Wunderschöner
Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
4,5
hervorragend
Wunderschöner

Alles außer Nummer sicher

Von Christoph Petersen

Mit ihrem Regiedebüt, der grandiosen „Schlaflos in Seattle“-Variation „SMS für dich“, gelang der Schauspielerin Karoline Herfurth („Eine Million Minuten“) 2016 als Regisseurin auf Anhieb ein Kinohit. Aber statt auf diesen Erfolg mit einem ähnlichen Film aufzusatteln, wagte sie sich mit der Action-Komödie „Sweethearts“ an ein Genre, mit dem man hierzulande eigentlich nur auf die Schnauze fallen kann – und überzeugte trotzdem (oder gerade deshalb). Ihre Schlachtfeld-weiblicher-Körper-Ensemblekomödie „Wunderschön“ avancierte 2022 mit fast 1,7 Millionen Besucher*innen trotz Corona-Beschränkungen zu ihrem erfolgreichsten Film. Dass ihr nächstes Projekt „Einfach mal was Schönes“ (Überschrift der FILMSTARTS-Kritik: „Vollgekotzt vorm Märchenschloss“) zumindest mit seinem Titel auf den Vorgänger Bezug nahm, war wohl vor allem dem Marketing geschuldet. Denn der Film selbst ist weder „einfach“ noch nur „schön“, sondern gerade deshalb so gut, weil Herfurth zwischen dem leichtfüßigen Spiel mit erprobten RomCom-Mechanismen auch echten Schmerz zuließ.

Herfurth hat erst nach einigem Zögern zugestimmt, ein Sequel zu ihrem bislang größten Kinoerfolg zu drehen. Da lag die Befürchtung nahe, dass sie mit „Wunderschöner“ im fünften Anlauf als Regisseurin nun erstmals ein Stück weit auf Nummer sicher geht. Aber Pustekuchen! Die Fortsetzung vertieft nicht nur die Thematik des Vorgängers, sondern wagt sich noch konsequenter in schmerzhafte Bereiche – nur um gleichzeitig in unerwarteten Momenten Hoffnung und Solidarität aufblitzen zu lassen. Mehr Weinen, genauso viel Lachen – und zum Finale ein direkt aus den Schlagzeilen gegriffener (Frauen-)Power-Moment im Baseball-Stadion (Stichwort: „Präsident des spanischen Fußballverbands und die Frauen-Nationalmannschaft“), der einen trotz all der vorangegangenen Niederschläge voller Kraft und Optimismus aus dem Kino entlässt.

Sonja (Karoline Herfurth) lässt sich nach der Trennung von ihrem Mann erstmals auf ein Tinder-Treffen ein, bekommt dann aber doch schnell wieder kalte Füße. Warner Bros.
Sonja (Karoline Herfurth) lässt sich nach der Trennung von ihrem Mann erstmals auf ein Tinder-Treffen ein, bekommt dann aber doch schnell wieder kalte Füße.

Die Rückkehrer*innen: Sonja (Karoline Herfurth) und Milan (Friedrich Mücke) setzen nach der Trennung auf das Nestmodell. Ihre Kinder bleiben also immer in derselben Wohnung, während die Elternteile abwechselnd zu ihnen ziehen. Das läuft auch so lange ganz okay, bis Sonja durch Zufall mitbekommt, dass Milan eine Poledance-Trainerin datet. Vicky (Nora Tschirner) wartet unterdessen noch immer auf Franz (Maximilian Brückner), der nach einer Meinungsverschiedenheit ohne weitere Erklärung einfach zu einer monatelangen Bergwanderung aufgebrochen ist. Aber der neue Kollege Trevor (Malick Bauer) ist auch echt heiß! Und Julie (Emilia Schüle) hat ihre Influencerin-Karriere inzwischen an den Nagel gehängt, um stattdessen als Aufnahmeleiterin zu arbeiten. Allerdings wird sie im TV-Geschäft direkt mit Sexismus konfrontiert – und zwar vonseiten ihres übergriffigen Chefs Paul (Samuel Schneider) ebenso wie von der Star-Moderatorin Regine (Anja Kling), die meint, mit #MeToo müsse jetzt auch langsam mal wieder gut sein…

Die Neuzugänge: Der 50-jährigen Nadine (Anneke Kim Sarnau) wird von ihrer befreundeten Journalistin Zarah (Jasmin Shakeri) auf der Restauranttoilette ein Umschlag rübergeschoben. Es sind Fotos von Nadines Politiker-Ehemann Philipp (Godehard Giese), die den Berliner Finanzsenator bei einem Date mit der jungen osteuropäischen Sexarbeiterin Nadja (Bianca Radoslav) zeigen. Währenddessen nimmt Nadines Teenager-Tochter Lilly (Emilia Packard) zunächst noch widerwillig an einem Kurs teil, in dem es um die Sichtbarmachung der Klitoris geht. Doch nach und nach lässt sie das beim Schuldirektor gar nicht auf Gegenliebe stoßende Kunstprojekt auch in anderen Fragen ihres Alltags umdenken…

Ganz schön harter Tobak – und das ist gut so!

