Nordsee ist Mordsee
Von Oliver KubeDer Survival-Thriller „Last Breath“ basiert auf wahren Begebenheiten, die sich 2012 tatsächlich so ereignet haben. Der eigentlich auf Dokumentarfilme spezialisierte Alex Parkinson („Leben mit Leoparden“) erzählt in der ca. 24 Millionen Dollar teuren Produktion von einem realen Vorfall auf dem Grund der eisig kalten Nordsee vor Schottland, bei dem ein Berufstaucher von der Luftzufuhr abgeschnitten wurde und seine Kollegen alles versuchten, um ihn trotz widrigster Umstände zu retten. Bereits 2019 erschien der ebenfalls von Alex Parkinson stammende Dokumentarfilm „Der letzte Atemzug - Gefangen am Meeresgrund“, der den Unfallhergang mittels Archivaufnahmen, Interviews und von Schauspielern nachgestellten Szenen sehr greifbar rekonstruierte.
Normalerweise ist es nicht die Art von FILMSTARTS, euch vom Anschauen eines Films abzuraten – jedenfalls nicht, wenn er so gut ist wie „Der letzte Atemzug“. In diesem Falle solltet ihr aber tatsächlich vorläufig davon absehen, zumindest wenn ihr mit dem Gedanken spielt, euch „Last Breath“ anzusehen. Denn so intensiv und atmosphärisch die Doku auch gemacht ist, sie würde den sogar noch packenderen Spielfilm komplett spoilern, da sich Alex Parkinson eng an die realen Vorgänge hält. Und das wäre wirklich sehr schade, denn viel spannender und dramatischer geht’s eigentlich kaum noch.
Der junge Chris (Finn Cole) hat bereits einige Tiefseetauchgänge mit seinem Wartungsteam für Unterwasserpipelines absolviert. Im Vergleich zu seinem Mentor Duncan (Woody Harrelson), der auf jahrzehntelange Erfahrung zurückblicken kann, ist er dennoch ein blutiger Anfänger. Auch deshalb lässt Chris‘ Verlobte Morag (Bobby Rainsbury) ihn nur widerwillig gehen, als er voller Vorfreude zu einer vierwöchigen Mission aufbricht. Bevor sie ihrer Arbeit in 100 Meter Tiefe nachgehen können, müssen Chris und Duncan zusammen mit dem sehr professionellen, aber auch ziemlich eigenbrötlerischen Dave (Simu Liu) mehrere Tage in einer engen Dekompressionskammer zubringen. Diese steht im Bauch des von Kapitän Jenson (Cliff Curtis) kommandierten Schiffes Tharos.
Aber noch während sie in der Metallröhre ausharren und sich ihre Körper langsam an die für diesen nötigen Konditionen gewöhnen, zieht über der Nordsee ein schwerer Sturm auf. Trotzdem wird das Trio zum geplanten Zeitpunkt mit seiner modernen Taucherglocke als einer Art Basisstation auf den Meeresgrund herabgelassen. Zunächst verläuft alles planmäßig. Doch als das Wetter an der Oberfläche noch brutaler wird, geben Teile des Positionierungssystems der Tharos ihren Geist auf und der Tauchgang muss abgebrochen werden. Dave und Duncan sind bereits wieder in der Glocke, als diese von dem außer Kontrolle geratenen Schiff fortgezogen wird. So reißt bei Chris die Versorgungsleine und er bleibt mit einem kleinen Nottank mit Sauerstoff für maximal noch zehn Minuten allein in der eiskalten Dunkelheit des Meeres zurück …
Nur die allerwenigsten Kinogänger*innen dürften sich wohl wirklich mit den Abläufen, Details und Besonderheiten des Sättigungstauchens auskennen. Deshalb muss in „Last Breath“ immer wieder einiges erklärt werden: Warum sitzen die drei Protagonisten an Bord ihres Schiffes erst einmal tagelang in einer Dekompressionskammer? Wie funktioniert die Taucherglocke, mit der sie hinabgelassen werden? Was hat es mit dem „Nabelschnur“ genannten Versorgungsschlauch auf sich, an dem das Leben der Männer hängt wie an einem seidenen Faden? Wie genau funktioniert die Technik des offenbar überwiegend computergesteuerten Schiffes? Und warum versagt diese dann ausgerechnet im unpassendsten aller Momente?
