The Safe House
Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
2,0
lau
The Safe House

Angestaubtes Arthouse-Kino

Von Patrick Fey

Mit seinem Berlinale-Wettbewerbsbeitrag „The Safe House“ versucht sich der Schweizer Filmemacher Lionel Baier gleich an mehreren Dingen, mit denen das Kino traditionell so seine Schwierigkeiten hat. Da ist zum einen die Literatur-Verfilmung. Die hat es immer gegeben und wird auch weiterexistieren, solang es das Kino gibt — inklusive der Fallstricke, die diese Form traditionell mit sich bringt. Diese umschifft Baier in „La Cache“ (=„Das Versteck“), wie der Film nach der Romanvorlage von Christophe Boltanski im Original heißt, allerdings konsequent – schließlich werden die Ereignisse des Films in der Vorlage in nur einem einzelnen Satz abgehandelt.

Denn im Gegensatz zur Buchvorlage, die umfassend aus dem Leben Boltanskis und seiner groß-intellektuellen jüdischen Familie in der Pariser Rue de Grenelle erzählt, konzentriert sich Baier auf einen einzelnen historischen Moment. Im Mai 1968, einer Zeit großer gesellschaftlicher Umbrüche, im Zuge derer sich Studierende und Arbeiter*innen zu Straßenprotesten zusammentaten, das autoritäre Universitätssystem reformiert und persönliche Freiheiten erkämpft wurden, spielt sich das Leben des fünfjährigen Christophe (Ethan Chimienti) vor allem in den Innenräumen der ausgedehnten Altbauwohnung in der Pariser Innenstadt ab. Bücher über Bücher türmen sich an den hohen Wänden, während aus den Räumlichkeiten seiner aus Odessa stammenden Ur-Großmutter, die alle nur Arrière-Pays (zu Deutsch: Hinterland) nennen, die Klänge Prokofjews ertönen.

In "Belfast" ist vieles sehr viel besser gelungen

Die andere Schwierigkeit, mit der es Baier hier bewusst aufnimmt, ist die Herausforderung, die Bedeutung eines historischen Moments für das Publikum einer anderen Ära erfahrbar zu machen. Die anhaltende Disruption, die jenen Protesten des Jahres 1968 zukam, wird hier kontrastiert mit der kindlichen Perspektive. Wer hier nun ob der Vertrautheit dieser Prämisse aufhorcht, tut dies nicht ohne Grund, hatte sich doch bereits Kenneth Branagh mit seinem mitten im bürgerkriegsartigen Nordirlandkonflikt angesiedelten „Belfast“ an einer ähnlich angelegten Geschichte versucht — und gewann damit immerhin einen Oscar für das Beste Drehbuch.

Nicht ganz unähnlich zu Branagh mischen sich auch bei Baier eigene Erinnerungen ins Drehbuch, sodass „The Safe House“ mehr noch als Adaption als fiktionalisierte Rückschau zu betrachten ist. Ein Ansatz, der nur möglich ist, da die Biografien Baiers und Boltanskis einige Parallelen aufweisen, etwa die intergenerationelle migrantische Erfahrung, die ihren Ursprung in beiden Fällen in der ukrainischen Stadt Odessa haben.

Während draußen die Studierendenproteste hochkochen, fühlt sich die Großfamilie des fünfjährigen Protagonisten in ihrer Wohnung verhältnismäßig sicher. Véronique Kolber
Während draußen die Studierendenproteste hochkochen, fühlt sich die Großfamilie des fünfjährigen Protagonisten in ihrer Wohnung verhältnismäßig sicher.

Von der großmütterlichen Heimat war immer schon die Rede, seit die Christophe-Figur auf der Welt ist. Für den Fünfjährigen hat sie immer nur als Idee existiert, ist virtuell geblieben, und bietet somit den Gegenpunkt zum titelgebenden „sicheren Haus“, dem Refugium der großbürgerlichen Wohnung. Dass das Appartement sich ausgerechnet in der Rue de Grenelle befindet, wirkt indes wie ein kleines historisches Echo, wurden im sogenannten Abkommen von Grenelle 1968 doch bedeutende Besserungen der Arbeitsbedingungen gewerkschaftlich festgehalten.

