Soldaten des Lichts
Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
4,0
stark
Soldaten des Lichts

In der Verschwörungs-Vorhölle

Von Christoph Petersen

In seinem oscarnominierten Doku-Meisterwerk „The Act Of Killing“ interviewt Joshua Oppenheimer („The End“) einen jovialen älteren Herren namens Congo, der bei Spaziergängen durch Jakarta ganz selbstverständlich und gut gelaunt davon berichtet, wie er beim indonesischen Massaker in den Jahren 1965/66 massenhaft Menschen getötet hat. Als Publikum fragt man sich natürlich: Warum zum Teufel hat der Protagonist dieser Doku überhaupt zugestimmt – es muss ihm doch klar gewesen sein, dass er darin nicht gut wegkommt? Aber die Antwort ist erschreckend simpel: Congo glaubt, auf der richtigen Seite zu stehen – so etwas wie ein Unrechtsbewusstsein kommt ihm auch 45 Jahre nach den grausamen Taten schlicht nicht in den Sinn.

So ähnlich – nur natürlich auf einem ganz anderen Niveau – muss das auch bei David Ekwe-Ebobisse gewesen sein. Johannes Büttner, neben Julian Vogel einer der Regisseure von „Soldaten des Lichts“, hat mit ihm einst gemeinsam die Grundschule besucht. Und nun, wo der ehemalige Klassenkamerad als Reichsbürger und Rohkost-Guru Mister Raw auf YouTube erfolgreich ist, bietet er sich perfekt als Protagonist an für eine Kino-Doku, die in den Verschwörungs-Dunstkreis um den seit Mai 2025 in Untersuchungshaft sitzenden Königreich-Deutschland-Gründer Peter Fitzek eintaucht. Dass er darin nicht gut wegkommt, muss ihm vorab klar gewesen sein – aber auch er selbst, und das ist vielleicht die erschreckendste Erfahrung des Films, glaubt eben felsenfest an seinen ganzen eigenen Bullshit.

David Ekwe-Ebobisse alias Mister Raw gibt seinem Schützling einmal mehr – hochgradig fragwürdige – Gesundheits- und Lebens-Tipps. Four Guys Film
David Ekwe-Ebobisse alias Mister Raw gibt seinem Schützling einmal mehr – hochgradig fragwürdige – Gesundheits- und Lebens-Tipps.

In einem seiner auch auf YouTube verfügbaren Podcasts stellt sich Mister Raw als „ansteckender“ Gesundheitsaktivist vor: So wie es angeblich (!) ansteckende Krankheiten gebe, sei auch seine Gesundheit ansteckend – wenn man ihm nur zusieht und zuhört. Das „angeblich“ in der Selbstbeschreibung lässt einen zwar kurz aufhorchen, aber ansonsten wirkt das durchaus sympathisch, genauso wie seine ersten Auftritte in „Die Soldaten des Lichts“, in denen die Regisseure ihrem Protagonisten ohne einordnenden Kommentar und mit einer rein beobachtenden Kamera begegnen.

Aber das Bild des aktivistischen Rohkost-Lobbyisten bekommt spätestens dann Risse, wenn Mister Raw kurz zum Telefonieren in den Garten geht: Ein Kunde ist offenbar besorgt, weil der Kräutersud doch nicht so schnell wie gehofft gegen den Krebs hilft. Aber David beruhigt ihn mit seiner sanften und doch selbstbewussten Stimme: Der Körper müsse sich nur erst mal umstellen – und jeder wisse ja, dass Krebszellen ab 42 Grad ohnehin absterben würden. Was, wenn Freunde oder Bekannte etwas sagen? Das sind alles nur Prüfungen, man müsse nur weiter auf ihn und seine Methoden vertrauen.

