Der Horror-Hype des Jahres
Von Christoph PetersenNoch ist nicht endgültig geklärt, ob die beiden Ereignisse wirklich im Zusammenhang stehen. Aber die Geschichte ist einfach viel zu gut, um sie an dieser Stelle nicht zu erzählen: Nachdem seine verstörende Horror-Sensation „Barbarian“ weltweit mehr als das Zehnfache ihres Budgets eingespielt hat (und in Deutschland trotzdem direkt bei Disney+ erschienen ist), brach um das Nachfolgeprojekt von Autor und Regisseur Zach Cregger ein hochkarätiger Bieterwettstreit aus. Netflix, New Line Cinema (Warner Bros.), TriStar Pictures (Sony) und Universal Pictures wollten „Weapons – Die Stunde des Verschwindens“ unbedingt haben. Am Ende macht New Line das Rennen für 38 Millionen Dollar (davon zehn Millionen für Cregger selbst).
Soweit die gesicherten Fakten. Aber kurz nach der Entscheidung feuerte Jordan Peele („Wir“, „Nope“) sein Management – und damit brachen die Spekulationen los: Offenbar wollte Peele „Weapons“ unbedingt mit seiner Firma Monkeypaw produzieren – und war deshalb äußerst verärgert, dass das Projekt nicht an sein Hausstudio Universal gegangen ist. Der Regisseur des besten Horrorfilms der letzten 25 Jahre war also bereits nach dem Lesen des Drehbuchs dermaßen gehypt, dass er derart drastische persönliche Konsequenzen gezogen hat. Und was sollen wir sagen? Nachdem wir den Mystery-Horror „Weapons“ jetzt selbst gesehen haben, können wir ihn nur allzu gut verstehen.
Genau um 2.17 Uhr sind 17 Schüler*innen aufgestanden, aus ihren Häusern gelaufen und in einer geraden Linie in das Dunkel der Nacht verschwunden. Seitdem fehlt von ihnen jede Spur. Und als ob das nicht schon mysteriös genug wäre, stammen alle vermissten Kinder auch noch aus der Klasse von Grundschullehrerin Justine Gandy (Julia Garner) – nur ihr Schüler Alex Lilly (Cary Christopher) saß am nächsten Morgen noch auf seinem gewohnten Platz. Wenig überraschend ist seit diesen Geschehnissen in der einst so beschaulichen US-Kleinstadt Maybrook nichts mehr, wie es einmal war.
Justine wird von der versammelten Elternschaft angefeindet – und flüchtet sich in ihrer Verzweiflung in den Alkohol sowie eine Affäre mit dem Polizisten Paul (Alden Ehrenreich). Der Bauunternehmer Archer Graff (Josh Brolin) kann einfach nicht hinnehmen, dass sein Sohn für immer verschwunden ist, also klammert er sich an jeden noch so geringen Hoffnungsschimmer. Und der Schulleiter Andrew (Benedict Wong) steht zwischen allen Stühlen: Er muss die aufgebrachten Eltern beruhigen, zugleich aber auch Justine aus der Schusslinie nehmen – schließlich hat die polizeiliche Untersuchung ergeben, dass alle Kinder von ganz allein aus ihren Häusern gerannt seien…
Das zentrale Mysterium sowie die polizeilichen Ermittlungen liegen zu Beginn von „Weapons“ bereits in der Vergangenheit und werden in den ersten paar Minuten vor der Titeleinblendung lediglich von einer Mädchenstimme aus dem Off grob nacherzählt. Zach Cregger geht es eben weniger um das Verschwinden der Kinder selbst, sondern um die Auswirkungen auf die Bewohner*innen der Kleinstadt. Und diese erforscht er in den nachfolgenden Kapiteln, die jeweils nach einer der beteiligten Personen benannt sind und sich zunehmend überschneiden, in wahrhaft monumentalen Cinemascope-Bildern voll atemberaubender Tracking-Shots.
Zach Cregger selbst hat „Weapons“ als „Horror-Epos“ beschrieben sowie ausgerechnet Paul Thomas Andersons Meisterwerk „Magnolia“ als Inspiration genannt. Und tatsächlich: Die sich zunehmend zum Gesamtbild formende Kapitelstruktur sorgt im Zusammenspiel mit den unverblümt überwältigenden Bildern für ein Gefühl von epischer Größe, das man so im Horrorgenre selten erlebt. Und selbst wenn es zwischendrin immer wieder um die Trauerarbeit der Protagonist*innen geht, wird die Spannung durchgehend hochgehalten: Ständig lassen sich – mitunter auch nur im Hintergrund – Hinweise entdecken, was es mit dem Verschwinden der Kinder auf sich haben könnte.
Warum heißt der Film eigentlich „Weapons“? Warum wurden am Tag vor dem Verschwinden ausgerechnet Parasiten im Unterricht durchgenommen (was man an der noch immer nicht abgewischten Tafel erkennen kann)? Und warum erscheint Archer im Traum ein gewaltiges schwebendes Sturmgewehr, dessen grell leuchtende Munitionsanzeige ausgerechnet noch 217 verbliebene Patronen anzeigt? (Und keine Sorge, wir haben hier nichts gespoilert, „Weapons“ ist voll von solchen Mini-Mysterien, die einen die gesamte Laufzeit über immerzu am Miträtseln halten.)
„Barbarian“ genießt ja vor allem deshalb einen so einzigartigen Ruf, weil Zach Cregger mittendrin eine 180°-Wende hinlegt und sich das Publikum plötzlich in einem anderen Film wiederfindet. In „Weapons“ ist der Wandel zwar längst nicht so krass – aber auch hier gelingt Cregger (im Gegensatz zu „Lost“ & Co.) die Landung, wenn er sein Mystery-Puzzle nach der Auflösung als trocken-bösartigen Horror ausklingen lässt. Zumal mit einem unendlich kathartischen Finale, das eine so befriedigende Wucht entfaltet, dass es einen beim Anfeuern regelrecht aus den Sitzen reißt.
Fazit: Ganz egal, ob man „Weapons – Die Stunde des Verschwindens“ nun als „das ‚Magnolia‘ unter den Horror-Epen“, als „‚Fargo‘ trifft ‚Lost‘“ oder als „‚Barbarian‘ mit einem gehörigen Schuss ‚Three Billboards Outside Ebbing, Missouri‘“ zu beschreiben versucht – der Hype ist definitiv real!