Liebe wie ein Glücksspiel
Von Susanne Gietl„True Blood“, „Game Of Thrones“, „House Of Cards“, „Deadwood – Der Film“, „Grey‘s Anatomy“: Daniel Minahan war bereits an erstaunlich vielen TV-Blockbustern beteiligt. Aber in der Serien-Vita des Regisseurs findet sich auch so manches Kleinod. So lebte er seinen Hang zu stilvollen Retro-Vibe etwa in den 1940er-Jahre-Settings der Mini-Serie „Hollywood“ sowie dem „Einer flog übers Kuckucksnest“-Prequel „Ratched“ aus.
Für die Biopic-Serie „Halston“ (2021) zog es ihn anschließend in die 1970er, wo Ewan McGregor als kokainsüchtiger Modezar zwar inhaltlich nur an der Oberfläche kratze, der Rest aber visuell wirklich sehr schön anzusehen war. In „On Swift Horses“, der im September 2024 beim Toronto International Film Festival seine Premiere feierte, konzentriert sich Minahan nun erneut auf seine Stärken und präsentiert malerische Bilder, authentische Kostüme und einen starken Cast – diesmal allerdings im speziellen Flair der Fünfzigerjahre.
Eigentlich ist alles perfekt: Muriel (Daisy Edgar-Jones) und Lee (Will Poulter) wohnen in einem Haus im tiefsten Kansas. Das liebevoll eingerichtete Zuhause mit Blümchentapete und alten Holzmöbeln hat Muriel von ihrer verstorbenen Mutter geerbt. Muriel und Lee lieben sich, scheinen nur sich selbst zu brauchen. Aber als Lees Bruder Julius (Jacob Elordi) aus dem Koreakrieg heimkehrt, fühlt sich Muriel zu ihm hingezogen.
Die drei überlegen, sich im sonnigen San Diego ein neues Leben mit einfachen Jobs aufzubauen. Doch Julius hat andere Pläne. Es zieht ihn ins sündige Las Vegas. In ihrem geheimen Briefwechsel sinnieren Julius und Muriel über Glücksspiel und das Leben. Glück und Unglück sind in Liebe und Glücksspiel nur eine Haaresbreite entfernt. Schnell kann man alles verlieren – besonders in Zeiten gesellschaftlicher Repression…
Daisy Edgar-Jones („Twisters“) überzeugt durch ihre subtile Mimik. Jacob Elordis magisches Charisma wie in „Saltburn“ spürt man auch hier. Und das nicht nur, wenn er mit nacktem Oberkörper lässig auf der Motorhaube eines Plymouth Coupe ruht und sich so als eben aus dem Koreakrieg heimgekehrter Freigeist präsentiert. Kriegswunden kann man nur erahnen. Will Poulter („Warfare“) als liebender Ehemann verleiht seiner Figur durch entwaffnend-unschuldiges Spiel emotionale Tiefe. Mit dieser Aufstellung versucht sich Regisseur Daniel Minahan an einem Kinodebüt, das den heteronormativen amerikanischen Traum elegant infrage stellen soll. Doch die Geschichte berührt leider nicht.
Bryce Kass‘ Drehbuch basiert auf Shannon Pufahls gleichnamigem Debütroman von 2019, der von ihren Erinnerungen an ihre eigene Oma inspiriert wurde. Die Großmutter führte die Autorin schon in jungen Jahren an die Welt des Glücksspiels heran und brachte ihr bei, wie man unter anderem Poker und Automaten spielt. Einen ähnlichen Hang zum Risiko hat nun auch die Hauptfigur der Kellnerin Muriel, die ihre Kunden belauscht, um sich so Tipps für Pferdewetten zu besorgen.
Minahan setzt gerne auf Kontraste. Während Muriel an ihren kleinen, heimlichen Wett-Abenteuern an der Rennbahn zwischen den Reichen und Schönen stillen Gefallen findet, erkundet Julius die wilde Seite des Lebens und stürzt sich in das spelunkige, nächtliche Las Vegas. Durch abrupte Übergänge von einer Szene in die nächste bleibt wenig Zeit, ein Gefühl für die Figuren zu entwickeln. Außerdem setzt Kameramann Luc Montpellier bei Landschaften gerne auf Weitwinkelaufnahmen, was noch mehr Distanz zu den darin agierenden Figuren schafft.
Begegnungen wie die von Muriel und Julius sind viel zu kurz, um richtige Nähe zu schaffen, auch Nachbarin Sandra (Sasha Calle) und Pokerspieler Henry (Diego Calva) werden viel zu schnell ein wichtiger Bestandteil von Muriels/Julius Leben. Minahan rechtfertigt diese Blitz-Emotionen durch erotisch aufgeladene Augenblicke, die ein ganzes Leben verändern sollen. Da ist selbst ein Olivenkern, den Muriel in Sandras Handfläche spuckt, von großer Bedeutung – und die Explosion einer Atombombe ein romantisches Date zweier Männer. Wenn Bewegungen für eine perfekte Kamera-Einstellung plötzlich seltsam choreografiert wirken und selbst das Weiß der Unterwäsche der Liebenden aufeinander abgestimmt zu sein scheint, dann ist „On Swift Horses“ so übermäßig stilisiert, dass man sich ein bisschen mehr Natürlichkeit gewünscht hätte.
Fazit: Regisseur Daniel Minahan fühlte sich beim Lesen von Pufahls Buch „trunken vor Liebe in einer Welt voller Möglichkeiten“. Schade, dass diese Liebe nur theoretisch und eben nicht auch auf der emotionalen Ebene rüberkommt. Aber wie beim Pokerspiel wird manch einem Zuschauenden dieser Bluff aufgrund des bestechenden Retro-Charmes von „On Swift Horses“ womöglich gar nicht weiter auffallen.