Golden Girls auf Irisch
Von Gaby SikorskiHäufig wenig beachtet, weil kaum sichtbar, sind sie vielleicht die wahren Held*innen des Alltags: Frauen und Männer, die ihre Angehörigen pflegen. In Deutschland sind nach den aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes schätzungsweise 5,7 Millionen Menschen pflegebedürftig – und von diesen werden ca. 86 Prozent zu Hause versorgt, davon wiederum mehr als drei Viertel von ihren Angehörigen. Diese Zahlen dürften sich auch in vielen anderen Ländern Europas ähnlich entwickeln, also auch in Irland, wo „Vier Mütter für Edward“ spielt. Regisseur Darren Thornton, der das Drehbuch gemeinsam mit seinem Bruder Colin Thornton geschrieben hat, gelingt eine Komödie zum Lachen und zum Weinen – und in den besten Momenten sogar beides gleichzeitig.
Für Edward (James McArdle) ist es ganz selbstverständlich, dass er seine Mutter Alma (Fionnula Flanagan) versorgt. Sie kann seit einem Schlaganfall nicht mehr sprechen, die Kommunikation läuft stattdessen über ein Tablet mit Sprachausgabe. Aber sie kommt alleine überhaupt nicht mehr klar, Edward umsorgt und kocht für sie, er fährt sie zu Arztterminen und in die Kirche, ist immer für sie da, wenn sie ihn braucht. Er ist Schriftsteller, wohnt noch in seinem Elternhaus – und träumt vom literarischen Durchbruch, den er mit seinen progressiven Jugendbüchern zu erreichen hofft. Momentan sieht es ganz gut aus – er könnte demnächst eine Lesereise durch die USA antreten. Wenn da nicht seine Mutter wäre, denn er kann sie nicht alleine lassen.
Sie braucht ihn, und sie verlässt sich auf ihn. Rund um die Uhr. Und damit ist Edward nicht alleine. Wie seine besten Freunde, die ebenfalls ihre Mütter betreuen, ist Edward schwul. Außerdem ist er extrem sanftmütig und geduldig, und daraus folgt beinahe unausweichlich, dass er ausgenutzt wird. Nicht etwa von Alma, der das gar nicht bewusst wäre, sondern tatsächlich von seinen Freunden, die kurzerhand ihre Mütter bei ihm parken, weil sie selbst zum spontanen Pride-Wochenende nach Maspalomas aufbrechen. So wird Edward ungefragt und ungewollt zum Betreuer und Pfleger von vier sehr unterschiedlichen alten Damen, während sich seine Freunde nach Kräften amüsieren…
Nach Motiven des italienischen Films „Das Festmahl im August“ hat der irische Regisseur Darren Thornton („Ein Date für Mad Mary“) einen Crowd Pleaser im besten Sinne des Wortes geschaffen. Und das nicht etwa, weil hier mit der Wurst nach der Speckseite geworfen wird (für Veganer*innen: mit dem Tofu nach dem Seitan), sondern vor allem, weil sich hier die schönsten Seiten der Komödie mit tiefen Gefühlen und dramatischen Verwicklungen treffen – aber immer ohne die Gefahr, dass die Geschichte womöglich kein Happy End haben könnte. Also mit viel Witz und Charme, aber wenig Gefühlsduselei. Edward ist dabei die zentrale Figur – ein liebenswerter, aufopferungsvoller Sohn und ein ebenso duldsamer Freund, wobei über weite Strecken unklar bleibt, ob er als King der Entschlusslosigkeit überhaupt in der Lage ist, Entscheidungen zu treffen.
Er hat definitiv ein Helfersyndrom, und das scheint alles zu überlagern. Obwohl er schon auf die Vierzig zugeht, hat er offenbar seinen Platz im Leben noch nicht gefunden, und immerhin hat er ja im Zweifelsfall immer die gute Ausrede, dass er sich schließlich um seine Mutter kümmern muss. Dabei bleibt es lange Zeit vollkommen unklar, was eigentlich zuerst da war. Nicht die Henne oder das Ei, sondern Edwards Problem, sich durchzusetzen, oder seine Neigung, abzuwarten und die Dinge einfach geschehen zu lassen. Schön ist auch, dass das Thema Homosexualität in diesem Film nicht problematisiert, sondern als selbstverständlicher Bestandteil des Lebens und einer Persönlichkeit vermittelt wird.
James McArdle spielt in seiner ersten großen Filmrolle den Edward absolut bravourös: ein sympathischer Junge mit sanftem Blick, erfüllt vom Gedanken, Gutes zu tun, und zwar nicht aus schlechtem Gewissen, sondern aus dem Bedürfnis, nützlich zu sein, und zwar notfalls bis zur Selbstaufgabe. Für ihn ist es ganz selbstverständlich, seine eigenen Bedürfnisse zu vergessen, um seiner Mutter zu helfen und ihr zu Diensten zu sein. Sein Pflichtbewusstsein ist so groß, dass er darüber alles andere vergisst. Er lässt sich auch – wie erwartet – sofort von den alten Damen herumkommandieren. Aber tatsächlich merken seine vier Schutzbefohlenen beinahe noch vor ihm, dass er womöglich mehr Hilfe benötigt als sie selbst. So wird das lange Wochenende, das seine Kumpels mit viel Alkohol und in knappen Höschen im sonnigen Süden verbringen, für Edward nicht nur zum Stresstest, sondern irgendwann zur Selbstfindungstherapie mit vier ziemlich merkwürdigen, aber doch effizienten Therapeutinnen.
Edwards vier Ersatzmütter wirken wie vier irische, sprich: ziemlich katholische, ziemlich konservative, aber entzückende Varianten der Golden Girls. Sie decken jede für sich und alle gemeinsam prinzipiell die gesamte Palette dessen ab, was ältere Frauen und Mütter auszeichnet bzw. als störend an ihnen bezeichnet werden könnte: Rechthaberei, Überfürsorglichkeit und Konservativismus gehören ebenso dazu wie die typischen Alterserscheinungen in Gestalt von Vergesslichkeit, Altersstarrsinn und Hinfälligkeit. Dazu gehört aber eben auch ihr teils bissiger Humor, ihre Altersweisheit und ihre gute Beobachtungsgabe. Diese vier stellen nicht nur ein schreckliches Quartett der fortgeschrittenen Mutterschaft dar, sondern sie alle sind dabei gleichzeitig so liebenswert und sympathisch, dass man ihnen sofort alle Querschläger verzeihen möchte. Sogar Alma stellt sich als durchaus lernfähig heraus und sorgt damit für einen der wenigen eindeutigen Taschentuch-Momente des Films, wobei ansonsten der Humor überwiegt. Trotz des schwungvollen Soundtracks ist der in meist sanfte Farben gehüllte Film insgesamt aber eine eher von hintergründigem Witz geprägte Komödie – mehr zum Lächeln und zum Kichern als zum Grölen.
Fazit: Eine hübsche Wohlfühlkomödie, die sich – oberflächlich betrachtet – um das Verhältnis zwischen Müttern und Söhnen dreht. In Wahrheit geht es um Macht und Abhängigkeit und um die Notwendigkeit, diese Problematik zu erkennen, um sich davon zu lösen. Und natürlich geht es um Irland, wo der Glaube an Geister beinahe so wichtig ist wie die katholische Kirche. Vielleicht sogar noch wichtiger.