Offenbar braucht selbst ein Martin Scorsese mal Wohlfühlkino
Von Oliver KubeDass diverse Filme nicht dort gedreht werden, wo ihre Handlung spielt, kann vielerlei Gründe haben. Meist sind es aber Budget- oder Logistik-Aspekte, die den Ausschlag geben. Um Geld zu sparen, verlagern Hollywood-Studios ihre Produktionen etwa nach Kanada, Australien oder Osteuropa. Ähnlich dürfte der Fall bei der Dramedy „Funny Birds - Das Gelbe vom Ei“ liegen. Das einige Jahre in L.A. tätige, kürzlich aber wieder nach Paris zurückgekehrte Regie-Duo Hanna Ladoul und Marco La Via drehte den im ländlichen US-Bundesstaat Virginia spielenden Film komplett in Frankreich und Belgien – was leider arg offensichtlich ist. Wer sich ein wenig mit der Topografie und Flora, aber auch der Architektur Nordamerikas auskennt, wird bemerken, dass die gezeigten Landschaften sowie das als einzige echte Location dienende, mit Backsteinen gemauerte Bauernhäuschen dort so ganz bestimmt nicht zu finden wären.
Das ist etwas irritierend und wirft die Frage auf, weshalb der Film nicht einfach in Frankreich (oder eben in Belgien) spielen konnte. Wirklich zwingende Gründe dafür, das Ganze in den USA zu verorten, liefert die ansonsten gut funktionierende Story nämlich nicht. Der Mix aus einer Großmutter-Mutter-Tochter-Beziehung, etwas Kapitalismus- und Gesellschaftskritik plus Themen wie Unabhängigkeit und Feminismus, ist mal emotional berührend, dann wieder richtig komisch. Auch wenn der Ausgang schnell absehbar ist, bleibt der Film durchgehend unterhaltsam – und das hat „Funny Birds“ vor allem seinem mit spürbarem Engagement und viel Freude am Zusammenspiel auftretenden Hauptdarstellerinnen-Trio zu verdanken.
Charlie (Morgan Saylor) studiert in New York Wirtschaft und macht sich bereits ernsthafte Gedanken über ihre spätere Karriere auf diesem Gebiet. Aktuell muss sie allerdings eine Auszeit von der Universität nehmen und auf den altmodischen Bio-Hühnerhof ihrer Mutter zurückkehren: Die alleinlebende Laura (Andrea Riseborough) ist krebskrank in einem bedenklichen Stadium und würde es ohne die Hilfe nicht mehr schaffen, den kleinen Betrieb am Laufen zu halten.
Laura ist erleichtert und freut sich, ihre Tochter zumindest vorübergehend wieder bei sich zu haben. Aber wegen ihrer unterschiedlichen Ansichten und Lebensphilosophien geraten die zwei auch immer wieder aneinander. Als dann – nach vielen Jahren der Funkstille – überraschend auch noch Lauras exzentrische und klassisch feministisch orientierte Globetrotterinnen-Mutter Solange (Catherine Deneuve) auftaucht, ufert der tägliche Diskussions- und Streit-Marathon zu einem Dreikampf aus. Der muss allerdings erst einmal hinten angestellt werden, als in der Region die Vogelgrippe ausbricht – denn ein einziger Fall bei den eigenen Hühnern könnte das endgültige Aus für den finanziell ohnehin schon angeschlagenen Betrieb bedeuten…
Wir nehmen hier wohl nicht allzu viel vorweg, wenn wir verraten, dass es den drei Protagonistinnen nach einigen Anlaufschwierigkeiten irgendwann gelingen wird, sich zusammenzuraufen und den Kampf gegen alle Widrigkeiten gemeinsam aufzunehmen. Der familiäre Zusammenhalt über mehrere Generationen sowie die unterschiedlichen Dynamiken bei den Charakterkonstellationen müssen auch Martin Scorsese angesprochen haben, der als ausführender Produzent an dem Projekt beteiligt. Laut Aussage von Regisseur Marco La Via hat die „Taxi Driver“-Legende sich offenbar aktiv in den Entstehungsprozess eingebracht. So beriet er die Macher*innen beispielsweise in Bezug auf das Drehbuch, das Casting, die räumliche Anordnung einzelner Szenen und sogar, was den Rhythmus des Schnitts anging.