Wenn ein Spannungsfilm erst einmal eine solche Fülle an essenziellen Informationen vermitteln muss, kann das schnell dazu führen, dass das Publikum sich mental überfordert fühlt und deshalb emotional abschaltet. Regisseur Alex Parkinson, der auch entscheidend am Drehbuch beteiligt war, gelingt es allerdings, all diese Fakten effizient und verständlich herüberzubringen, ohne dabei Abstriche in Bezug auf die Intensität seiner Handlung in Kauf nehmen zu müssen. Teilweise ist sogar das Gegenteil der Fall: Wenn wir etwa lernen, wie kalt es da unten wirklich ist, beginnen wir dank der eisig-klaren Bilder von Chef-Kameramann Nick Remy Matthews („Hotel Mumbai“) sowie dem anschwellenden Score von Paul Leonard-Morgan („Boston Strangler“) selbst im wohltemperierten Kinosaal zu schlottern. Und so dauert es nicht lange, bis auch unser Atmen flacher wird, wenn dem tragischen Helden der letzte Sauerstoff auszugehen droht.
Wir fühlen mit den Figuren. Und das nicht nur mit Chris, sondern auch mit dem stoischen Dave und vor allem dem älteren, deutlich extrovertierteren Duncan. Immerhin droht ihm, dass er bei seinem letzten Einsatz vor der – vom Arbeitgeber erzwungenen! – Pensionierung, noch einen echten Freund verliert. Damit wir aber diese Bindung überhaupt aufbauen können, macht uns der Film in den ersten Minuten auf unaufdringliche, jedoch effiziente Weise mit den gegenüber der Doku leicht fiktionalisierten Biografien der Taucher vertraut. Finn Cole („Peaky Blinders“) und Simu Liu („Shang-Chi“) spielen ihre Parts betont zurückgenommen, aber dafür durchgehend glaubhaft. So ist es an Woody Harrelson („Triangle Of Sadness“), mit der von seiner Figur ausgestrahlten Wärme dafür zu sorgen, dass man die ganze haarsträubende Geschichte bald primär durch die Augen von Duncan wahrnimmt. Über den Rest des Personals an Bord erfahren wir längst nicht so viel. Und doch ist die Sorge und Verzweiflung der Männer und Frauen an Bord spürbar.
Denn auch hier wird uns immer gut verständlich klargemacht, was gerade vor sich geht und mit wie viel Einsatz und Einfallsreichtum die Besatzung einfach nicht bereit ist, den Kameraden in Not aufzugeben. Selbst dann nicht, wenn – nach 20 Minuten ohne Luft – keine wirklich realistische Chance mehr zu bestehen scheint, ihn noch lebend an die Oberfläche zu bringen.
„Last Breath“ benutzt teilweise Originalaufnahmen, die auch in der Doku verwendet wurden. In Verbindung mit dem neu gefilmten Material kommt hier streckenweise eine ähnliche Atmosphäre auf, wie James Cameron sie bereits in „Abyss - Abgrund des Todes“ erzeugte – nur, dass alles noch furchteinflößender, weil noch greifbarer, noch realer wirkt. Wahrscheinlich hatte die Verlobte des Verunglückten recht, als sie zu Beginn des Films äußert, dass Menschen auf dem Grund der Nordsee nichts verloren hätten. Aber dann hätten wir auch nicht diesen ebenso faszinierenden wie spannenden Film genießen können.
Fazit: Spannung, Intensität, Authentizität und Emotionalität – euch wird der Atem stocken und es wird euch eiskalt den Rücken herunterlaufen. Der stark besetzte Survival-Thriller „Last Breath“ funktioniert am besten, wenn ihr vor dem Ansehen möglichst nicht mehr über seine auf realen Begebenheiten basierende Story wisst als das, was wir bereits in dieser Besprechung verraten haben.