Wer von „Wunderschöner“ nur mehr „Wunderschön“ erwartet, muss damit rechnen, während der 136-minütigen Laufzeit immer wieder aus seiner Komfortszene gedrängt zu werden. Schließlich musste selbst Karoline Herfurth beim Schreiben des Drehbuchs die Recherche hin und wieder ihrer Stamm-Co-Autorin Monika Fäßler überlassen, weil ihr das alles zu belastend wurde. So zum Beispiel bei den Online-Nachforschungen für die Szene, in der Nadine ihrem Ehemann Erniedrigungs-Fantasien aus einem Freier-Forum vorliest. Denn selbst wenn diese aus rechtlichen Gründen nicht eins zu eins übernommen wurden, sind sie trotzdem niederschmetternd-authentisch und garantiert nicht für einen erleichterten Massen-Konsum entschärft. Dasselbe gilt für die ellenlange Klartext-Diagnose der Frauenärztin, die Nadja wegen ihrer Unterleibsschmerzen untersucht – und dabei ist die junge Frau ja sogar noch ein vermeintliches „Luxus-Callgirl“.

Das gesamte Filmprojekt begann – zunächst noch unabhängig von ‚Wunderschön‘ – mit der Geschichte von Nadine und Philipp. Erst im Verlauf der Handlung erkennt Philipp erschüttert, dass er womöglich nicht nur für Sex bezahlt hat, sondern die Frau in ihrer Notlage faktisch vergewaltigt hat. Dabei gibt es immer wieder auch überraschend berührende Momente, etwa wenn Nadine, die sich ursprünglich nur mit Nadja trifft, um zu sehen, was ihr Mann wohl an ihr findet, die offensichtlich unter starken Schmerzen leidende junge Frau kurzerhand mit zu sich nach Hause nimmt. Aber insgesamt wirkt die Schilderung – erst recht für einen Mainstream-Film – derart konsequent, dass man doch erleichtert ist, dass Karoline Herfurth sie nachträglich in ihr „Wunderschön“-Universum eingebettet hat. So kann und darf man zwischendrin immer wieder befreiend lachen.

Lilly (Emilia Packard) und ihre Freundinnen erkennen im Verlauf den Schul-Workshops, dass sie als moderne Frauen womöglich doch nicht so umfassend „frei“ sind, wie sie bisher dachten. Warner Bros.
Lilly (Emilia Packard) und ihre Freundinnen erkennen im Verlauf den Schul-Workshops, dass sie als moderne Frauen womöglich doch nicht so umfassend „frei“ sind, wie sie bisher dachten.

Das soll übrigens nicht heißen, dass die Missbrauchserfahrungen von Julie in ihrem neuen Job oder der Dinner-Tratsch der weiblichen Berliner High Society, bei dem es auch nicht weniger herablassend zugeht wie an den männlich dominierten Stammtischen der Nation, irgendwie harmlos geraten wären. Aber es hat halt auch etwas ungemein Behagliches, sich zwischendrin auf die liebgewonnenen Figuren aus dem ersten Teil und Karoline Herfurths erprobten Humor verlassen zu können. Es ist ja kein Wunder, dass der hingenuschelte Spruch „Masturbierst du gerade? Dann würde ich hier kurz zumachen…“, den so wohl wirklich nur Nora Tschirner („One For The Road“) spielen kann, als finale Pointe ans Ende des Kinotrailers geschnitten wurde. Und keine Sorge, auf dem Niveau gibt es im Film noch eine ganze Menge mehr…

Fazit: Wo sich viele (deutsche) Komödien damit zufriedengeben, einfach nur ein paar Stammtisch-Attitüden abzuspulen, geht Karoline Herfurth in „Wunderschöner“ immer noch mindestens einen Schritt weiter – dorthin, wo es wirklich wehtut, wo es wirklich berührt, wo es wirklich lustig ist.

PS: Um dem immer mal wieder vorgebrachten „Vorurteil vom lahmen deutschen Film“ etwas entgegenzusetzen, hat sich die FILMSTARTS-Redaktion dazu entschieden, die Initiative „Deutsches Kino ist (doch) geil!“ zu starten: Jeden Monat wählen wir einen deutschen Film aus, der uns besonders gut gefallen, inspiriert oder fasziniert hat, um den Kinostart – unabhängig von seiner Größe – redaktionell wie einen Blockbuster zu begleiten (also mit einer Mehrzahl von Artikeln, einer eigenen Podcast-Episode und so weiter). „Wunderschöner“ ist der neueste Film, dem wir dieses Siegel verleihen.

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