Love Me Tender
Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
3,5
gut
Love Me Tender

Schluss mit Rabenmutter

Von Patrick Fey

Auch im Jahr 2025 werden Frauen in unserer Gesellschaft häufig noch immer auf ihre Mutterrolle reduziert. Ganz unabhängig davon, ob sie diesen Lebensweg für sich vorgesehen haben oder nicht. Wenn es dann so kommt, werden sie bei kleinsten Abweichungen von den in sie als „liebende Mutter“ gesetzten Erwartungen daran erinnert, wie eng ihre Umgebung diese Rolle für sie definiert. Es wäre also nicht genug, zu sagen, dass die Protagonistin aus Anna Cazenave CambetsLove Me Tender“ keine Rabenmutter ist. Vielmehr müsste es darum gehen, das Konzept einer „Rabenmutter“ direkt ganz abzuräumen. Clémence (Vicky Krieps) ist also keine Rabenmutter, sondern schlicht die Mutter eines Siebenjährigen, die nach einigen Monaten der Neuausrichtung ihres Lebens einsieht, dass die Partnerschaft mit ihrem Noch-Ehemann Laurent (Antoine Reinartz) tatsächlich vorbei ist.

Sie habe begonnen, mit Frauen zu schlafen, lässt sie ihren Mann in einer frühen Szene wissen. Noch vor gar nicht allzu langer Zeit bestritt sie ihren Lebensunterhalt als Rechtsanwältin, hat diesem Metier aber nun den Rücken gekehrt, um sich als Schriftstellerin zu versuchen. Während dieser Monate hat Clémence ihren Sohn Paul (hervorragend kontrolliert gespielt von Viggo Ferreira Redier) nicht gesehen – und als sie nun, nach dieser beträchtlichen Abwesenheit, an dessen Bett tritt, hält sich dieser, nachdem Laurent sie nur widerwillig eintreten ließ, die Decke über das Gesicht. Bald schon wird Clémence erfahren, dass ihr Ex-Mann das alleinige Sorgerecht für Paul beantragt hat – und dass seine Chancen darauf gar nicht mal schlecht stehen…

Clémence (Vicky Krieps) kämpft bis zum bitteren Ende um das Sorgerecht für ihren siebenjährigen Sohn. Tandem Films
Clémence (Vicky Krieps) kämpft bis zum bitteren Ende um das Sorgerecht für ihren siebenjährigen Sohn.

Doch wer ist diese Clémence denn eigentlich? Clémence, und das lässt sich schwerlich anders sagen, das ist Vicky Krieps. Mit dieser Rolle findet die Lieblings-Luxemburgerin des Arthouse-Kinos wieder in die Spur, nachdem sie in den letzten Jahren in einigen undankbaren Rollen zu sehen war (man denke etwa an ihre Darstellung der „Ingeborg Bachmann“ oder ihren Part als Aussteigerin in Rebecca Lenkiewicz‘ „Hot Milk“). Eine der faszinierendsten Aspekte an der Schauspielerei ist, dass schon eine einzige Performance uns vom Talent eines Darstellers bzw. einer Darstellerin überzeugen kann – und um genau solch eine Rolle handelt es sich hier.

Ganz eng verknüpft Regisseurin Anna Cazenave Cambet ihre Erzählung mit der Perspektive ihrer Protagonistin. Das beginnt schon in der ersten Sequenz, in der Clémence Bahn um Bahn in einem Pariser Hallenbad zieht, bevor sie aus dem Wasser steigt und auf dem Weg gen Umkleide eine Bekanntschaft nach der anderen verabschiedet — mit uns ganz nah über ihre Schulter blickend. Die Distanz zu ihr verringert sich dann nur noch, wenn sie in der Umkleidekabine eine junge Frau trifft und dieser rasch zum Höhepunkt verhilft.

