Wilma will mehr
Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
2,5
durchschnittlich
Wilma will mehr

Eine rundum patente Frau

Von Gaby Sikorski

Schon einmal was von der Lausitz gehört? Vermutlich liegt der Bekanntheitsgrad dieser Region im Südosten Deutschlands irgendwo zwischen Null und gar nicht, zumindest, was die Bevölkerung außerhalb der neuen Bundesländer betrifft. Einer der wenigen touristischen Hotspots ist der Spreewald am nördlichen Rand der Lausitz. Nur langsam erholt sich die übrige Region von den Verwerfungen der Wendezeit. Vom einstigen Kohlebergbau und den Industrieansiedlungen ist heute nicht mehr viel übrig. Der Strukturwandel brachte für die meisten Menschen hier weitreichende Veränderungen mit sich: lange Phasen der Arbeitslosigkeit, teils mehrfache berufliche Neuorientierung. Wer hier lebt, der hat einiges durchgemacht.

Einer dieser Menschen ist Wilma (Fritzi Haberlandt), die Protagonistin aus „Wilma will mehr“, eine vielseitig begabte Frau Mitte vierzig. Sie lebt Ende der Neunziger mit ihrem Mann Alex (Thomas Gerber) in der brandenburgischen Lausitz – und zwar dort, wo sie am kaputtesten ist: Zwischen stillgelegten Kraftwerkstürmen und vergammelten Industriebauten gibt es kaum noch Leben, außer wenn Wilmas Alpakas mal wieder ausgebüxt sind. Wilma redet nicht viel, sondern tut lieber was. Sie ist ausgebildet als Schlosserin, Elektrikerin und Maschinenführerin. Abgesehen davon, dass sie praktisch alles reparieren kann, verfügt sie über zahllose weitere Fähigkeiten, die sie mit entsprechenden Zertifikaten belegen kann. Sogar zu alten Apfelsorten hat sie erfolgreich einen Kurs absolviert.

Im Blaumann fühlt sich Wilma (Fritzi Haberlandt) immer noch am wohlsten. Neue Visionen
Im Blaumann fühlt sich Wilma (Fritzi Haberlandt) immer noch am wohlsten.

Aber all das nützt ihr nichts. Der Baumarkt, in dem sie arbeitet, muss schließen. Wilma verliert ihren Job, und als sie deshalb früher nach Hause kommt, erwischt sie Alex mit ihrer besten Freundin – nackt am Herd beim Spaghetti-Kochen. Wilmas Reaktion? Sie geht nach Wien, wo ihr alter Freund Martin (Stephan Grossmann) inzwischen lebt. Für die Brandenburgerin bringt die österreichische Hauptstadt nicht nur einen mächtigen Kulturschock mit sich, denn wer weiß schon, dass ein Käsekrainer mit Senf, Brötchen und Dosenbier auf Wienerisch „Eitrige mit Scharfem, Bugel und Blech“ heißt? Aber Wilma gibt nicht auf, sondern hält sich mit Zweckoptimismus bei Laune. „Allet wird anders“, sagt sie und darin klingt die Hoffnung auf bessere Zeiten ebenso mit wie der Wunsch, die Vergangenheit hinter sich zu lassen…

Der letzte Spielfilm von Maren-Kea Freese, „Was ich von ihr weiß“, liegt bereits 20 Jahre zurück. Ihr Kinodebüt „Zoe“ über eine DJane in Berlin erhielt 1999 den Regieförderpreis. Das schmale Œuvre lässt außer einer gewissen Vorliebe für Frauen mit ungewöhnlicher Profession (DJane, Taschendiebin, Handwerkerin) kaum eindeutige Tendenzen erkennen. Für ihren dritten Kinofilm wählt Maren-Kea Freese mit der Lausitzer Handwerkerin Wilma (wieder) eine ungewöhnliche Hauptfigur – und eine Handlung mit diskret feministischen Bezügen als Grundlage für eine Selbstfindungs-Story. Wilma, diese handfeste Brandenburgerin, die ihren Weg sucht und dabei weder ihren Optimismus noch ihren Glauben an das Gute im Menschen verliert, verfügt über einen beträchtlichen herben Charme.

Handwerkerstrich und Walzerkurse

Kurz: Wilma ist eine Frau mit mehr Ecken und Kanten, als sich die meisten Frauen gönnen. Sie ist nicht auf Perfektion bedacht – außer vielleicht bei Unterputzleitungen – und schert sich absolut nicht um ihr Image. Sie hat es schwer, aber lässt es sich nicht anmerken. Wilma jammert nicht, sie vergießt höchstens ein paar unauffällige Tränchen und macht weiter. Das Musterbeispiel einer patenten DDR-Frau. Als Wilma glänzt Fritzi Haberlandt. Ihr Kinodebüt feierte sie 1998 mit „Die Braut“, dem letzten Film von Egon Günther, der wie sie aus der DDR stammte. In „Babylon Berlin“ ist sie von Anfang an dabei.

Fritzi Haberlandt hat zwischen dem Thalia Theater Hamburg und dem Wiener Burgtheater auf allen großen deutschsprachigen Bühnen gespielt. Vielleicht auch wegen ihrer Kontakte nach Österreich wurde die gebürtige Berlinerin zur Idealbesetzung für Wilma: eine schweigsame, zurückhaltende Frau aus der Ex-DDR, die sich in Wien wiederfindet. Dass sie dort in einer WG u. a. mit einer feministischen Autorin zusammenlebt, passt ebenso zu ihr wie die Tatsache, dass sie auf dem sogenannten „Handwerkerstrich“ landet. Wilma steht als einzige Frau im Blaumann zwischen den Männern, um einen Job zu ergattern. Und schließlich gibt sie sogar Tanzunterricht – Wiener Walzer für Touristen.

Fritzi Haberlandt ist der große Lichtblick in einem Film, der offenbar nicht so recht weiß, was er eigentlich sein will. Neue Visionen
Fritzi Haberlandt ist der große Lichtblick in einem Film, der offenbar nicht so recht weiß, was er eigentlich sein will.

Episodenhaft reiht Maren-Kea Freese Wilmas Erlebnisse aneinander, manche sind witzig, manche rührend, andere wieder banal, alles in einer ruhigen Atmosphäre, die nur gelegentlich einen hübschen lakonischen Charme entwickelt. „Wilma will mehr“ könnte eine Komödie sein, aber dafür ist die Handlung nicht konfliktreich genug, und außer Wilma haben die meisten Personen keine ausgeführte Charakteristik, die zur Herstellung von Komik notwendig wäre. Dass der Film Ende der 1990er Jahre spielt, ist zudem schnell vergessen und spielt überhaupt keine Rolle. Schade eigentlich, denn auch hier wurde Komödienpotential verschenkt. Exzessiver Alkoholgenuss und beutelige Windjacken sind jedenfalls nicht unbedingt abendfüllend witzig.

Fazit: Fritzi Haberlandt ist der größte Lichtblick in einem Film über eine vielseitige Frau aus der ehemaligen DDR, die sich Ende der 1990er Jahre in Wien ein neues Leben aufbauen will. Was eine Komödie hätte werden können, schwankt leider etwas unentschlossen zwischen Episodenfilm, Selbstfindungsdrama und Wendegeschichte.

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