Dass es in Christophes Familie allerdings nicht ganz so weit her ist mit der Arbeiter*innen-Bewegung, wird schon in einer frühen Szene deutlich, als wir die Familie dabei begleiten, wie sie inmitten der politischen Turbulenzen Aufrufe zum Protest mit Postern zu einer Theater-Aufführung einer seiner Onkel überkleben. Das Politische und das Private, die Gesellschaft und ihre Abbildung — sei es in der Soziologie, in der Kunst oder in der Linguistik — werden hier auf spielerische Weise ineinander zu verflechten versucht.

Richtig nahe kommt man keiner der Figuren

Das Spielerische, das kommt zum einen durch den Einsatz eines Voice-Overs, der früh auf die Kompliziertheit des Narratives aufmerksam macht, schließlich handele es sich hier um die Geschichte eines Fünfjährigen, der später einmal über die uns gezeigten Ereignisse einen Roman geschrieben habe, in deren Verfilmung wir uns nun befänden. Wenn man an die Dinge glaube, dann würden sie auch existieren — auf eine gewisse Weise zumindest, so hört es Christophe eingangs von seinem Großvater (Michel Blanc).

Doch so gut dies alles gemeint sein mag, es will Regisseur Baier trotzdem nicht gelingen, die vielen Fäden seiner Geschichte zusammenzuhalten. Nicht zuletzt, weil er sie nicht zurecht zu fassen bekommt. Weder die inneren Abläufe der aschkenasischen Familie (abgesehen von einer Packung Matzah, die wir einmal auf dem Esstisch stehen sehen, verbleibt dieser Aspekt im Reich der Behauptung), noch die politischen Konflikte, noch die innerfamiliären Denkströmungen finden hier eine interessante Entsprechung. Zugleich will die Spitzbübigkeit, die der Film dem jungen Christophe zuschreibt, sich nicht zu einem echten Charakter entwickeln.

Selbstzweckhafte Gimmicks

Auf diese Weise bleiben wir nicht nur zu den Themen des Filmes, sondern auch zu seinen Figuren auf Abstand. Baiers filmische Idee, sich den einen oder anderen Streich mit den Bildhintergründen zu genehmigen, kommt da weniger als meta-referenzielle Scharfsichtigkeit daher, sondern unterstreicht vielmehr seine Hilflosigkeit. Ganz, als solle das fehlende motivische oder politische Fundament durch formale Gimmicks wettgemacht werden.

Heraus kommt dabei bekömmliches Arthouse-Kino, das versucht, die zu diesem Zeitpunkt noch vollends verdrängte Vichy-Zeit durch die ungebrochenen Kontinuitätslinien zwischen der NS-Zeit und der Gegenwart des Jahres 1968 herauszuarbeiten. Das Niveau, auf dem dies geschieht—mit antisemitischen Nachbarn am Grundstückszaun, einer kurzen Einstellung der „Schindler“-Firmen-Insignien in der U-Bahn, einer Parallelziehung zwischen der französischen Bereitschaftspolizei CRS und der SS, inklusive eines versteckten französischen Präsidenten unter den heimischen Treppenstufen — sind eines Berlinale-Wettbewerbsfilmes unwürdig.

Fazit: Obwohl als vielschichtige Auseinandersetzung mit jüdischer Identität und politischen Umbrüchen angelegt, liefert Lionel Baiers „The Safe House“ letztlich nur formelhaftes, angestaubtes Arthouse-Kino mit oberflächlicher historischer Betrachtung.

Wir haben „The Safe House“ im Rahmen der Berlinale 2025 gesehen, wo er als Teil des offiziellen Wettbewerbs gezeigt wurde.

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