Viel Schwarz-weiß, wenig Grau

Auf diese Weise unwiderruflich mit Clémence verbunden, wird das Publikum quasi zu Verbündeten. Was uns angesichts der Tatsache, dass Clémence' Ex Laurent sich bald schon als unsicherer, in seinem Stolz verletzter Mann entpuppt, der durch ihre Zurückweisung eine so offensichtliche wie anhaltende Kränkung erfahren hat, nicht weiter schwerfällt. Diese Kränkung ist es, die ihn, wenngleich versteckt hinter einer Fassade der vermeintlichen Souveränität, zu einer regelrechten Karikatur seiner selbst werden lässt.

Tatsächlich liegt ein gewisser Reiz in dieser überhöhten Boshaftigkeit, und es scheint durchaus aus dem Leben gegriffen, dass ein Partner sich angesichts eines Sorgerechtsstreits als jemand anderes zu erkennen gibt. Allerdings bricht das Karikatureske bisweilen mit dem Realismus, um den sich Cambet sichtlich bemüht. Stattdessen zwingt sie dem Publikum den Antagonismus zwischen den Eheleuten förmlich auf, ohne das klare Gut-Böse-Schema auch nur anzuzweifeln.

Pures Schauspielkino

Ohnehin gilt für Cambets Figuren, dass sie meist greifbarer werden, wenn sie ohne Dialog auskommen. Was auch damit zu tun haben mag, dass Cambet in ihrem zweiten Spielfilm nach „Gold For Dogs“ auf den gleichnamigen autofiktionalen Roman der Pariser Autorin Constance Debré zurückgreift, deren Lebensweg folglich die Vorlage für Krieps' Clémence bildet. Dass sich die Adaption eines Prosatextes in ein Drehbuch bisweilen schwierig gestaltet, das ist generell bekannt, und „Love Me Tender“ stellt dies in einigen Szenen unbeabsichtigt unter Beweis.

Da allerdings, wo das Spiel und die reine Interaktion des starken Casts im Vordergrund stehen, beweist Cambet, dass sie insbesondere das Schauspielkino beherrscht. Wer genau diese Figuren sind, das wissen wir gegen Ende. Jedoch nicht, weil uns die Dialoge Auskunft über ihre Vorlieben, Wünsche und Ängste gegeben haben, sondern schlicht aus den Momenten heraus, in denen sie die Leinwand für sich einnehmen. Auf diese Weise wird der Prosa hier durch schlichte Bildpräsenz etwas anderes, aber Ebenbürtiges gegenübergestellt.

Eine bewusst zähe Angelegenheit

Was die Autorin Debré wie auch Cambet zu erzählen haben, ist nichtsdestotrotz ungeheuerlich. Denn ab dem Zeitpunkt, da Clémence von der Entscheidung ihres Mannes erfährt, das alleinige Sorgerecht für Paul gerichtlich zu erstreiten, gerät die Handlung zu einer — durchaus im positiven Sinne — zähflüssigen Masse an justiziellem Prozedere und den damit einhergehenden Erniedrigungen.

Zwar heißt es zunächst, dass dem Antrag Laurents vorläufig stattgegeben wird — ihr Ex bezichtigt Clémence darin der Pädophilie und merkt an, dass ihr Lebensstil mit wechselnden jungen, gleichgeschlechtlichen Partnerinnen den heranwachsenden Paul verstören könnte. Allerdings wird Clémence im gleichen Atemzug gewarnt, dass sie sich besser auf einen langen Rechtsstreit gefasst machen sollte.

Wenn das Rechtssystem ungerecht ist

Und von nun an stellt sich ein Muster ein: Wohin sie auch geht, die Menschen geben Clémence zu verstehen, dass sie sich zwar im Recht befinde, dass das französische Rechtssystem mit seinen zahlreichen und in ihrer Beschaffenheit kaum zu überblickenden Institutionen ihr aber nur auf sehr langsamem Weg zur Gerechtigkeit verhelfen könne. Aus Wochen werden Monate, und aus Monaten allmählich Jahre. Von einem Beamten hört Clémence schließlich die traurige Wahrheit: Egal, wie sich ihr Fall entwickle, diese wichtigen Jahre im Leben Pauls wird ihr auch ein letztlich erkämpftes Sorgerecht nicht zurückgeben können.

