Kubischer Klötzchen-Wahnsinn
Von Stefan GeislerVideospiel-Adaptionen hatten über Jahrzehnte hinweg einen zweifelhaften Ruf. Gurken wie die „Super Mario Bros.“-Verfilmung von 1993 oder sämtliche von Uwe Boll verbrochenen Verfilmungen wie „Alone In The Dark“ oder „BloodRayne“ haben ihren Teil dazu beigetragen, dass den Leinwand-Interpretationen selbst dann noch Vorurteile anhafteten, als sie begannen, langsam etwas besser zu werden – und inzwischen ist nicht nur Hollywood offener für tatsächlich werkgetreue Umsetzungen, auch das Publikum hat verstanden, dass da mitunter auch etwas richtig Gutes bei rumkommen kann: „The Last Of Us“, „Der Super Mario Bros. Film“ oder „Arcane“ sind nur einige Positivbeispiele, wie Umsetzungen künstlerisch funktionieren (und dabei auch noch mächtig absahnen) können.
Mit „Minecraft“ ist nun ein wahrer Gaming-Koloss für die große Leinwand adaptiert worden – schließlich handelt es sich bei dem Klötzchen-Sandkasten um nicht weniger als das meistverkaufte Videospiel aller Zeiten. Microsoft hat 2014 sogar 2,5 Milliarden (!) Dollar für das Entwicklerstudio Mojang hingeblättert, um an die Rechte zu kommen. Da klingt eine Leinwand-Umsetzung doch nach dem nächsten logischen Schritt. Aber es gibt da ein Problem: „Minecraft“ lebt wie kaum ein anderes Game von der spielerischen Freiheit. Man kann aktiv Abenteuer erleben oder einfach nur meditativ vor sich hinbauen – nur ein narrativer roter Faden, der liegt da jetzt erst mal nicht auf der Hand.
Vielleicht hat auch diese ganz spezielle Herausforderung dazu beigetragen, dass das Studio Warner Bros. bei der Besetzung des Regiestuhls einen ungewöhnlichen Weg und damit durchaus ein Risiko eingegangen ist: Mit dem Independent-Megahit „Napoleon Dynamite“ hat uns Regisseur Jared Hess wohl eine der eigenwilligsten Heldenreisen der letzten 25 Jahre beschert. Seitdem ist er bekannt dafür, sich auch in größer budgetierten Filmen wie der Wrestling-Komödie „Nacho Libre“ nicht um Hollywood-Konventionen zu scheren, sondern knallhart seinen eigenen Stiefel durchzuziehen. Und diese Entscheidung hat sich bezahlt gemacht: Hess entfesselt mit „Ein Minecraft Film“ einen absoluten Gaming-Wahnsinn, der es sich irgendwo zwischen dadaistischem Trip und Brainrot-Internet-Kultur bequem macht. Vielleicht ist das ja sogar der beste Weg, um der ungezügelten Kreativität der Vorlage treu zu bleiben.
Garrett „The Garbage Man“ Garrison (Jason Momoa), Henry (Sebastian Eugene Hansen), Natalie (Emma Myers) und Dawn (Danielle Brooks) sind vier Außenseiter*innen, die gerade eine schwere Zeit durchmachen. Während die einen sich mit mehreren Nebenjobs über Wasser halten müssen, stehen die anderen vor dem finanziellen Ruin oder haben gerade durch den Tod einer geliebten Person die Haftung im Leben verloren. Doch als sich ein mysteriöses Portal öffnet, das ihnen einen Weg in eine würfelförmige Welt zeigt, wird ihr Leben von einem Moment auf den anderen völlig auf den Kopf gestellt: In diesem kubischen Land scheinen die Gesetze der Realität ausgehebelt und damit alles möglich zu sein.
Aber es lauern auch Gefahren: Um den Heimweg anzutreten, muss sich das Quartett erst einmal in dieser bizarren Welt zurechtfinden und gegen Gefahren wie Zombies oder aggressive Schweine – sogenannte Piglins – antreten. Ihre ganze Hoffnung ruht dabei auf Steve (Jack Black), einem erfahrenen Handwerker, der bereits seit vielen Jahren in der Klötzchen-Welt lebt und der Truppe auf ihrer unfreiwilligen Reise kräftig unter die Arme greift. Während sie gemeinsam die zahlreichen Herausforderungen bewältigen, erkennen sie, dass ihre kreativen Talente der Schlüssel zum Erfolg sind – sowohl in der Minecraft-Oberwelt als auch in ihrer eigenen Realität…
„Ein Minecraft Film“ wird nicht wenige Zuschauer*innen in Erwartungen eines klassischeren Minecraft-Kinofilms vor den Kopf stoßen. Die knallbunte Optik und der laute Humor haben definitiv das Potenzial, einen erst einmal zu verschrecken. Erschwerend kommt noch hinzu, dass sich Jared Hess' Videospiel-Adaption überhaupt nicht um eine emotional packende Story schert – und genau daraus seinen Witz generiert. Mystische Artefakte werden hier als „Dingsbums“ abgetan – und ein Erklärungsversuch des generischen Laserstrahls, mit dem sich die Oberbösewichtin unendliche Macht sichern will, scheitert bereits im Ansatz und ist deshalb urkomisch. Im Kinosessel muss man sich auf den Wahnsinn dieser Welt und ihrer merkwürdigen Bewohner*innen einlassen – und erlebt dann eine Entdeckungsreise, die dem einmaligen Spielgefühl von „Minecraft“ tatsächlich erstaunlich nahekommt.
