Wer ein möglichst faktenorientiertes Bild der Realität sucht, greift im Idealfall zur Dokumentation. Dennoch gibt es auch fiktionale Spielfilme, die sich das Ziel setzen, den Kosmos, in dem sie spielen, so authentisch wie möglich abzubilden. So auch „F1 – Der Film“ von Joseph Kosinski („Top Gun: Maverick“), der spürbar den Anspruch verfolgt, die Welt der Formel 1 auf sämtlichen Ebenen realitätsgetreu wiederzugeben.
Aus der Perspektive eines Laien oder Gelegenheitszuschauers der Formel 1 lässt sich schnell behaupten, dass Kosinski, Produzent Lewis Hamilton und ihr Team dieses Vorhaben sehr überzeugend umgesetzt haben. Doch wie sehen das die Profis, die zwar nicht an der Produktion beteiligt waren, aber selbst hinter dem Steuer sitzen? Men’s Health hat die beiden Rennfahrer Pierre Gasly und Franco Colapinto darum gebeten, einzuordnen, was in „F1“ der Realität entspricht – und wo Hollywood schließlich doch das letzte Wort hatte.

Teamdynamik & Rennerlebnis sind stark getroffen!
„F1“ zeigt weit mehr als nur das spektakuläre Rasen der Boliden über die Rennstrecken. Der Film wirft auch einen Blick hinter die Kulissen. Im Mittelpunkt steht dabei vor allem die angespannte Beziehung zwischen Sonny Hayes (Brad Pitt) und Joshua Pierce (Damson Idris). Besonders gelungen findet Pierre Gasly das Porträt der Teamdynamik: „Die intensive Dynamik zwischen den Teamkollegen wird sehr gut dargestellt. Was als Fahrer auf dem Spiel steht, ist die Verantwortung für tausende Leute, die in einem Team arbeiten. Es ist ein Sport, bei dem man alles gibt, aber auf der Strecke nicht immer belohnt wird, wenn das Auto nicht mithält. Das wird sehr gut dargestellt.“
Auch Franco Colapinto zeigt sich beeindruckt, insbesondere davon, wie „F1“ es schafft, das Rennerlebnis spürbar zu machen: „Man sieht, dass wir sehr schnell sind, wir fahren rasant in den Kurven – aber man spürt nicht das Adrenalin, das wir haben. Man spürt nicht den Sound, die Vibration. […] Ich denke, der Film hat viel für die Fans zusammengetragen. Die Kamerawinkel, die Art und Weise, wie die Rennen gefilmt wurden und wie sie es geschafft haben, einige Szenen nachzustellen, ist etwas ganz Besonderes und Einzigartiges.“
Darüber hinaus lobt Gasly, dass „F1“ auch die heute zentrale Rolle der Datenanalyse treffend vermittelt: „Man setzt sich an den Computer, schaut sich Daten an und trifft darauf basierend Entscheidungen. Dann steigt man wieder ins Auto und geht bis ans Limit. Sie haben beide Seiten sehr geschickt dargestellt.“
Hier hat Hollywood bei "F1" die Oberhand
Ein besonders denkwürdiger Moment im Film ist die Rückkehr von Sonny beim Saisonfinale in Abu Dhabi, nachdem er aufgrund eines Unfalls eigentlich bereits aus dem Team ausgeschieden war. Colapinto stellt klar, dass so etwas in der Realität nicht möglich wäre: Die Regularien zur Fahrerzulassung würden einen Start ohne Training oder Qualifying nicht erlauben.
Auch die Reihenfolge der Rennen im Film entspricht nicht der realen Formel-1-Saison. So findet in „F1“ der Große Preis von Belgien nach dem Großen Preis von Mexiko statt – was in Wirklichkeit nicht vorkäme. Aufgrund logistischer und ökologischer Erwägungen werden Rennen in derselben Weltregion gebündelt abgehalten. Eine Rückreise von Nordamerika nach Europa wenige Wochen vor Saisonende wäre unüblich.
Der dramatische Unfall von Joshua Pierce in Monza ist ebenfalls ein Produkt kreativer Freiheit. Wie Joseph Kosinski selbst erklärte, ließ er sich dabei von John Frankenheimers Klassiker „Grand Prix“ inspirieren. Auch wenn Gasly und Colapinto die Szene als unrealistisch bezeichnen, erkennen sie an, dass die Szene eindrucksvoll verdeutlicht, welche Gefahren die Geschwindigkeit mit sich bringt – selbst wenn solche „spektakulären“ Unfälle in der heutigen Formel 1 durch moderne Sicherheitsstandards praktisch nicht mehr vorkommen.
Sonny hätte gesperrt werden müssen
Am deutlichsten jedoch entfernt sich der Film bei der Darstellung von Sonnys Rennstrategie von der Realität. Sein Plan, durch das gezielte Verteilen von Trümmerteilen, das Durchbrechen von Schildern und das Aufwirbeln von Kieselsteinen absichtlich Safety-Car-Phasen zu provozieren und damit die Gesamtgeschwindigkeit zu senken, ist in der echten Formel 1 vollkommen undenkbar. Gasly kommentiert dazu trocken: „Ich bezweifle sehr, dass die FIA das zulassen würde.“
Tatsächlich würden derartige absichtliche und manipulative Handlungen in der Realität streng bestraft. Schon geringfügigere Vergehen – wie ein riskantes Manöver von Max Verstappen, der in George Russell hineinfuhr – führten zu einem Strafpunkt. Wer innerhalb von zwölf Monaten zwölf Punkte sammelt, wird für ein Rennen gesperrt. Die Konsequenzen für ein Verhalten wie das von Sonny wären also drastisch – eine sofortige Sperre wäre nicht unwahrscheinlich.
Zusammenfassend lässt sich sagen: „F1“ gelingt es in bemerkenswerter Weise, die Atmosphäre und die Emotionen der Formel 1 einzufangen. Dabei greift der Film aber ebenso auf bewährte Hollywood-Mechaniken zurück – sowohl dramaturgisch als inszenatorisch. Dass die Realität dabei an einigen Stellen zugunsten des Storytellings gebeugt wird, dürfte letztlich nur wenige stören. Denn Joseph Kosinskis neuestes Werk ist intensives, mitreißendes und schlichtweg pures Kino.
Und falls ihr wissen wollt, welchen hochspannenden Thriller aus den 1990er-Jahre der „F1“-Produzent fortführen möchte, müsst ihr den nachfolgenden Artikel lesen:
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