No Other Choice
Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
3,5
gut
No Other Choice

Blutiger Bewerbungsprozess

Von Christoph Petersen

Der US-amerikanische Autor Donald E. Westlake hat mehr als 100 Romane geschrieben, zahlreiche davon wurden auch verfilmt, etwa als „Point Blank“ mit Lee Marvin, „Payback“ mit Mel Gibson oder „Parker“ mit Jason Statham. Aber mit am spannendsten ist die Adaptionsgeschichte seines 1997 veröffentlichten Horror-Thrillers „The Ax“*, dessen mit der Redensart „to ax somebody“ (= „jemanden feuern“) spielender Titel das zentrale Thema bereits auf den Punkt bringt: Nach 18 Monaten erfolgloser Jobsuche beschließt ein gefeuerter Papierfabrik-Manager, seine sieben mindestens ebenbürtig qualifizierten Mitbewerber für eine neue Stelle notfalls auch endgültig aus dem Weg zu räumen.

Statt in den USA wurde der Roman erstmals 2005 in Frankreich und Belgien fürs Kino verfilmt: Der meist eher staatstragende Regisseur Costa-Gavras schuf mit „Die Axt“ ein Arthouse-Drama, in dem der Protagonist kühl-bürokratisch seine Mitbewerber-Mordliste abarbeitet. Aber es ist doch immer wieder spannend, wie verschieden Adaptionen desselben Stoffes ausfallen können, gerade wenn 20 Jahre und 9.000 Kilometer Luftlinie zwischen ihnen liegen: Mit „No Other Choice“ präsentiert „Oldboy“-Mastermind Park Chan-wook jetzt seine aktualisierte Version der Vorlage – und das Ergebnis erinnert weniger an die erste Verfilmung als vielmehr an den großen Oscar-Triumphator von 2020, den hysterisch-überhöhten, aber dabei dennoch skalpellscharf-sozialkritischen „Parasite“ von Parks Landsmann Bong Joon Ho.

Beim ersten Versuch, einen seiner Kontrahenten mit einem besonders schweren Blumentopf zu erschlagen, macht Man-soo (Lee Byung-hun) im letzten Moment noch einen Rückzieher. NEON
Beim ersten Versuch, einen seiner Kontrahenten mit einem besonders schweren Blumentopf zu erschlagen, macht Man-soo (Lee Byung-hun) im letzten Moment noch einen Rückzieher.

Natürlich lebt Man-soo (Lee Byung-hun) für seine Frau Mi-ri (Son Ye-jin), die zwei gemeinsamen Kinder und die zwei – der Einfachheit halber durchnummerierten – Golden Retriever. Aber er lebt auch für Papier. 25 Jahre lang hat er die Produktionsabläufe für sein Unternehmen immer weiter verfeinert und sicherer gemacht, bis er von den neuen amerikanischen Chefs mit einer Aal-Lieferung buchstäblich abgespeist wird. Eineinhalb Jahre später hat Man-soo immer noch nichts Neues gefunden, die Abfindung ist so gut wie aufgebraucht, die Hypothek für das Familienheim kaum noch zu bezahlen.

Alle Luxushobbys werden gestoppt, Mi-ri kehrt in ihren alten Job als Zahnarzthelferin zurück und sogar die Hunde werden weggegeben. Trotzdem reicht es hinten und vorne nicht – und so beschließt Man-soo nach einem weiteren missratenen Vorstellungsgespräch, beim nächsten Mal auf Nummer sicher zu gehen: Mit der Ausschreibung eines Fake-Jobs verschafft er sich die Bewerbungen aller Papier-Manager aus seiner Umgebung, um all jenen im Voraus den Garaus zu machen, die ihm bei der nächsten freien Stelle tatsächlich ernsthafte Konkurrenz machen könnten…

Schwarzhumoriger Slapstick

Nach seinem meisterhaften „Die Frau im Nebel“ ändert Park Chan-Wook in „No Other Choice“ – wie schon so oft in seiner Karriere – komplett die Tonlage: Statt eines kühl-präzisen Krimi-Noirs gibt es diesmal eine schwarzhumorige Groteske, bei der Man-soo nach und nach immer gewaltigere Blumenkübel hochhebt, um sie seinem Kontrahenten auf den Kopf plumpsen zu lassen, bevor eine alte Frau sich erkundigt, ob er gerade fürs Gewichtheben trainiert.

Waren die Morde bei Costa-Gavras noch bündig und bodenständig inszeniert, wälzt sich Man-soo mit seinem ersten Opfer und dessen Frau gefühlt minutenlang auf dem Boden herum, um als erster an die unter das Sofa gerutschte Pistole zu gelangen. Keine kühle Bürokratie, sondern eine hysterische Slapsticknummer, die durchaus an die finalen, zunehmend körperlichen Eskalationsstufen aus „Parasite“ erinnert.

Man-soo nutzt eine alte Pistole, die sein Vater im Vietnamkrieg einem toten feindlichen Soldaten abgenommen hat, um über blutige Umwege doch noch an seine erhoffte Stellung zu kommen. NEON
Man-soo nutzt eine alte Pistole, die sein Vater im Vietnamkrieg einem toten feindlichen Soldaten abgenommen hat, um über blutige Umwege doch noch an seine erhoffte Stellung zu kommen.

Trotz der eher persönlichen Geschichte liefert Park Chan-wook einmal mehr epische Einstellungen, die es selbst mit seinen visuell herausstechenden Werken wie „Die Taschendiebin“ aufnehmen können. Aber nicht nur die Bilder strahlen eine gewisse Gewaltigkeit aus, auch die eigentlich so konzentrierte Geschichte wird ein gutes Stück weit aufgeblasen – und das, obwohl die Zahl der zu ermordenden Mitbewerber im selben Moment stark reduziert wurde. Vor allem die Dynamiken zwischen Man-soo und den verschiedenen Mitgliedern seiner Familie bekommen so deutlich mehr Gewicht.

Immer wieder schnappt Man-soo bei seinen Mord(versuch)en auf, wie es in anderen Familien in ähnlichen Situationen gerade läuft, was sich dann auch direkt in seinem Umgang mit seiner Frau und seinen Kindern niederschlägt. Eine an sich tolle Idee, die oft auch für besonders lustige oder emotionale Szenen sorgt. Aber auf die Dauer ist das schlicht und einfach zu viel – da franst „No Other Choice“ immer wieder (unnötig) aus, weshalb sich trotz des ausgefallenen Szenarios in den ausufernden zwei Stunden und 19 Minuten doch immer wieder kleinere Längen einschleichen.

Fazit: Der Tonfall von „No Other Choice“ erinnert am ehesten an „Parasite“ – dieselbe schwarzhumorig-hysterische Überdrehtheit, derselbe ätzend-sozialkritische Biss. Aber im Gegensatz zu Bong Joon Ho, der seine Familiengroteske mit absoluter Präzision immer weiter eskalieren lässt, entgleitet Park Chan-wook seine ausfransende Erzählung immer mal wieder, bis er sie schließlich mit einer aktualisierten Schlusspointe zu einem wunderbar pessimistischen Happy End (!?) führt.

Wir haben „No Other Choice“ beim Venedig Filmfestival 2025 gesehen, wo er als Teil des offiziellen Wettbewerbs seine Weltpremiere gefeiert hat.

*Bei diesem Link handelt es sich um einen sogenannten Affiliate-Link. Bei einem Kauf über diesen Link oder beim Abschluss eines Abos erhalten wir eine Provision. Auf den Preis hat das keinerlei Auswirkung.

Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
Das könnte dich auch interessieren