Hot Milk
Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
1,5
enttäuschend
Hot Milk

Selbst in den besten Momenten nur lauwarm

Von Björn Becher

In einer der ikonischsten Szenen der Filmgeschichte geht es um eine Wassermelone. Wenn sie in „Dirty Dancing“ die ersten Worte mit ihrem Schwarm Johnny (Patrick Swayze) wechselt, hat Baby (Jennifer Grey) gerade eine solche transportiert. Ihr unbeholfen-banaler Ausspruch, „Ich habe eine Wassermelone getragen“, avancierte zum absoluten Kult-Zitat. Es ist daher sicher kein Zufall, dass Sofia (Emma Mackey), die Protagonistin von „Hot Milk“, nun ebenfalls eine Wassermelone mit sich herumschleppt, als sie das erste Mal mit Ingrid (Vicky Krieps) redet und ihr verfällt. Der peinliche Obst-Dialog bleibt jedoch aus, stattdessen landet es kurze Zeit später in einer Ecke und wird vergessen.

In ihrem Regiedebüt spielt die Drehbuchautorin Rebecca Lenkiewicz („She Said“), die für ihr Skript zu „Ida“ sogar mit dem Europäischen Filmpreis ausgezeichnet wurde, nicht nur in dieser Szene mit ikonischen Bildern. Aber diese Brüche sind auch schon das Spannendste an ihrer Romanverfilmung. Denn abgesehen von sehr vereinzelten Ideen, die sich oft vor allem auf der Audiospur abpielen, bietet ihr küchenpsychologisches Melodrama viel Leerlauf und Langeweile. Die Liebesgeschichte zwischen zwei geplagten Frauen vor der spanischen Küste erschöpft sich in platten Bildern und noch platteren Dialogen. Ohnehin wird sie von einem Mutter-Tochter-Drama an den Rand gedrückt, das schon etwas mehr Reiz hat, aber in dem trotzdem früh fast alles gesagt ist.

Sofia (Emma Mackey) findet bei Ingrid (Vicky Krieps) jene Zuneigung, die ihr in der schwierigen Beziehung zu ihrer Mutter fehlt. MUBI
Sofia (Emma Mackey) findet bei Ingrid (Vicky Krieps) jene Zuneigung, die ihr in der schwierigen Beziehung zu ihrer Mutter fehlt.

Sofia (Emma Mackey) begleitet ihre im Rollstuhl sitzende Mutter Rose (Fiona Shaw) schon seit früher Kindheit überall hin, also nun auch in die spanische Küstenstadt Almeria. Die Seniorin hat sogar ihr Haus verpfändet, um sich von dem mit unkonventionellen Methoden arbeitenden Arzt Gomez (Vincent Perez) behandeln zu lassen. Ihr Fall ist nämlich sehr besonders: Etwa einmal im Jahr kann sie für kurze Zeit laufen, ansonsten aber hat sie kein Gefühl mehr in den Gliedmaßen. Für Sofia ist die Reise trotz Traumwetter kein Vergnügen. Sie leidet offensichtlich darunter, dass sie sich nicht nur dauernd um ihre Mutter kümmern muss, sondern es ihr offensichtlich auch nie recht machen kann.

Als die langzeitstudierende Sofia die mysteriös am Strand entlangreitende Ingrid (Vicky Krieps) trifft, eröffnet sich ihr eine neue Welt. Zwischen Meeresküste und der nahen Wüste entwickelt sich in der Hitze der spanischen Sonne ein Flirt, der Sofia womöglich erlauben könnte, sich der ständigen Kontrolle ihrer Mutter zu entziehen...

Identität, Abhängigkeit und vertane Chancen

Die Adaption des gefeierten Romans „Hot Milk“ von Deborah Levy, der in Deutschland 2016 unter dem Titel „Heiße Milch“ veröffentlicht wurde, knöpft sich unter der spanischen Sonne einige ganz große Themen vor: Nicht nur für Sofia, für alle drei Frauen im Zentrum geht es ein Stück weit um Selbstfindung und die Frage nach der eigenen Identität – und wie man von anderen abhängig bleibt, solange man sich selbst diese Frage nicht beantwortet hat. Aber trotz offensichtlich in der Vergangenheit verborgener Geheimnisse führt die Suche zu wenig. Dass sich Sofia von ihrer kontrollierenden Mutter, die augenscheinlich viel mehr alleine machen könnte, als sie zu zeigen bereit ist, irgendwie befreien muss, liegt auf der Hand.

Mit ihren ständigen Sticheleien, dass ihre Tochter noch keinen Mann habe und ihr Studium der Anthropologie ohnehin nie abschließen wird, ja, sie noch nicht einmal das richtige Wasser im Supermarkt kaufen könne, wird die toxische Seite dieser Mutter-Tochter-Beziehung immer wieder unterstrichen. Dazu nutzt Lenkiewiecz (allzu) naheliegende (Alb-)Traumbilder, in denen Sofia nicht nur im Meer zu ertrinken droht, sondern auch selbst an den Rollstuhl ihrer Mutter gefesselt ist. Das ist dann doch reichlich platt.

