Gute Lehrer*innen sind eben perfekte Kino-Held*innen
Von Jörg BrandesVorbildliche Lehrkräfte haben im Kino derzeit Konjunktur. In „Willkommen in den Bergen“ lässt sich ein Pädagoge aus Rom in ein Abruzzen-Dorf versetzen und kämpft dort um den Erhalt einer Minischule. Im Drama „Der Lehrer, der uns das Meer versprach“ versucht der Protagonist, in einer spanischen Provinz reformpädagogische Ideen umzusetzen. Die Geschichte nach wahren Begebenheiten spielt kurz vor dem Ausbruch des Bürgerkriegs 1936. Ein sehenswertes Beispiel aus dem vergangenen Jahr war zudem der ebenfalls auf Tatsachen basierende Film „Radical“, in dem ein Ersatzlehrer den Schülerinnen und Schülern einer problematischen sechsten Klasse in der mexikanischen Grenzstadt Matamoros mit seinem unkonventionellen Unterricht Spaß am Lernen vermittelt und eigenständiges Denken beibringt.
„Louise und die Schule der Freiheit“ reiht sich in diesen Reigen zwanglos ein. Story und Personal sind in diesem Fall jedoch frei erfunden. Allerdings könnte die Geschichte ganz ähnlich passiert sein – zumal sie sich vor einem realen historischen Hintergrund entwickelt. Tatsache ist, dass in Frankreichs Dritter Republik (1870-1940) 1882 die Schulpflicht eingeführt und Lehrpersonal aufs Land geschickt wurde, um dieser Pflicht Nachdruck zu verleihen. Das in diesem Umfeld spielende Drama erzählt nicht nur kraftvoll vom Wert der Bildung an sich, sondern auch bewegend von einer Frau, die sich trotz traumatischer Vergangenheit für ihre Überzeugungen einsetzt.
Um das Jahr 1885 herum erwirkt die Lehrerin Louise Violet (Alexandra Lamy) für sich den Einsatz in einem abgelegenen Bergdorf, um dort Schulunterricht einzuführen. Gern gesehen ist sie da nicht. Als Unterkunft muss sie zunächst mit dem Stall von Bürgermeister Joseph (Grégory Gadebois) vorliebnehmen. Wochenlang lässt sich kein Kind in ihrer provisorischen Schule blicken.
Die Eltern setzen ihren Nachwuchs lieber in der Landwirtschaft ein, wo alle Hände gebraucht werden. Dazu muss man schließlich weder lesen noch schreiben können. Erst nachdem Louise zusammen mit dem Bürgermeister eine vertrauensbildende Kennenlernrunde durchs Dorf gedreht hat, füllt sich der im Stall eingerichtete Lernort allmählich. Doch als ein nicht unwesentliches Geschehen aus der Vergangenheit der Lehrerin ans Licht kommt, droht Louises Aufbauarbeit das Aus…
Wie schon „Birnenkuchen mit Lavendel“ (2015) und „À La Carte“ (2021), der sich um das erste französische Restaurant der Geschichte drehte, ist auch das aktuelle Werk von Regisseur Éric Besnard einfach wahnsinnig schön anzuschauen. Kameramann Laurent Daillant gelingen wunderbare Aufnahmen von Landschaft, Natur und historischer Ausstattung. Doch die vielen idyllischen Bilder täuschen nie ganz über den mühseligen Alltag der Bergdorfbevölkerung und deren mühselige Plackerei in der Landwirtschaft hinweg. Auch dafür hat Besnard ein Auge.
So ist es kein Wunder, dass Louise in diesem Milieu zunächst auf Ablehnung stößt. Während die Lehrerin Bildung zu Recht als einen Weg zu persönlicher (Wahl-) Freiheit propagiert, hat die erwachsene Dorfbevölkerung – durchaus nachvollziehbar – Furcht vor Veränderung. Dazu kommt die Unsicherheit, die entstehen kann, wenn die Kinder mehr wissen als man selbst. Und was passiert, wenn sie weggehen, um woanders ihr Glück zu suchen? Gesellschaftlich fortschrittliche Gedanken stoßen hier auf bäuerlichen Konservativismus, der den Widerwillen gegen sozialistische oder gar kommunistische Landumverteilungsideen beinhaltet. Dieses Spannungsfeld nutzt Besnard, der auch das Drehbuch schrieb, immer wieder für sensible Beobachtungen.
Folglich betreibt er bei der Figurenzeichnung keine Schwarzweißmalerei. So ist es etwa ausgerechnet der Dorfpfarrer Francis (Patrick Pineau), der der Fremden als erster freundlich begegnet. Das tut alsbald auch der Bürgermeister. Der alleinerziehende Vater schwenkt auf Louises Linie nicht nur ein, weil er Gefallen an der Lehrerin findet, sondern auch, weil er den Sinn ihres Auftrags durchaus einsieht.
Die Art, wie Grégory Gadebois („Intrige“) in seiner Rolle die Lehrerin umwirbt, die auch noch Sekretärin des Bürgermeisters, Totengräberin und Kirchendienerin zu sein hat, hat zugleich etwas Rührendes und Komisches. Ebenfalls mehrschichtig angelegt ist die Figur des Rémi (Jérémy Lopez), der nicht den ganzen Film als gewaltbereiter Erzpatriarch durchwüten muss. Auch für die Sorgen und Nöte dieses verschuldeten Bauern zeigt das Drehbuch Verständnis.
Dreh- und Angelpunkt der Geschichte ist natürlich die Titelheldin. Alexandra Lamy („Willkommen im Hotel Mama“) spielt sie wunderbar als von ihrer Bildungsmission überzeugte Frau, die sich in einer männerdominierten Umgebung behaupten und ihren Platz in der Dorfgemeinschaft erst erkämpfen muss. Gleichzeitig umgibt Louise ein mit großer persönlicher Tragik verbundenes Geheimnis, dass an dieser Stelle nicht gelüftet werden soll. Das soll dem neugierigen Postboten Thermidor (Jérôme Kircher) vorbehalten bleiben.
Fazit: Vor historischem Hintergrund ablaufendes französisches Drama um eine starke Frau mit Bildungsidealen, die sich inmitten einer rauen Welt behaupten und mit ihrer Vergangenheit klarkommen muss. Vielschichtig erzählt, schön gefilmt, toll gespielt.