Mehr "Scream" wagen!
Von Christoph PetersenWas die Slasher-Welle der Neunziger angeht, gibt es eine klare Hackordnung: „Scream - Schrei“ (1996) von Wes Craven thront über allem! Dann erst folgen mit einigem Abstand „Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast“ (1997) und „Düstere Legenden“ (1998). Aber nicht nur damals war der Fischhaken-Killer ein Nachzügler, auch bei den Serienablegern („Scream“ kam 2015, „Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast“ erst 2021) sowie bei den Reboots hinkt er stets hinterher: „Scream“ (2022) hat mit „Scream VI“ sogar schon eine weitere Fortsetzung bekommen, bevor „Do Revenge“-Regisseurin Jennifer Kaytin Robinson jetzt erst mit „Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast“ den Franchise-Neustart in Angriff nimmt.
Bei beiden Reboots, die zur vollständigen Verwirrung jeweils nur den Originaltitel ohne Nummer tragen, handelt es sich zudem um sogenannte Legacy-Sequels, wie sie seit dem Kinostart von „Star Wars 7: Das Erwachen der Macht“ schwer in Mode sind: Es geht im Kern also um eine völlig neue Teenie-Truppe, aber die „Alt“-Stars Jennifer Love Hewitt und Freddie Prinze Jr. – sowie ein prominenter Gaststar in einer Traumsequenz – sind trotzdem mit an Bord. Und so sehr „Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast“ traditionell auch im Schatten von „Scream“ steht – zumindest in einem Punkt hat der serienmordende Fischer diesmal die Nase vorn…
Weil die Grundstückspreise in Southport nach den grausamen Mordserien in den ersten beiden Filmen drastisch abgefallen sind, hat der einflussreiche Immobilienmogul Grant Spencer (Billy Campbell) dafür gesorgt, dass die Erinnerung an den Fischer mit dem Haken aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwindet. Ist das überhaupt wirklich passiert – oder ist es doch nur eine von so vielen lokalen Legenden und Mythen? Seitdem floriert das Hafenstädtchen, in dem die luxuriösen Villen mit Meerblick nur so aus dem Boden sprießen.
Aber auch fast 30 Jahre später werden noch immer Nachrichten mit der mysteriösen Botschaft „Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast“ verschickt: Diesmal trifft es Ava Brucks (Chase Sui Wonders) und ihre Clique, die im vergangenen Sommer nach einer Verlobungsfeier versehentlich dafür gesorgt haben, dass ein junger Mann mit seinem Wagen durch die Leitplanke geknallt und die Klippen hinabgestürzt ist. Jetzt ist der Fischermann zurück – und er hat nicht länger nur einen Haken dabei…
„Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast“ und die enttäuschende Fortsetzung „Ich weiß noch immer, was du letzten Sommer getan hast“ waren irgendwo zwischen „Scream“ und „Düstere Legenden“ angesiedelt: schon auch ein Wer-ist-der-Killer-Ratespiel, aber mit einer urbanen Legende als Ausgangspunkt. Im Reboot wird die Chance, dass Ben Willis noch ein weiteres Mal „aufersteht“, jedoch nie ernsthaft in Betracht gezogen – der Fischermann ist damit endgültig der neue Ghostface, bei dem man unbedingt mitraten soll, wer sich wohl „Scooby-Doo“-mäßig unter dem Ölzeug verbirgt.
Auch seine Attacken erinnern im Reboot verstärkt an Ghostface: So gibt es nicht mehr nur schnelle Kills, sondern auch Verfolgungsjagden durch leere Häuser, bei denen der Hakenmann auch gerne mal über etwas stolpert. Jennifer Kaytin Robinson erreicht dabei zwar nie ganz die Atmosphäre des Originals (oder gar von „Scream“), aber die Slasher-Sequenzen sind kompetent inszeniert und definitiv abwechslungsreicher als in den Vorgängern: Nur ein Fischerhaken war auf Dauer eben doch ein bisschen eintönig, weshalb gleich beim ersten Kill eine Harpune als zusätzliche Option ins Spiel kommt.
Der neue „Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast“ gibt sich zudem betont modern: Final Girl Ava ist zum Beispiel bi. Bei ihrer Rückkehr nach Southport hat sie erst einmal direkt heißen Sex auf der Flughafentoilette – und zwar mit einer von Gothic-Model Gabbriette verkörperten True-Crime-Podcasterin in enger Motorradkluft, die sie gerade erst auf dem Flug kennengelernt hat. Dass das trotzdem nicht allzu gewollt wirkt, liegt vor allem an dem durchweg überzeugenden Nachwuchs-Cast. Selbst wenn wir uns nur schwer vorstellen können, dass auch in diesem Fall wieder wirklich alle von ihnen anschließend zu Stars werden – so wie einst beim Original.
Da waren es mit Jennifer Love Hewitt („Ghost Whisperer“), Freddie Prinze Jr. („Eine wie keine“), Sarah Michelle Gellar und Ryan Phillippe (beide „Eiskalte Engel“) sowie Johnny Galecki („Big Bang Theory“) ja tatsächlich 5 von 5. Weniger elegant sind hingegen die Popkultur-Anspielungen, bei denen es oft wirkt, als würden sich die Figuren mitten im Satz plötzlich direkt an das Publikum wenden. Vergleichbare Momente waren aber auch schon in den Vorgängern oft weniger gelungen – und es ist in der Rückschau spannend zu sehen, welche davon auch drei Jahrzehnte später noch einigermaßen aktuell sind und bei welchen man nicht mal mehr weiß, wovon (bzw. von wem) die da eigentlich gerade reden.
Achtung – mögliche Spoiler: Wir verraten die Auflösung zum neuen „Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast“ natürlich nicht, aber wir ordnen sie im nächsten Absatz qualitativ ein. Eventuell kann man daraus gewisse Rückschlüsse ziehen, also weiterlesen auf eigene Gefahr!
Noch heute wache ich manchmal schweißgebadet auf und ärgere mich darüber, dass ich als gymnasialer Oberstufler beim Kinobesuch von „Ich weiß noch immer, was du letzten Sommer getan hast“ nicht sofort geschnallt habe, dass Rio de Janeiro natürlich NICHT die Hauptstadt von Brasilien ist. Dass ich hingegen die Auflösung von „Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast“ nicht beim Schauen vorhergesagt habe, nehme ich mir selbst hingegen weit weniger krumm. Denn da muss man schon mal sagen: Chapeau – so weit ist „noch“ nicht mal die „Scream“-Konkurrenz!
Die Auflösung leidet zwar ein wenig darunter, dass die beteiligten Schauspieler*innen in den entsprechenden Szenen nicht unbedingt ihre allerbesten Leistungen abliefern – und man hätte das alles ruhig auch noch eine ganze Weile mehr auskosten können. Aber für Gesprächsstoff auf der Heimfahrt ist definitiv gesorgt…
Fazit: Das „Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast“-Franchise wird der „Scream“-Reihe vermutlich immer ein paar Schritte hinterherhinken. Aber Jennifer Kaytin Robinson liefert mit ihrem Legacy-Reboot nichtsdestotrotz einen grundsoliden Whodunit-Slasher mit einer Auflösung, mit der man dem „Scream“-Franchise tatsächlich ein Stück weit den Schneid abkauft.