspruchsvollen Sohn auftreiben – und trifft im Spielzeugladen ausgerechnet Omar und Fritz‘ Schwester Delphine (Jella Haase). Die versucht dort energisch, ihre fluiden Genderpuppen an den Mann zu bringen, lässt dann aber heimlich Omars Kreditkarte mitgehen…
Klimakrise und Dürreperioden, Genderfluidität und Feminismus, E-Mobilität und Nachhaltigkeit: Der Schweizer Filmemacher Oliver Rihs, der sich mit Ana Cristina Tarpo, Daniel Young, Oliver Keidel, Ziska Riemann und Melanie Möglich gleich fünf Personen für das Drehbuch seiner Fortsetzung ins Boot geholt hat, packt eine ganze Reihe heißer Eisen an, die im Jahr 2025 täglich in klickträchtigen Schlagzeilen, Kampagnen und Social-Media-Posts auftauchen. Auch die unsozialen Netzwerke selbst bekommen ihr Fett weg: Schon der Hashtag im Filmtitel spielt auf TikTok und Co. an – und das vielgelikte Reel einer Aktivistin ist gemeinsam mit einem hitzebedingten Schwächeanfall überhaupt erst der Auslöser dafür, dass der kriminelle Omar sein bislang wenig nachhaltiges Handeln überdenkt.
Ob der Film mit diesen Themen so gut altert wie sein Vorgänger, wird sich zeigen, und neue Aspekte fügt Rihs den gesellschaftlichen Reizthemen kaum hinzu. Dafür nutzt er sie als Steilvorlage für ein Feuerwerk aberwitziger Absurditäten und skurriler Begegnungen. Nur selten geht der pechschwarze Dialogwitz daneben („Sind wieder Auschwitzwochen beim Modediscounter?“). Die einzelnen Handlungsstränge – Omars Klimaschutzoffensive, der an „Thelma & Louise“ angelehnte Spontantrip der Frauen, Peters ewiger Kampf gegen das eigene Versagen und Fritz‘ Versuche, an die Drogen im Bienenstock zu gelangen – halten dabei der Zufall und kuriose Verstrickungen des Ensembles zusammen: Zufällig treffen sich die Frauen und Omar im Shop, zufällig bestellen sie gerade Francesco als Callboy, zufällig organisiert der Grünwalder Stefan, der Charlotte schon in „Schwarze Schafe“ anschmachtete, den GreenHub am BER. Die Millionenmetropole Berlin, sowohl an Touri-Spots als auch in schmutzigen Hinterhöfen eingefangen, ist eben manchmal ein Dorf.
Das Vergnügen schmälert dieses wenig wahrscheinliche Arrangement nicht im Geringsten: Wer Rihs‘ schräge Underdog-Komödie aus dem Jahr 2006 mochte, dürfte auch an der ästhetisch aufpolierten Fortsetzung Gefallen finden. Statt in tristem Schwarz-Weiß und schummeriger Low-Budget-Optik präsentiert sich „#SchwarzeSchafe“ im knallbunten Bonbonlook. Die schnellen Schnitte und die wackelige Handkamera unterstreichen das hohe Erzähltempo auch handwerklich. Hier sind nicht nur die Bienen auf Speed! Die philosophisch-entschleunigenden Einordnungen der unverwechselbaren Off-Stimme von Katharina Thalbach wiederum treffen auf der Tonspur auf wummernde Elektrobeats, südamerikanische Tanzmusik oder Richard Wagners Walkürenritt – verrückter kann man einen Soundtrack kaum mixen. Das alles passt hervorragend zum brütend-heißen Sommerspektakel, dem wir entspannt im klimatisierten Kinosaal beiwohnen können.
Anders als in „Schwarze Schafe“ generieren die verschiedenen, natürlich zu keinem Zeitpunkt ernst zu nehmenden Handlungsstränge auch alle in etwa den gleichen Unterhaltungswert. Zusätzlich aufgepeppt werden sie mit sympathischen Cameo-Auftritten, wie wir das aus vielen deutschen Mainstream-Komödien kennen. Hier sind sie wohldosiert und verkommen nie zum Selbstzweck: Während etwa Jan Henrik Stahlberg („Muxmäuschenstillˣ“) dem lüsternen Stefan als Sidekick zur Seite steht, kutschiert der Dresdner „Tatort“-Ermittler Martin Brambach die zwei wild gewordenen Frauen als Taxifahrer mit Union-Käppi ins Nobelhotel. Die teure Zwischenunterkunft ist zugleich Schauplatz des versauten Höhepunkts aller Gagsalven: Wurde in „Schwarze Schafe“ noch eine im Koma liegende Oma vom eigenen Enkel penetriert, kommt diesmal eine aufsteckbare Handprothese beim Analverkehr mit UV-Lichteffekten zum Einsatz!
Solche derben, aber oft urkomischen Einfälle muss man aushalten können – doch die turbulente Komödie fechtet auch mit feinerer Humorklinge. Wenn der einfältige Dealer das Schloss des Hotelzimmers mit der Chipkarte im Türschlitz knackt, die in ganz Deutschland ansässigen Clanchefs beim Videocall mit der Technik hadern oder Omar mit einer Verkäuferin im Unverpackt-Laden zankt, wer von beiden jetzt mehr BIPoC ist, sind das herrlich bescheuerte Einfälle und treffsichere Seitenhiebe auf den Zeitgeist, bei denen kein Auge trocken bleibt. Während Marc Hosemanns Rolle diesmal etwas kleiner ausfällt und man dem immer grandiosen Milan Peschel wie im ersten Teil noch mehr Kamerazeit gewünscht hätte, überragt im Cast vor allem Jule Böwe mit einem wunderbar uneitlen Auftritt. Dasselbe gilt für Frederick Lau, der praktisch jede Szene stiehlt und seine Messi-Wohnung mit Bienenbalkon zum großen Finale sogar einmal kurz verlassen darf.
Fazit: Die Schwarzen Schafe sind zurück – und fast 20 Jahre später genauso witzig wie 2006, als der Berliner Sommer uns ähnlich hohe Temperaturen bescherte wie in dieser treffsicheren und aberwitzig-absurden Komödie. Popcorn holen, hinsetzen, Spaß haben!
Wir haben „#SchwarzeSchafe“ beim Filmfest München 2025 gesehen, wo der Film in der Reihe „Neues Deutsches Kino“ seine Weltpremiere feierte.