Rote Rosen für die Sünderin
Von Michael MeynsSechs Sekunden nackte Haut waren im Jahre 1951 genug, um einen bundesweiten Skandal heraufzubeschwören. Sechs Sekunden waren in „Die Sünderin“ die Brüste von Hildegard Knef zu sehen, dazu noch aus der Ferne in einer Totalen. Aber in der gerade gegründeten Bundesrepublik geriet „die Knef“ damit zum skandalösen Stadtgespräch. 25 Jahre jung war Hildegard Knef zu diesem Zeitpunkt und hatte bereits Höhen und Tiefen hinter sich, die bei anderen für die ganze Karriere reichen würden.
Fast ein Vierteljahrhundert nach dem Tod eines der zentralen Gesichter des deutschen Nachkriegskinos versucht Luzia Schmid in ihrem Dokumentarfilm „Ich will alles. Hildegard Knef“ nun, hinter die Fassade der öffentlichen Person zu blicken. Ganz gelingt das nicht, am Ende eines stilistisch und erzählerisch konventionellen, aber dennoch sehenswerten Porträtfilms bleibt das Geheimnis „der Knef“ bewahrt. Aber die Lust, ihre Filme noch einmal – oder zum ersten Mal – zu sehen, wurde auf jeden Fall geweckt.
Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde sie erwachsen, 19 Jahre alt war Hildegard Knef im Mai 1945. In den folgenden Jahren spielte sie in zwei der großen Klassiker des deutschen Nachkriegskinos: „Unter den Brücken“ und „Die Mörder sind unter uns“ machten Hildegard Knef zum Leinwand-Star und nicht zuletzt zum festen Teil der Öffentlichkeit. In den Medien tauchte „die Knef“ seitdem mit schöner Regelmäßigkeit auf, was es Luzia Schmid ermöglichte, ihren Film zu einem großen Teil aus Archivmaterial zu formen. Unzählige Interviews scheint Hildegard Knef im Laufe ihres Lebens gegeben zu haben, in denen sie für heutige Maßstäbe auf erstaunlich offenherziger Weise auch über Privates berichtet.
Diese Aufnahmen sind eine der Säulen von „Ich will alles. Hildegard Knef“, dazu kommen lange Passagen aus Knefs autobiographischen Büchern, besonders dem 1970 erschienenen „Der geschenkte Gaul“, der ein halbes Jahr lang auf Platz 1. der Spiegel-Bestsellerliste stand und auch im Ausland erfolgreich verlegt wurde. Gesprochen werden die Zitate von der Schauspielerin Nina Kunzendorf, die gar nicht erst versucht, Knefs unverwechselbare, tief-verrauchte Stimme nachzuahmen. Abgerundet wird das mit zwei Interviews mit zwei Personen, die Knef besonders nahestanden, ihrer Tochter aus zweiter Ehe, Christina Antonia, sowie ihrem dritten und letzten Mann, dem aus einem österreich-ungarischen Adelsgeschlecht entstammenden Paul Rudolf Freiherr von Schell zu Bauschlott.
Die Gesprächspartner*innen zeichnen ein liebevolles Bild einer Mutter bzw. Ehefrau, nur unterschwellig mag man leichte Kritik wahrnehmen, vor allem wenn es um Hildegard Knefs Verhältnis zur Öffentlichkeit geht. Seit sie ein Teenager war, stand sie permanent im Rampenlicht, wurde jeder Schritt ihrer beruflichen Karriere, aber auch ihres Privatlebens in Zeitschriften breitgetreten. Zum Teil geschah dies fraglos gegen ihren Willen, andererseits aber wohl auch in ihrem Interesse und mit ihrer Unterstützung. Denn wie so viele Stars vor und nach ihr scheint auch Hildegard Knef ein ambivalentes Verhältnis zum Ruhm gehabt zu haben, verlangte einerseits nach Bewunderung, nach dem Jubel des Publikums, der andererseits auch eine Aufmerksamkeit nach sich zog, die belasten konnte.
Besonders bei Knefs Bühnenauftritten wird dies deutlich, wenn sie mit „Für mich, soll’s rote Rosen regnen“ eines ihrer berühmtesten Lieder singt und dabei regelrecht mit dem Publikum zu flirten scheint. Gleichzeitig zu hoffen, dass das Publikum Privatsphäre respektiert, sie gerade in Phasen schwerer gesundheitlicher Probleme in Ruhe lässt: Kaum denkbar, schon in den 1960er Jahren nicht.
Doch Hildegard Knef war keine verblendete Schauspielerin, im Gegenteil: In den zahlreichen Ausschnitten aus Fernsehinterviews erweist sie sich als selbstkritisch und analytisch genug, um ihr Wesen präzise selbst auf den Punkt zu bringen. Mit bemerkenswerter Offenheit stellt sich Knef in den gezeigten Interviews den Fragen ihrer Gesprächspartner, formuliert druckreife Sätze, in denen sie ihr ambivalentes Verhältnis zum Ruhm kritisch reflektiert.
Es entsteht das Bild einer starken Frau, einer selbstbewussten Schauspielerin, die alles haben wollte und vieles davon bekam. Welche Opfer gerade auch die Menschen, die ihr besonders nahestanden, dafür bisweilen aufbringen mussten, wird unterschwellig in den Berichten ihrer Tochter und ihres letzten Ehemannes vor allem zu ihrem Medikamentenmissbrauch deutlich. Als tragische Figur sollte man Hildegard Knef dennoch nicht verstehen, dafür waren ihr Leben und ihre Karriere viel zu spektakulär.
Fazit: In ihrem eher konventionellen Dokumentarfilm „Ich will alles. Hildegard Knef“ nähert sich die Filmemacherin Luzia Schmid einer der großen Persönlichkeiten der bundesrepublikanischen Geschichte fast ausschließlich über Archivaufnahmen, die das Bild einer komplizierten, selbstreflexiven Person entstehen lassen, die die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit unbedingt brauchte, aber zugleich auch wahnsinnig unter ihr litt.
Wir haben „Ich will alles. Hildegard Knef“ im Rahmen der Berlinale 2025 gesehen, wo er in der Sektion Panorama gezeigt wurde.