Rave On
Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
3,5
gut
Rave On

Die Rückkehr zur Ekstase

Von Ulf Lepelmeier

Was bleibt vom Rausch, wenn das Licht angeht? „Rave On“ von Nikias Chryssos und Viktor Jakovleski macht die Antwort gleichermaßen körperlich wie emotional erlebbar. Zwischen Bassgewitter und Drogentrip, Techno-Ekstase und innerer Leere erzählt das Regie-Duo von einem Mann, der in einer einzigen Berliner Clubnacht mit sich selbst, seiner Vergangenheit und seinen gescheiterten Träumen konfrontiert wird. Bekannt wurde Chryssos mit „Der Bunker“ und „A Pure Place“, in denen er hermetische Mikrokosmen aufbaute – durchdrungen von schrägen Familienstrukturen, autoritärer Erziehung und grotesken Ritualen.

In „Rave On“ ersetzt nun der Club die Familie, das Kollektiv den Elternkörper. Die Technonacht wird zum Schauplatz einer späten Selbstfindung. Dabei vermengen die Regisseure atmosphärische Clubaufnahmen mit surrealen Verzerrungen, lassen dokumentarische Wirklichkeit und halluzinierte Innenwelten treffen – und schaffen so einen Film, der eine lange Clubnacht mit ihren Höhen und Tiefen erfahrbar machen will. Es geht um Musik, um Erinnerung und darum, ob man sich selbst nochmal neu auflegen kann, wenn der letzte Track verklingt.

Klaus (Clemens Schick) ist immer noch nicht ganz darüber hinweg, dass ihm sein Kumpel Kosmo damals den Durchbruch als DJ versaut hat. Weltkino Filmverleih
Klaus (Clemens Schick) ist immer noch nicht ganz darüber hinweg, dass ihm sein Kumpel Kosmo damals den Durchbruch als DJ versaut hat.

Der ehemals aufstrebende DJ Kosmo (Aaron Altaras) hat mitbekommen, dass die Rave-Legende Troy (Jamal Moss) wieder in seinem alten Lieblingsclub in Berlin auflegt. Das letzte Mal, als Troy dort spielte, war jener Abend, an dem Kosmo und sein damaliger Kompagnon Klaus (Clemens Schick) eigentlich ihren großen Durchbruch feiern wollten. Doch Kosmo ruinierte den Auftritt. Nun, Jahre später, will er es ein letztes Mal wissen.

Kosmo bringt eine selbst zusammengestellte Vinylplatte mit seinen Tracks mit, in der Hoffnung, sie Troy persönlich überreichen zu können. Doch kaum betritt Kosmo den Club, trifft er auf Menschen aus seiner Vergangenheit. Alte Konflikte, verpasste Chancen und längst verdrängte Gefühle holen ihn ein. Und während draußen die Sonne langsam untergeht, beginnt drinnen eine Nacht, die alles verändert – ein Trip zwischen Euphorie, Eskapismus und Erinnerung…

Let’s rave on!

Sonderbare Familienkonstellationen, Erziehungsrituale und die Abkapselung von einer hermetisch-hierarchischen Welt standen im Zentrum der ersten beiden Kinofilme von Nikias Chryssos. Auch DJ Kosmo durchläuft einen Läuterungsprozess, der in der Abnabelung von der eigenen Vergangenheit besteht. Doch im Gegensatz zu den vorigen Filmen stehen hier weder Familie noch Autoritätssysteme im Mittelpunkt. Es sei denn, man würde den Rave-Club als symbolische Ersatzfamilie lesen wollen. Was sich hingegen fortsetzt, ist Chryssos’ Faible für schräge Figuren, surreale Situationen und bewusst gebrochene Realitätsebenen: In Kosmos Drogenträumen und Erinnerungsschüben, die teils durch konfrontative Begegnungen ausgelöst werden, spiegelt sich seine Innenwelt, die mit der düsteren, pulsierenden Außenwelt des Clubs verschmilzt.