Die geringste Screentime von den drei durch die Bank angenehm authentisch performenden Stars hat Catherine Deneuve („Belle De Jour“). Und doch hinterlässt die Diva mit forschem Auftreten, kernigen Sprüchen und beherzten Aktionen den wohl größten Eindruck von allen. Was nicht bedeutet, dass die emotional sehr stimmig agierende Morgan Saylor („Homeland“) als ihre patente, aber eben noch nicht ganz so selbstbewusst der Welt gegenübertretende Enkelin blass bleiben würde. Im Gegenteil: Charlie (eigentlich Charlotte) wird sehr effizient als Identifikationsfigur fürs Publikum aufgebaut. Schon zu Beginn sehen wir den heruntergekommenen Hof durch ihre Augen und realisieren schnell, dass Laura offensichtlich Hilfe braucht und auch in welcher Form diese erfolgen sollte: Charlie muss hier kräftig anpacken und ihrer Mutter so die Zeit geben, sich um sich selbst und ihre Gesundheit zu kümmern. Andrea Riseborough („Possessor“) hat hingegen den undankbarsten, weil aufgrund der Krankheit passivsten Part.
Als wir, gemeinsam mit Charlie, bemerken, dass Laura die Situation aufgrund der Vogelgrippe und einer von der Regierung angeordneten Keulung sämtlichen Geflügels allein nicht bewältigen kann, schneit plötzlich Solange in die Situation rein. Wir sehen durch das Küchenfenster, wie Deneuve sicheren Schrittes über die Felder in Richtung des Häuschens stapft, als ob ihr die gesamte Gegend gehören würde. Kaum angekommen, übernimmt sie dann auch gleich das Kommando und ist bereit, alles zu tun, um das Steuer herumzureißen. Dabei ist es ihr egal, ob sie mit Charlie draußen im Dreck schuften, die mittlerweile bettlägerige Laura wegen des Zustands der Welt vor ihrer Tür belügen oder den gutmütigen Provinzsheriff (Ken Samuels) mit ihrem weltgewandten Charme umgarnen muss. Würde sich der Ordnungshüter das kleine Grundstück nämlich mal genauer ansehen, käme er kaum umhin zu bemerken, dass Lauras geliebtes Federvieh noch immer fröhlich gackernd Eier legt.
Trotz einiger origineller Wendungen, spaßiger Momente und netter Abzweigungen in die Vergangenheit von Laura und Solange ist das Ende, auf das „Funny Birds“ zusteuert, schnell absehbar. Aber ist das wirklich so schlimm? Nein, denn auf diese Art und Weise funktioniert Wohlfühlkino nun mal. Und in diese Kategorie ist der abgesehen von der geografischen Verwirrung stimmig geschriebene sowie mit satten Farben – das beginnt schon bei den roten Haaren der drei Protagonistinnen, die sie auf den ersten Blick als Familie kennzeichnen – umgesetzte Film eindeutig einzusortieren.
Es geht um das Geben und Zurückgewinnen von längst verloren geglaubter Liebe sowie um das Verzeihen alter Fehler und Versäumnisse. Das passiert zwar unter ernsten Umständen, aber doch mit lockerem Witz und viel Liebenswürdigkeit. Alle drei Hauptfiguren haben ihre Macken, sind aber eigentlich gute Menschen, die sich um das Wohlergehen der jeweils anderen sorgen. Irgendwann kam bei ihnen wohl einfach nur das Leben dazwischen. Das eine Jahr, das wir in den knapp 100 Minuten Laufzeit von „Funny Birds“ mit ihnen verbringen, wissen sie gut zu nutzen, um auch uns Zuschauenden ans Herz zu wachsen.
Fazit: Schwung, Witz, Liebenswürdigkeit und das authentische Spiel eines erstklassigen Casts machen diese recht simple Story zu einem ebenso kurzweiligen wie berührenden Kinobesuch der harmloseren Sorte.