Mit seinem epochalen Kostümdrama „Barry Lyndon“ schuf Stanley Kubrick ein Meisterwerk des Historienkinos: Der dreistündige Klassiker wurde mit vier Oscars ausgezeichnet, von der US-Regiegewerkschaft zu einem der bestinszenierten Filme der Kinogeschichte gekürt, von der FILMSTARTS-Community in die Top 10 der besten Historien-Abenteuer gewählt und von der FILMSTARTS-Redaktion zu einem der 100 besten Filme aller Zeiten ernannt.
„Hereditary“-Macher Ari Aster, „Triangle Of Sadness“-Regisseur Ruben Östlund und Guillermo del Toro gaben sich gegenüber Sight & Sound als passionierte „Barry Lyndon“-Begeisterte zu erkennen, auch Akira Kurosawa zählte zu den Fans des Films. Und falls ihr Kubricks bildgewaltiges, traurig-schönes Drama noch nicht kennt oder nach diesen Zeilen wieder schauen möchtet, gibt es bald einen hervorragenden Anlass: Am 20. November 2025 erscheint „Barry Lyndon“ endlich als 4K-Blu-ray!
Darum geht es in "Barry Lyndon"
Die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts: Der irische Provinzler Redmond Barry (Ryan O'Neal) ist ein naiver Romantiker, der ein Auge auf seine Cousine (Gay Hamilton) geworfen hat. Weil er sich in seiner Heimat Feinde macht, zieht er raus in die weite Welt, stets auf der Suche nach Möglichkeiten zum gesellschaftlichen Aufstieg.
Über Umwege gelangt er in den Dienst der englischen Armee, wo er desertiert, wird daraufhin Spion im Auftrag der Preußen und anschließend ein vom Glücksspiel besessener Dandy. So lernt er die reiche Lady Lyndon (Marisa Berenson) kennen, die seinem Leben neuen Sinn verleiht – womit sich aber auch neue Probleme auftun...
Ein barockes Schelmenepos
„Barry Lyndon“ entfaltet sich zum Drama über menschliche Schwächen unterschiedlichster Couleur: Gier, Launenhaftigkeit, Verlogenheit und Eifersucht sind nur einige der Charakterschwächen des Protagonisten – der von Kubrick aber keineswegs als negative Ausnahme in einer sonst funktionierenden Gesellschaft skizziert wird. Stattdessen ist der vom Pech verfolgte Emporkömmling, Hochstapler und Opportunist ein Spiegel der Gesellschaft auf zwei Beinen:
Ihm wurde Treulosigkeit, Bigotterie und Arroganz beigebracht – und ihm wird unentwegt vor Augen geführt, dass Integrität keinerlei Wert hat, wieso also sollte er irgendwelche Prinzipien verfolgen? Entgegen des Vorurteils, Kubricks Filme seien emotional unterkühlt, entsteht so eine komplexe Erzählung, die von Melancholie und Kummer, aber auch entlarvender Ironie durchzogen ist.
Zugleich ist „Barry Lyndon“ ein cineastischer Kniefall vor der künstlerischen Ambition sowie ein kritisch-bewundernder Tribut, teils Hommage und teils Mahnmal, an die Dekadenz des 18. Jahrhunderts: Weitestgehend in natürlichem Sonnen- und Kerzenlicht gedreht, ist „Barry Lyndon“ eine außerordentliche Augenweide, inspiriert von den detailreichen Gemälden solcher Maler wie Thomas Gainsborough und William Hogarth!

Um bei minimalem Licht dennoch filigrane Details einfangen zu können, griffen Kubrick und Kameramann John Alcott auf spezielle Kameralinsen zurück, die von der NASA entwickelt wurden. Auch die Kostüme sind von exorbitanter Qualität: Kostümbildnerin Milena Canonero tat vereinzelt Kleidung auf, die aus dem Handlungszeitraum stammen, und ließ filigrane Kostüme nach strengen, historisch akkuraten Stilvorgaben anfertigen.
Im Tandem mit dem atypischen Bildformat, den langsamen Kamerafahrten sowie vielen, langen statischen Einstellungen entstehen so zahlreiche gemäldeartige, atemberaubend schöne Momente, in denen Kubrick sein visuelles Gespür eindrucksvoll unter Beweis stellt. Und diese Szenen lassen das Publikum gestalterisch oft allein mit den Handlungen der Figuren – so, wie die Figuren mit ihren ausweglosen Schicksalsverstrickungen allein gelassen werden.
Das ist bei allem Sinn für Ästhetik im Gesamtkontext auch unangenehm, tragisch und entlarvend. Denn Kubrick enthüllt so mit selbstredender Beiläufigkeit die mangelnde Charaktertiefe seines opportunistischen Figurentrupps und die erdrückende Hoffnungslosigkeit, die diesen barocken Szenerien innewohnt.
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Dies ist eine aktualisierte Wiederveröffentlichung eines bereits auf FILMSTARTS erschienenen Artikels.