Zahlreiche Szenen wurden während tatsächlicher Partynächte in einem Berliner Club gedreht und verleihen dem Film so einen dokumentarisch anmutenden Anstrich. Hier zeigt sich der Einfluss von Chryssos’ Regiekollegen Viktor Jakovleski, der in seinem Dokumentarfilm „Brimstone & Glory“ bereits ein Feuerwerksfestival mit suggestiver Wucht erlebbar machte. Auch in „Rave On“ entsteht dieser körperliche Sog – das Publikum wird zum Teil der Menge. Die Kamera von Raphael Beinder verliert sich im Nebel, fängt verschwitzte Gesichter und flackerndes Licht ein, taumelt durch Räume, ohne je ganz die Kontrolle zu verlieren.

Kein Rave ohne die dafür nötigen Substanzen. Weltkino Filmverleih
Kein Rave ohne die dafür nötigen Substanzen.

Die Einbindung realer Clubmomente bildet eine inhaltliche Parallele zum Techno-Film „Berlin Calling“, der ein ähnliches Milieu samt der Drogenexzesse seines DJ-Protagonisten thematisiert. Im Gegensatz zum Erfolgsfilm von Hannes Stöhr erzählt „Rave On“ jedoch von keiner Musikerkarriere, sondern konzentriert sich auf eine einzige, exzessive Clubnacht, in der sich Kosmo zunehmend im hedonistischen Rausch aus Musik und Drogen verliert. Unterstützt wird das Ganze durch den treibenden Soundtrack von Ed Davenport, der den Rhythmus vorgibt.

Visuell und akustisch erzeugt das Regie-Duo so einen authentischen Clubfilm, der die Höhen und Tiefen einer zugedröhnten Partynacht im Berliner Nachtleben einfängt. Ein ausgefeilter Plot oder überraschende Wendungen stehen nicht im Vordergrund, sondern das Verschwimmen der Wahrnehmungsebenen. „Rave On“ verzichtet auf eine klare Trennung zwischen kalter Realität und halluzinatorischem Drogenrausch. Stattdessen entsteht ein fluides Filmerlebnis, das den Zuschauer auf eine fiebrige Reise durch Nacht und Bewusstsein mitnimmt.

Der Hauptdarsteller ist selbst DJ

Aaron Altaras („Unorthodox“) verkörpert die Hauptfigur Kosmo als Getriebenen, der versucht, Vergangenheit und Schuld hinter sich zu lassen und auf der Suche nach einem möglichen Neuanfang in den einst vertrauten, aber nun bedrohlich erscheinende Techno-Tempel zurückkehrt. Mit seinem oftmals suchenden Blick spiegelt er die innere Zerrissenheit der Figur wider. Die Authentizität seiner Darstellung wird durch Altaras’ eigenen musikalischen Hintergrund unterstrichen: Gemeinsam mit seinem Bruder betreibt er das DJ-Projekt „Alcatraz“.

Als Gegenfigur tritt Clemens Schick („Die Ermittlung“) auf: Sein Klaus wirkt souverän und ist eine mysteriöse Erscheinung, die unvermittelt auftaucht und Kosmo mit einem lakonischen Grinsen begrüßt. In ihren gemeinsamen Szenen entsteht eine spürbare Spannung: Während Klaus mit charismatischer Gelassenheit auftritt, scheint Kosmo sich kaum auf ein Gespräch oder eine Begegnung einlassen zu können. Das Zusammenspiel der beiden Charaktere erzeugt ein Spannungsfeld zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Nähe und innerer Distanz.

Fazit: „Rave On“ taucht tief ein in eine rauschhafte Berliner Techno-Party und begleitet seinen Protagonisten auf einer Reise der Selbstvergewisserung – getragen von Beats, Erinnerungen, Drogen und dem Wunsch nach einem Neuanfang. Ein musikalisch getriebener Rauschfilm über die emotionalen Höhen und Abgründe einer Clubnacht, der herausstreicht, dass das Leben, trotz aller Brüche, unbeirrt weiter pulsiert.

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