Der letzte Wikinger
Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
3,0
solide
Der letzte Wikinger

Neue Gemeinheiten aus Dänemark

Von Janick Nolting

Bei Anders Thomas Jensen („Adams Äpfel“) ist alles beim Alten geblieben. Wenn der Däne eine Tragikomödie dreht, kann man inzwischen davon ausgehen, dass es extrem makaber und finster wird. So auch in „Der letzte Wikinger“, für den der Regisseur wieder Mads Mikkelsen und einige andere seiner wiederkehrenden Darsteller*innen vor der Kamera versammelt hat. Auch stilistisch und erzählerisch setzt er auf vertraute Elemente. Insofern könnte man jetzt das Fazit vorwegnehmen und sagen: „Der letzte Wikinger“ ist ein Film für die Fans des Regisseurs. Ob das alles humoristisch noch so zeitgemäß und clever ist, steht jedoch auf einem anderen Blatt.

Anker (Nikolaj Lie Kaas) hat 15 Jahre im Gefängnis gesessen und kommt nun nach Hause, wo ihn sein Bruder Manfred (Mads Mikkelsen) in Empfang nimmt. Manfred lebt mit einer dissoziativen Persönlichkeitsstörung. Das heißt, seine Identität ist keinesfalls als Konstante zu begreifen. Gerade wähnt er sich als John Lennon von den Beatles und er hat vergessen, wo er Ankers geraubtes Geld damals vergraben hat. Gemeinsam begeben sie sich also auf die Suche nach dem Schatz, nach dem sie nicht allein her sind…

Geht das zu weit?

In den Filmen von Anders Thomas Jensen taugen seit jeher Traumata, Verlusterfahrungen sowie körperliche und geistige Behinderungen zu Gegenständen des schwarzen Humors. Das, worüber man angeblich nicht lachen soll, hat der Autorenfilmer immer wieder lustvoll ausgeschlachtet und in derbe Gags verwandelt. Geschmacklosigkeit und Provokation sind Teile des Konzepts. Jensen sucht genau solche Momente, in denen dem Publikum das Lachen im Halse stecken bleibt, und erhebt sie wiederholt und explizit zum Gesprächsgegenstand. Ihn allein dafür moralisierend angreifen zu wollen, würde also zu kurz greifen.

Aber dieses Comedy-Kino kann sich dem Eindruck des aus der Zeit Gefallenen trotzdem nicht so ganz verwehren. Schon ab den ersten Minuten, wenn Mads Mikkelsen die geistige Behinderung spielt und mehrfach zum scheiternden Selbstmordversuch ansetzt, zündet der fiese, abgründige Humor auf altbewährte Weise. Vor allem, weil man die Pointen bei Jensen oft nicht kommen sieht. Die Überraschungen und die Plötzlichkeit als Stilmittel beherrscht dieser Filmemacher weiterhin mit Bravour. Zugleich kreiert das absurde Schauspiel eine Fallhöhe, die der Film später nur noch mit naiver Augenwischerei übertünchen kann. Da nützen auch die guten Ansätze wenig.

Begeben sich gemeinsam auf Schatzsuche: Der frisch aus dem Gefängnis entlassene Anker (Nikolaj Lie Kaas) und sein mit einer dissoziativen Persönlichkeitsstörung lebender Bruder Manfred (Mads Mikkelsen). Neue Visionen Filmverleih
Begeben sich gemeinsam auf Schatzsuche: Der frisch aus dem Gefängnis entlassene Anker (Nikolaj Lie Kaas) und sein mit einer dissoziativen Persönlichkeitsstörung lebender Bruder Manfred (Mads Mikkelsen).

Jensen konfrontiert eine Mehrheit und Dominanzkultur mit ihrer eigenen Konstruktion und Verlogenheit. Diese Ebene ist auch in „Der letzte Wikinger“ deutlich angelegt. Eine Mehrheitsgesellschaft ist in aller Regel eben nicht von beispielsweise Behinderungen betroffen. Sie gehören nicht zu ihrer gelebten Praxis und Vorstellung von Normalität, was bis zur Ausgrenzung und Stigmatisierung betroffener Personen führt. Zugleich belegt man sich mit gewissen Tabus, wie man über bestimmte Menschen (nicht) zu sprechen oder auch zu lachen hat, ohne ihnen damit tatsächlich zu helfen. Genau hier versucht Jensen, eine Scheinheiligkeit zu entlarven.

Ob dieser Akt des Entlarvens und Vorführens davon zu trennen ist, bestimmte Klischees und Denkweisen gleichzeitig zu reproduzieren, ist der kontroverse, schmale Grat, auf dem „Der letzte Wikinger“ wandelt. Spätestens dann, wenn er andere Menschen wie Mads Mikkelsens Figur versammelt, in denen ähnliche geteilte Persönlichkeiten schlummern. Wenn aus dem geplanten Comeback der Beatles quasi ein Comeback von ABBA wird, sorgt das für allerlei Situationskomik. Aber verliert sich das in letzter Konsequenz nicht doch immer wieder etwas zu blindlings in der reinen Schadenfreude und Kuriosität?