Warum in dieser Welt nun alles eckig sein muss? Warum die Dorfbewohner*innen dicknasige Typen mit Monobrauen sind, die unverständliches Zeug reden? Warum in der Nacht explodierende Creeper-Blockmonster durch die Gegend spuken? All das wird natürlich nur „Minecraft“-Neulingen merkwürdig vorkommen. In der Vorlage wollen all diese eigenen Regeln, Absonderlichkeiten und Gesetze erforscht werden – und selbst nach vielen Spielstunden soll noch der Entdeckerdrang geweckt werden. Genau dieses Gefühl fängt „Ein Minecraft Film“ hervorragend ein, denn auch hier warten hinter jeder Ecke neue Abenteuer und schräge Momente.
Erstaunlicherweise ist der Film dabei nicht auf ein reines Kinder- und Jugendpublikum ausgerichtet. Viele der Witze sind erstaunlich finster, beispielsweise wenn ein junger Piglin kaltblütig in ein Steak verwandelt wird, da er es gewagt hat, sich kreativ auszuleben. Ohnehin sind die Szenen im Nether, was so etwas wie die „Minecraft“-Hölle darstellt, recht düster. Zwar lockern auch hier Witze das Geschehen immer wieder auf, dennoch dürften die Schweine-Wesen mit ihren glühenden Augen und fiesen Fratzen oder die sinistren Zombies, die bei Sonneneinstrahlung sofort in Flammen aufgehen, doch etwas viel für ein jüngeres Publikum sein.
Ähnlich verhält es sich auch mit den zotigen Sprüchen, die insbesondere von „American Pie“-MILF Jennifer Coolidge rausgehauen werden. Diese lädt „The Garbage Man“ Garrison schon mal ein, ihren Deckel zu öffnen und ihr den Sack reinzustopfen. Es gibt mehrere solcher Anzüglichkeiten, die im Kontext eines „Minecraft“-Films sehr unerwartet radikal wirken – und gerade deshalb während der Pressevorführung für viel Heiterkeit in den Reihen gesorgt haben. Auch wenn solche Frivolitäten wahrscheinlich über die Köpfe der kleinsten „Minecraft“-Fans hinwegfliegen dürften, erklärt dies immerhin die durchaus berechtigte FSK-12-Einstufung.
Dennoch versteht es Jared Hess, auch aus der innerweltlichen Logik seinen Witz zu generieren. Wie brät man in „Minecraft“ ein Hühnchen? Richtig, man kippt einfach Lava über ihm aus. Und wer wissen wollte, wie ein gefüllter Eimer Wasser einen Sturz aus luftigen Höhen abfedern kann, der sollte unbedingt eine Kinokarte lösen. Als größtes Highlight erweist sich aber das Schauspieler-Duo Jack Black und Jason Momoa, die mit ihrem Rivalitäts-Gehabe für einige der besten Szenen sorgen. Wenn Jack Black auf der Flucht vor den Piglits auf Jason Momoa durch luftige Höhen reitet, nur um kurze Zeit später ein „Männer-Sandwich“ zu formen, um durch ein enges Loch in einem Mauerwerk zu gleiten, ist das zu absurd, um es wirklich zu glauben.
Lediglich wenn dann doch mal die kaum vorhandene Story vorangetrieben werden oder emotionale Brücken zwischen den Figuren geschlagen werden sollen, schleicht sich etwas Leerlauf in das sonst so ausgelassene Treiben. Gerade die tragische Geschichte um das Geschwister-Paar Henry (Sebastian Eugene Hansen) und Natalie (Emma Myers) wirkt im Film regelrecht deplatziert – und wird von Hess auch wie lästiges Beiwerk behandelt. Deshalb dürfte ein großer Teil des Publikums den emotionalen Moment der finalen Aussprache wohl höchstens mit einem müden Schulterzucken quittieren.
Fazit: Was für ein wilder Ritt! „Ein Mincraft Film“ zelebriert die kreative Freiheit und den grenzenlosen Leinwand-Schwachsinn. Wer ein Herz für absurden Humor besitzt, dürfte mit diesem Film trotz kleinerer Längen eine gute Zeit haben.