Biografische Filmdramen drohen oft, schablonenhaft zu sein. Doch der chilenische Regisseur Pablo Larraín hat sich mit außergewöhnlichen, visuell eindrucksvollen und erzählerisch wundervoll-eigenwilligen Biopics zu einem der spannendsten Biografen unserer Zeit aufgeschwungen:
Seine „Damen in Heels“-Trilogie begann mit dem beklemmenden „Jackie“ über Jackie Kennedy, setzte sich mit dem geisterhaften „Spencer“ über Prinzessin Diana fort und fand kürzlich ihren Abschluss mit dem bildgewaltigen, tragisch-schönen „Maria“ mit Angelina Jolie als Operngröße Maria Callas. Und ab sofort ist „Maria“ in Deutschland fürs Heimkino erhältlich!
Aufgrund der hohen Qualität dieser thematischen Trilogie hoffen wir bei FILMSTARTS insgeheim, dass es sich Larraín noch anders überlegt, und diesen Zyklus an soghaften, fiebrigen Dramen über unvergessliche Frauen der Zeitgeschichte weiter ausbaut.
Der Verfasser dieses Heimkino-Tipps ist außerdem zutiefst enttäuscht, dass Jolie im Gegensatz zu „Jackie“-Hauptdarstellerin Natalie Portman und „Spencer“-Titeldarstellerin Kristen Stewart keine Oscar-Nominierung für ihre Performance erhielt.
Denn ich muss gestehen, dass mir Jolies Superstarstatus gemeinhin ein Rätsel bleibt. Die Liste an Filmen, in denen sie mich überzeugt, ist arg kurz. Eastwoods Drama „Der fremde Sohn“ gehört zu den wenigen Filmen, in denen ich sie gut finde, in „Maria“ gibt Jolie sogar die für mich stärkste Darbietung ihrer Karriere ab. Ein Jammer, dass Jolie dafür von der Academy ignoriert wurde...
Darum geht es in "Maria"
Paris 1977: Die erkrankte Operndiva Maria Callas hat sich von den Bühnen der Welt zurückgezogen und lässt sich nur noch sporadisch in der Öffentlichkeit blicken. Hauptsächlich schwelgt sie in Erinnerungen, schikaniert halb liebevoll, halb hochnäsig ihren Kammerdiener (Pierfrancesco Favino) sowie ihre Köchin (Alba Rohrwacher), und schluckt einen undurchschaubaren Tablettencocktail.
Bloß wenn der TV-Reporter Mandrax (Kodi Smit-McPhee) auftaucht, blüht Maria auf. Denn im Gespräch mit dem wissbegierigen, jungen Mann hat die Callas, die ihr Leben lang die großen Tragödien der Musikgeschichte geschmettert hat, die Gelegenheit, ihr eigenes, von Rückschlägen gezeichnetes Leben nach ihrem Gusto zu formen...
Bitter, aber mit Stil und extra frisch!
Bei nahezu jeder Gelegenheit trinkt die „Maria“-Titelfigur kommentarlos ein großes Glas Fernet-Branca – ein üblicherweise in kleinen Gläsern servierter, italienischer Bitterlikör, der berühmtermaßen extrem bitter ist. Es ist zudem Teil des Fernet-Branca-Mythos sowie der Callas-Legende, dass die Operndiva den Likör so häufig und so gern mit Minzblättern verziert getrunken hat, dass letztlich ihr zu Ehren eine eigene, pfefferminzhaltige Abwandlung der Standardrezeptur auf den Markt gebracht wurde.
Diese vermeintliche Randbemerkung fasst „Maria“ erstaunlich gut zusammen: Larraín zieht sein Publikum tief in Callas' Welt hinein, statt sich mit hölzernen oder banalen Erklärungen aufzuhalten. „Maria“ ist, anders als sonstige Biopics, eine eindringlich illustrierte, mit fiebriger Logik und opernhaft übersteigerter Emotionalität versehene Gelegenheit, Callas' Selbstinszenierung und ihre (mutmaßliche) Lebenswirklichkeit zu atmen.
Da ziehen filigrane Details ihrer Karriere und ihres Privatlebens mit völliger Selbstverständlichkeit an uns vorbei, da ihre Wirkung auf uns aussagekräftiger ist als es eine didaktische Erläuterung ihrer Relevanz jemals sein könnte. Denn selbst, wenn man nicht weiß, dass Fernet-Branca und Maria Callas eine „Beziehung“ miteinander hatten:
Wer jemals diesen Bitter verkostete, nur an ihm gerochen hat, oder jemals die mit absurd herber Aromatik prahlende Werbung vernahm, kann Bedeutung daraus ziehen, dass er in „Maria“ literweise, ohne mit der Wimper zu zucken, konsumiert wird. Denn diese Callas, von der Larraín erzählt, hat schon so viele Tragödien geschluckt, sei es in Form ihrer Kunst oder in ihrem eigenen Leben, dass ihr die pechschwarze, italienische Kräutermixtur nichts mehr anhaben kann.
Ein opernhafter Bilderreigen
Ganz nebenher fügt sich die Omnipräsenz von Alkohol in die Erzählweise von „Maria“: Tagträume, Filmrisse und als divenhafte Eleganz verkaufte Verzweiflung verschmelzen zu einem gleitenden, elliptischen, zwischen Rückblick, Rechtfertigung und Rücksturz sowie benebelter Gegenwart springenden Cocktail. Der rote Faden kommt in Form der Gefühlswallungen daher, die die auf das Geleistete und Versäumte zurückblickende Titelfigur durchlebt, die sich verzweifelt an der immer dünner werdenden Hoffnung klammert, dass sie gesundheitlich zurück in die Spur finden könnte.
Jolie spielt das mit einem atemberaubenden und nuancierten Durcheinander aus roher Emotion und Wissen um ihre Außenwirkung, und wie Larraín sowie sein Kameramann Edward Lachman das Bildformat, das Filmmaterial und das Farbspektrum des Films dem Gemüt ihrer Hauptfigur anpassen, ist dem unverhohlenen Pomp einer grandiosen Oper würdig. Am Ende bleiben eine Karriere für die Ewigkeit der Opernhistorie und ein Biopic zum Niederknien!
Und wenn uns schon weitere biografische Dramen aus Larraíns Hand verwehrt bleiben, bleiben zum Trost wenigstens solche musikalischen Gefühlsachterbahnen wie der folgende Heimkino-Tipp:
Kinohit neu im Heimkino: Ich hätte es nicht für möglich gehalten, aber bei diesem Film habe auch ich hemmungslos geweint!*Bei den Links zum Angebot von Amazon handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diese Links oder beim Abschluss eines Abos erhalten wir eine Provision. Auf den Preis hat das keinerlei Auswirkung.