Sofia leidet offensichtlich darunter, dass sie viel Zeit an der Seite ihrer Mutter verbringen muss, hat aber auch Angst davor, es ohne sie schaffen zu müssen. MUBI
Sofia leidet offensichtlich darunter, dass sie viel Zeit an der Seite ihrer Mutter verbringen muss, hat aber auch Angst davor, es ohne sie schaffen zu müssen.

Dabei stecken durchaus auch gute Ideen in „Hot Milk“. Das ständige Bellen des auf dem Dach angeketteten Nachbarhundes wird mehrfach zu einer an den Nerven zehrenden Belastung auf der Tonspur – wie auch das energische Telefonklingeln, das Sofia in die Enge ihrer eigentlichen Routine zurückzuholen droht (und bei dem man im Kino auch schon mal herumblickt, wer jetzt schon wieder sein Handy nicht ausgestellt hat). Aber zu schnell weichen solche Momente der Anspannung wieder gefälligen Szenen. Selbst die flirrende Hitze Almerias (gedreht wurde übrigens nicht in Spanien, sondern in Griechenland) kommt nicht wirklich als belastender Faktor zum Tragen, sondern bleibt weitgehend belangloses, nur den sonnendurchfluteten Bildern dienendes Hintergrundrauschen.

Das Mutter-Tochter-Verhältnis endet immerhin in einer starken Schlussszene mit einem befriedigenden Knall, der dem sonst kühlen Film endlich laute Emotionen verleiht. Das lässt sich über die zweite Beziehung im Zentrum von „Hot Milk“ aber ganz sicher nicht sagen. Der Urlaubsflirt zwischen Sofia und Ingrid, von der man kaum etwas erfährt, die aber den Vibe einer deutschen Aussteigerin hat, beginnt zwar vielversprechend mit einer ironisch-kitschigen Szene am Strand, die auch das Cover eines Liebesromans aus der Bahnhofsbuchhandlung schmücken könnte, mündet dafür aber umso schneller in kraftloser Eintönigkeit und Banalität.

Eine enttäuschende Liebesgeschichte

Wenn Sofia die scheinbar so freigeistige Frau das erste Mal erblickt, wirkt sie wie eine weiße Ritterin hoch zu Pferd. Oder mit ihrem Kopfband wie eine Piratin, die die holde, aber gelangweilte Maid auf ein Abenteuer mitnimmt. Aber kurze Zeit später folgt die Begegnung mit der Wassermelone. Das weckt natürlich Erwartungen. Der hier zitierte „Dirty Dancing“ ist schließlich auch deshalb ein Kultfilm geworden, weil er dem damals und heute noch vorherrschenden männlich dominierten Blick im Kino etwas entgegensetzte. Der sogenannte Male Gaze wird bewusst aufgebrochen, sogar umgedreht, in dem die zuerst so schüchtern erscheinende Baby jegliche Passivität hinter sich lässt und ihre Sexualität und Wünsche aktiv selbst entdeckt.

„Hot Milk“ scheint mit dem Klassiker-Verweis und der Gender-Variation des Weißen-Ritter-Motivs daran anzuknüpfen – doch das erschöpft sich nach einer intensiven heimlichen Kussszene bei Nacht sofort wieder. Danach bekommen wir nur noch typischen (Arthouse-)Romantik-Einheitsbrei mit Eifersüchteleien und Plattitüden geboten. Wie banal das alles ist, zeigt sich in einem Dialog zwischen Ingrid und Sofia über ein mögliches Wiedersehen. Die Britin griechischer Abstammung soll ihre neue Freundin doch mal in Berlin besuchen kommen. Dann könnte man einen Spaziergang vom Brandenburger Tor zum Checkpoint Charlie machen, schlägt die so hip und freigeistig gezeichnete Deutsche vor. In der Berlinale-Pressevorführung sorgte dieser Momente für lautes Gelächter vom ortskundigen Publikum. Es ist schließlich die langweiligste Touristen-Route, die man sich für einen romantischen Spaziergang durch Berlin nur vorstellen kann – aber damit irgendwie auch schon wieder ganz passend für einen ähnlich belanglosen Film.

Fazit: „Hot Milk“ spielt mit interessanten filmischen Verweisen, bleibt aber in der Umsetzung blass. Während das Mutter-Tochter-Drama einige wirkungsvolle Momente bietet, versandet gerade die nebenher miterzählte Romanze in Klischees und Banalitäten. Die wenigen starken audiovisuellen Ideen gehen da schnell unter.

Wir haben „Hot Milk“ im Rahmen der Berlinale 2025 gesehen, wo er im offiziellen Wettbewerb gezeigt wurde.

Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
Das könnte dich auch interessieren