Haufdraufkino pur

„Der letzte Wikinger“ ist, wie diverse Filme des Regisseurs, Haudraufkino im wahrsten Sinne des Wortes. Jensens Menschenbild ist eines, das von Gewalt geprägt ist. Ständig geht man einander an die Gurgel. Man schlägt aufeinander ein und Schlimmeres. Wenn Nicolas Bro als Gangster auftritt und sich notfalls auch zu dem begehrten Geld foltert und mordet, wird diese schwarze Komödie bisweilen extrem hart und blutrünstig. Aber was folgt nach der Gewalt? Was liegt ihr zugrunde und wie kann man ihr entkommen? Bei diesen Fragen weiß Jensen, betrachtet man seine Filmografie, mal mehr und mal weniger kluge Antworten zu geben.

Sein neuestes Werk hangelt sich mitreißend von einer chaotischen Szene zur nächsten. Lachen, Entsetzen und nachdenkliche Momente wechseln sich auf haarsträubende Weise ab. Schlussendlich will Jensen all dies in einem Diskurs über Identität konzentrieren. Das Nachdenken über Behinderungen, Krankheiten oder überhaupt darüber, wie wir uns selbst und andere sehen, ist dabei ebenso mit einem Grübeln über künstlerisches Schauspiel verflochten. Hier wird der Film thematisch interessant! Weil Jensen zeigt, dass final weder Schein noch Sein das Zünglein an der Waage sind, sondern ganz allgemein das Momentum einer Öffentlichkeit, die Konfrontation mit anderen Menschen.

Auf der Suche nach Versöhnung

Identität als Teil eines gesellschaftlichen Rollenspiels, sagt dieser Film, verlangt Glaube und Vertrauen an etwas. Und es verlangt einen Kontext, der künstlich hergestellt wird, um eine Glaubwürdigkeit zu kreieren. Erst dann kann sie in ihrer Performanz glücken. Aber wer bestimmt die Bedingungen dafür? Jensen eröffnet sehr große, sehr theoretische Gedanken und Bedeutungsfelder in seinen Dialogen. Leider nur, um sich dann immer weiter in abgedroschenen Schlussfolgerungen zu verlieren.

Die zweite Hälfte von „Der letzte Wikinger“ ist rührend, aber auch arg hanebüchen zusammengeschustert. Und hier geht es nicht um die Frage, wie geschmacklos oder übertrieben das alles ist, sondern wie die Geschmacklosigkeit und Grenzüberschreitung wieder eingefangen werden. Die Thriller-Elemente werden erst lange aufgebauscht und dann in Windeseile abgeschnitten. Das Sinnieren über Identität und das, was eine Gesellschaft als andersartig erachtet, versandet in einem dünn gestrickten Plot über Kindheitstraumata. Denn schnell wird deutlich, dass das Graben und Wühlen im Waldboden immer weiter in das Graben in der eigenen Vergangenheit und Familiengeschichte umschlägt.

Treibt der Film ein geschicktes Spiel mit Themen wie Identität oder ergibt er sich der reinen Schadenfreude? Das ist in „Der letzte Wikinger“ nicht immer klar. Neue Visionen Filmverleih
Treibt der Film ein geschicktes Spiel mit Themen wie Identität oder ergibt er sich der reinen Schadenfreude? Das ist in „Der letzte Wikinger“ nicht immer klar.

Jensens Film hat das Herz am rechten Fleck. Man mag ihm allerlei Fehltritte verzeihen. Er will ein utopisches Bild von Inklusion vermitteln, trotz aller Schmerzen, die sich seine Figuren zufügen. Aber um das Thema Inklusion gebührend und adäquat anzupacken, müsste er zunächst einmal den Kopf aus dem Familien-Kleinklein ziehen und erkennen, dass die Diskriminierungen, von denen er erzählt, mitunter so unscheinbar und strukturell im Alltag verankert sind, dass seine Extrembeispiele und Feindbilder nur noch wie Strohmann-Argumente wirken.

Das ist eine aufgesetzte Versöhnlichkeit, die das Kino seit Jahrzehnten über dem Publikum ausgießt, aber gedanklich eigentlich kaum von der Stelle kommt. Jensens Film wickelt somit notdürftig Verbandszeug um soziale Wunden, die bei der nächsten kleinen Bewegung sofort wieder abfallen.

Fazit: Anders Thomas Jensen macht in „The Last Viking“ dort weiter, wo Filme wie „Adams Äpfel“, „Men & Chicken“ und „Helden der Wahrscheinlichkeit“ aufgehört haben: mit viel schwarzem Humor und Geschmacklosigkeiten, bei denen sich doch noch irgendwie alle liebhaben können. In seiner Betrachtung von Außenseiterfiguren und gesellschaftlichen Strukturen hat Jensens Kino inzwischen aber deutlich Staub angesetzt.

Wir haben „Der letzte Wikinger“ beim Filmfestival Venedig 2025 gesehen, wo er außer Konkurrenz im offiziellen Programm seine Weltpremiere gefeiert hat.

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