Abstieg in den Kaninchenbau

Das klingt jetzt vielleicht wie ein großer journalistischer Coup, aber das ist es nicht: Denselben potenziell lebensgefährdenden Schwachsinn erzählt Mister Raw schließlich ganz ähnlich auch in seinen Streams und Videos. Genauso übrigens wie den menschenverachtenden Stuss, dass der Staat nur noch Kinder mit Down-Syndrom wolle, aber er sie wieder „normal“ machen könne – zumindest so lange man für 99 Euro seinem Inner Circle (Werbeslogan: „Das Epizentrum der Gesundheit“) beitritt, wo die Online-Seminare in Zukunft stattfinden werden. Für (Offline-)Leute, die tatsächlich noch nie in einen solchen oder ähnlichen YouTube-Kaninchenbau hinabgestiegen sind, mag das entlarvendes Schockkino sein – aber für alle anderen ist das erst einmal nichts Neues.

Aber abgesehen davon, dass die haarsträubenden Claims einen kaum bestreitbaren, voyeuristischen Unterhaltungswert haben, dringt „Soldaten des Lichts“ vor allem an zwei Stellen doch noch ein Stück tiefer vor: Natürlich geht es all den Verschwörungs-Influencer*innen am Ende – ganz lapidar – auch um die Kohle. Aber zumindest Mister Raw, der früher selbst mit Drogen und Gewalt zu kämpfen hatte, scheint seinen eigenen Stuss vollumfassend zu glauben. Genauso wie den von jedem anderen, der als Gast in seine YouTube-Sendungen kommt – offenbar ist das sowieso ein ungeschriebenes Gesetz der Szene, das dort alle verinnerlicht haben: „Glaubst du meinen Bullshit, glaube ich deinen!“

Timo ist eine zutiefst tragische Figur, deren Weltsicht einen zwar nicht weniger ratlos zurücklässt, deren Schicksal einen aber trotzdem tief berührt. Four Guys Film
Timo ist eine zutiefst tragische Figur, deren Weltsicht einen zwar nicht weniger ratlos zurücklässt, deren Schicksal einen aber trotzdem tief berührt.

Zum anderen ist da als zweiter Protagonist Timo, ein Mann Ende 30, der speziell während der Corona-Pandemie immer weiter in den Rohkost-Verschwörungs-Dunstkreis abgerutscht ist – und zum Zeitpunkt der Aufnahmen für Kost und Logis als eine Art persönlicher Assistent für Mister Raw arbeitet, der ihm dafür u. a. seine sonst kaum erschwinglichen Gesundheits-Säfte zur Entwurmung zur Verfügung stellt. Mister Raw ist ohnehin nach zwei Minuten durchschaut. Aber der offensichtlich schwer depressive Timo bleibt ein Mysterium, denn selbst als er sich zurück zu seinen Eltern „rettet“, kann er viele der zwischenzeitlich angesammelten (Quatsch-)Überzeugungen nicht abstreifen.

Timo ist eine zutiefst tragische Figur, selbst wenn man nicht weiß, wie todtraurig es mit ihm nach Beendigung der Dreharbeiten weitergegangen ist. Weil er dabei ist, fällt es – und das ist eine unbedingte Qualität des Films – schwer, sich einfach nur über den vorgebrachten Wahnsinn zu amüsieren. Timo gibt den Kollateralschäden der Verschwörungs-Industrie (unter Mister-Raw-YouTube-Videos gibt es regelmäßig mehr als 20 Affiliate-Links, von der „Waldluft für Zuhause“ bis zur „Krypto-Masterclass“) ein menschliches Gesicht.

Fazit: Johannes Büttner und Julian Vogel offenbaren in „Soldaten des Lichts“ den Alltag eines Reichsbürger- und Rohkost-Influencers. Ihre Doku liefert vor allem deshalb einen Mehrwert gegenüber dem reinen Abtauchen in den Kaninchenbau der YouTube-Videos dieser Szene, weil sie der verachtenswerten, aber zugleich eben auch skurril-unterhaltsamen Hauptfigur mit Timo einen zweiten Protagonisten zur Seite stellt. Dessen Schicksal verbietet es dem Zuschauenden quasi, all den vorgebrachten Verschwörungs-Irrsinn als reines Belustigungs-Spektakel zu betrachten.

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