Auf der Erzählebene gelingt es Cambet durchaus, diese langen Leerstellen im Leben der Protagonistin einzufangen. Dass wir Paul in der ersten gemeinsamen Szene nicht zu sehen bekommen, da er sich unter der Bettdecke versteckt, sorgt eben auch dafür, dass wir, die wir an Clémence Perspektive gebunden sind, ihn erstmals in der Mitte des Films zu sehen bekommen, in einem sterilen Raum mit einem großen Tisch, an dem zwei Sozialarbeiter*innen sitzen. Es ist ein Moment von großer emotionaler Wucht zwischen Mutter und Sohn, ungeachtet der aufgezwungenen Beobachter*innen. Denn auch das gehört zu den vielen Erniedrigungen, die Clémence in diesem nicht enden wollenden Verfahren über sich ergehen lassen muss: Die seltenen Momente der Zweisamkeit sind eigentlich gar keine, unterliegen sie doch stets der behördlichen Überwachung.

Schmerzhafte Sprachlosigkeit

In solchen Szenen, in denen die großen Gefühlsausbrüche schwerlich im Zaum zu halten sind, tut Cambet gut daran, sich diesen nicht zu unterwerfen, sondern sie stattdessen zu durchbrechen. So etwa, als wir sie nach jenem ersten Wiedersehen mit ihrem Sohn nach gut eineinhalb Jahren plötzlich inmitten eines Techno-Clubs tanzen sehen, ganz so, als müsste sie dieser so lang nicht mehr verspürten Euphorie Ausdruck verleihen. Und beim nächsten Mal, als die beiden sich an diesem allmählich vertrauter werdenden Tisch zusammenfinden, scheint Paul fast peinlich betreten, als er gestehen muss, dass er nun, nach der Flut an Neuigkeiten, die er zuvor mit seiner Mutter teilte, nicht mehr wisse, was er noch sagen solle.

Darin steckt eine schmerzhafte Komik. Die gemeinsamen Mutter-Sohn-Momente, die noch immer jedes Mal vom Vater abgesegnet werden müssen (ein Privileg, das Laurent oft genug nutzt, um die Treffen grundlos abzusagen), sind nun mit so viel Bedeutsamkeit aufgeladen, dass Paul fürchtet, ihnen mit seinen Alltagserfahrungen nicht gerecht zu werden. Doch während ihr Sohn damit hadert, „was“ er sagen soll, ist es für Clémence vor allem das „wie“, das zunehmend verloren geht. Denn während sie ihre Stimme als Autorin findet, verliert sie mitunter das Gespür für die Sprache, mit der sie ihrem sieben-, bald achtjährigen Sohn begegnet. Doch die Worte, die sie schreibt, sie sind nicht für den Moment. Sie sind für eine ungewisse Zukunft, in der die beiden sich mehr zu erzählen haben werden als sich jetzt noch erahnen lässt.

Fazit: „Love Me Tender“ bietet sozialrealistisches Schauspielkino mit einer hervorragenden Vicky Krieps in der Hauptrolle. Zwar bleibt die fehlende Vielschichtigkeit der Figuren bis zum Schluss ein mittelschwerer Wermutstropfen, und auch die Dialoge und die gewählten Bilder wirken bisweilen sehr vertraut. Allerdings wird dies durch den Mut, uns die Ungerechtigkeit dieses Verfahrens über extra lange 137 Minuten hinweg spüren zu lassen, durchaus wettgemacht.

Wir haben „Love Me Tender“ beim Cannes Filmfestival 2025 gesehen, wo er in der Sektion „Un Certain Regard“ gezeigt wurde.

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