Langsam, aber stetig: Der von Maurice Ravel komponierte „Boléro“ beginnt leise und sachte, wird aber unaufhörlich intensiver. Da ist es durchaus passend, dass sich die Erfolgsgeschichte des Instrumentalstücks ähnlich beschreiben lässt: Ursprünglich als Ballett konzipiert, breitete sich die Komposition stetig aus, bis sie eine allgegenwärtige Präsenz erlangte.
Die Tragikomödie „Die leisen und die großen Töne“, in der das beliebte Stück eine wichtige Rolle spielt, gab sich in den deutschen Kinos allerdings nicht mit einem langsamen Start ab: Schon in ihrer ersten Spielwoche führte sie die Arthouse-Charts an – und verharrte anschließend fünf Wochen auf dem Spitzenrang. Der stetige Publikumsstrom machte sie zu einem der 50 erfolgreichsten Filme, die 2024 hierzulande anliefen. Kürzlich ist „Die leisen und die großen Töne“ im deutschen Heimkino erschienen – und der Verfasser dieses Artikels kann euch den Film nur ans Herz legen...
Dabei war ich zunächst noch skeptisch, was den französischen Kinoerfolg, der in seinem Heimatland über 2,6 Millionen Menschen zum Kauf einer Eintrittskarte bewegte, angeht. Die Dauerberieselung mit dem Trailer zum Film, die mich in zwei meiner Stammkinos ereilte, hatte bei mir nicht den intendierten Effekt: Sie weckte in mir stattdessen wallende Unlust!
Die war mir nachgehend richtig peinlich, als ich den Film dann an einem Nachmittag spontan doch noch im Kino nachgeholt habe. Denn obwohl ich mir eingeredet hatte, dass mich der Film nerven wird, habe ich während „Die leisen und die großen Töne“ herzlich gelacht – und auch Tränen vergossen!
Darum geht es in "Die leisen und die großen Töne"
Der Dirigent Thibaut (Benjamin Lavernhe) wird weltweit gefeiert. Eines Tages wirft ihn ein Schwächeanfall aus der Bahn, kurz danach folgt die Diagnose: Er ist an Leukämie erkrankt und benötigt dringend eine Knochenmarkspende. Als seine Schwester Rose (Mathilde Courcol-Rozès) sich als Spenderin anbietet, folgt die nächste überraschende Erkenntnis:
Roses Knochenmark eignet sich nicht – was sich dadurch erklärt, dass Thibaut offenbar adoptiert wurde. Also begibt er sich auf die Suche nach seiner leiblichen Familie. In der nordfranzösischen Provinz findet er seinen Bruder, den ruppigen Jimmy (Pierre Lottin). Der wurde in einfachen Verhältnissen groß und schuftet als Kantinenarbeiter. Außerdem verfügt er über ein absolutes Gehör, ist aber trotzdem bloß Freizeitmusiker in einem kleinen Dorforchester...
Diese Melodie schlägt unerwartete Pfade ein
Zwei getrennt voneinander aufgewachsene Brüder. Der eine gut betucht und in der Klassik respektiert, der andere ein Niemand vom Dorf, der Jazz und Swing liebt. Die Streitereien sind da doch vorprogrammiert – oder? So sah zumindest der Film aus, den ich mir in meinen Gedanken bereits ausgemalt hatte, während ich in meinen Stammkinos mit dem Trailer bombardiert wurde. Damit hat die Tragikomödie von Emmanuel Courcol allerdings kaum etwas gemeinsam!
Das skeptische Beäugen, mit dem viele einen ganzen Film gefüllt hätten, hakt Courcol zügig ab, um daraufhin die Figuren atmen zu lassen, auf dass sie sich zu Persönlichkeiten entwickeln. Sie sind voller glaubhafter Widersprüche, charmanter Macken und (im Sinne des Films) frustrierender Stärken. Daher ändern sich auch mehrmals die Konfliktlinien zwischen ihnen:
Wann immer ich dachte, durchschaut zu haben, worum es wirklich geht, wurde ein Problem überraschend schnell und vernünftig aus der Filmwelt geschaffen – nur, um Platz für erneut plausible Ärgernisse zu machen. So groß die dabei angerissenen Themen auch sind, inszenatorisch setzt Courcol bevorzugt auf leise Klänge: Süffisant-beiläufiger Wortwitz, trockene Situationskomik und bemüht-würdevoll heruntergeschluckte Frustrationen.
Der Film macht seinem deutschen Titel alle Ehre
Mit seiner eigenwilligen Dramaturgie und ruhigen Art hat mich „Die leisen und die großen Töne“ auf liebenswerte Weise eingelullt – um mich dann mit ein paar prägnant gesetzten, dramatischen und komödiantischen Paukenschlägen richtig durchzurütteln. Daher denke ich noch Monate später regelmäßig an diese Tragikomödie zurück:
Sie ist zu natürlich gespielt, zu wahrhaftig in ihren Stimmungswechseln und zu klug durchkomponiert, um sie und ihr famoses Crescendo schnell gedanklich bei Seite zu legen. Um eine Redewendung thematisch passend abzuwandeln: Beurteile ein Album nie nach seinem Cover – und eine französische Tragikomödie über Harmonien nie danach, wie oft dich der Trailer im Kino erschöpft hat.
Auch beim folgenden Heimkino-Tipp lohnt es sich, Taschentücher bereitzuhalten:
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