"Der Club der toten Dichter" mit Watschelvogel
Von Jörg BrandesNach dem Tod des argentinischen Staatschefs Juan Perón im Jahr 1974 wurde seine Frau Isabel Präsidentin. Doch unter ihrer Regierung ging es mit der Wirtschaft rapide bergab, regelmäßige Inflationswellen machten der Bevölkerung das Leben besonders schwer. Zudem sorgten linke Guerilla-Organisationen wie die Montoneros für Unruhe, was wiederum rechtsgerichtete Milizen auf den Plan rief. In dieser hochexplosiven politischen Gemengelage beginnt das neue Werk des britischen Regisseurs Peter Cattaneo, dem 1997 mit der Stripper-Dramödie „Ganz oder gar nicht“ ein waschechter Kultfilm gelang.
„Der Pinguin meines Lebens“ basiert auf dem gleichnamigen autobiografischen Buch von Tom Michell*, einem Englischlehrer, der einen geretteten Pinguin einfach nicht mehr loswurde (und sich deshalb fast schon notgedrungen mit ihm anfreundete). Trotz des dramatischen gesellschaftlichen Hintergrunds überwiegen in der Verfilmung klar dieWohlfühl-Anteile, zu denen der menschliche und der tierische Hauptdarsteller in erheblichem Maße beitragen: Steve Coogan („Philomena“) und den titelgebenden Magellanpinguin muss man einfach gernhaben.
Als Tom (Steve Coogan) in Buenos Aires seine Stelle als Englischlehrer in der privaten St. George’s School antritt, liegt ein Putsch bereits in der Luft. Am 24. März 1976 ist es dann so weit: Marschmusik im Radio kündigt an, dass das Militär die Macht übernommen hat. Inmitten der allgemeinen Verunsicherung wird der Unterricht erst einmal ausgesetzt. Tom nutzt die freien Tage für einen Vergnügungskurztrip ins benachbarte Uruguay. Um einen potenziellen One-Night-Stand (Micaela Breque) zu beeindrucken, nimmt er sich bei einem Strandspaziergang eines hilflosen, ölverschmutzten Pinguins an. Während sich die Frau am nächsten Morgen verabschiedet, wird Tom das anhängliche Tier allerdings nicht mehr los.
Zurück in Buenos Aires entschließt er sich schließlich, den zunächst heimlich auf dem Balkon seines Zimmers gehaltenen Magellanpinguin mit in seine siebte Klasse zu nehmen. Nun ist ihm endlich die Aufmerksamkeit seiner privilegierten Problemschüler gewiss, der Lernerfolg nimmt zu. Die von den neuen Machthabern ausgehenden brutalen Repressionen allerdings auch. Das wird Tom erst so richtig bewusst, als er Zeuge der Entführung von Sofia (Alfonsina Caroccio) wird, der Enkelin von Schulhaushälterin Maria (Vivian El Jaber)…
Steve Coogan folgt man gern in seiner Rolle. Der Brite ist ein Sympathieträger par excellence, selbst wenn er seiner Figur gerade zu Beginn eine gehörige Portion Sarkasmus verpasst. Sein Tom ist ein Meister des trockenen Humors. Der äußert sich etwa im Umgang mit seinem redseligen, an Liebeskummer leidenden finnischen Kollegen (herzig: Björn Gustafsson), der ihn unerwünschterweise nach Uruguay begleitet. Und erst recht bei seinen anfänglichen Versuchen, seinen tierischen Begleiter wieder loszuwerden – etwa bei der Zollkontrolle, eine der lustigsten Szenen des Films. Auf Dauer gelingt es Tom freilich nicht, sich im noch einigermaßen geschützten Raum der Schule aus den Wirren in Argentinien herauszuhalten. Spätestens nach Sofias Entführung schärft sich sein politisches Bewusstsein. Er beginnt, Stellung zu beziehen.
Trotzdem stiehlt ihm sein gefiederter Co-Star immer wieder die Show: Einfach putzig, wie der bald Juan Salvador genannte Magellanpinguin durchs Geschehen watschelt. Dem geduldigen Vogel fliegen nicht nur viele Herzen zu, die Menschen, die es mit ihm zu tun bekommen, breiten vor ihm auch freiwillig ihre Sorgen und Nöte aus. Zu einem veritablen Seelentröster wird Juan Salvador so nicht nur für den Schuldirektor (Jonathan Pryce), der seine Einrichtung gern aus der Politik heraushalten würde, letztlich aber doch nicht über seinen Schatten springen kann.
So weist der Film unter der Regie von Peter Cattaneo, der zusammen mit Jeff Pope auch die Vorlage adaptierte, eine ganze Reihe von Wohlfühlmomenten auf. Durch die (übermäßige) Betonung dieser Aspekte erhält „Der Pinguin meines Lebens“ allerdings auch etwas Schlagseite. Ein Eindruck, der durch den etwas klebrigen Score von Federico Jusid noch verstärkt wird. Zwar blenden Cattaneo und Pope das exzessiv gewaltsame Vorgehen der Militärjunta gegen „subversive Elemente“ und die, die sie dafür hält, nicht völlig aus.
Eine Szene, in der Tom mit einem Schergen des Regimes über Sofias Schicksal ins Gespräch kommen will, weist etwa verstärkt auf die brutale Kaltschnäuzigkeit der neuen Herrscher hin. Doch angesichts des ungeheuren Ausmaßes an Verschleppungen, Folter und Mord erscheint das insgesamt zu wenig. Im Laufe der von 1976 bis 1983 währenden Militärdiktatur sollen in Argentinien schließlich etwa 30.000 Menschen durch den Staatsterrorismus ihr Leben verloren haben.
Fazit: Man kann sich „Der Pinguin meines Lebens“, der vor dem Hintergrund des 1976er-Putsches in Argentinien spielt, sehr gut anschauen, ohne sich allzu sehr an der Brutalität des Militärregimes zu stören. Das macht ihn zu einem echten Wohlfühlfilm, was sich in diesem Fall aber nicht unbedingt immer richtig anfühlt.
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